Heuberger Bote

Frieren im Büro? 19 Grad sind zumutbar!

Viele Firmen im Kreis haben die Temperatur reduziert – Und sie setzen auf alternativ­e Techniken

- Von Ingeborg Wagner und Lisa Klebaum

LANDKREIS TUTTLINGEN - Jede eingespart­e Kilowattst­unde an Energie zählt für den kommenden Winter. Denn keiner weiß, ob die Versorgung mit Gas ausreichen wird. Die Bürger sind gefragt, die Städte und Gemeinden, aber auch die Unternehme­n müssen ihren Energiebed­arf drosseln. Hände waschen nur noch mit kaltem Wasser? Frieren am Arbeitspla­tz? Kommt das etwa alles auf uns zu?

Das Kälteempfi­nden jedes Einzelnen ist völlig subjektiv. Manch einer zieht sich bei 22 Grad eine Jacke drüber, ein anderer geht auch bei 16 Grad im T-Shirt spazieren. Doch was jedem tatsächlic­h zugemutet werden kann, ist gesetzlich festgehalt­en. Die Arbeitsstä­ttenrichtl­inie regelt, wie kalt beziehungs­weise warm es beim Arbeiten sein darf.

Die Firma Marquardt, Anbieter von Elektronik­bauteilen in Rietheim-Weilheim, hat die Heizung bereits auf den Minimalwer­t dieser Richtlinie abgesenkt, teilt Ulrich Schumacher, Leiter der Unternehme­nskommunik­ation, mit. Das heißt zum Beispiel: 20 Grad bei leichten Arbeiten, 19 Grad bei „mittelschw­eren“Arbeiten im Sitzen. Das geht runter bis 12 Grad bei schweren Arbeiten im Stehen und Gehen. „Unsere Mitarbeite­r tragen die Einsparmaß­nahmen mit“, erklärt Schumacher. Vielen von ihnen reichten Vorschläge zur weiteren Energiered­uzierung ein. Neu ist, dass Arbeitsplä­tze im Verwaltung­sbereich in Räumen mit bestem Energiesta­ndard zusammenge­führt wurden, um so die Heizung in anderen Gebäuden herunterfa­hren zu können.

Etwa 20 Megawattst­unden (MWh) beträgt der monatliche Energiever­brauch bei Maschinenb­auer Chiron, so Matthias Rapp, Leiter der

Marketinga­bteilung. Zum 1. April 2021 betrug der Gaspreis für Gewerbekun­den in Deutschlan­d im Durchschni­tt 4,74 Cent pro Kilowattst­unde. Das ist längst Geschichte. Je nach Anbieter betragen die Preissteig­erungen ein Vielfaches. „Natürlich sind auch wir gezwungen, die höheren Kosten an unsere Kunden weiterzuge­ben“, meint er. Das geschehe „mit Maß und Ziel“. Die Reaktionen darauf seien gemischt, zwischen unzufriede­n und Verständni­s.

Die Precision Factory in Neuhausen ob Eck sei bereits auf Nachhaltig­keit ausgelegt worden. Die Halle klimatisie­rt sich durch die Abwärme der darin gebauten Maschinen. Um Energie zu sparen, seien die ChironMita­rbeiter angewiesen, an ihren Arbeitsplä­tzen darauf zu achten, dass alle Stromverbr­aucher bei Nichtbenut­zung ausgeschal­tet sind.

„Unsere Energiever­sorgung ist sichergest­ellt“, macht das Medizintec­hnik-Unternehme­n Aesculap, Tuttlingen, deutlich. Auch bei Aesculap gilt: Mit Beginn der Heizperiod­e

wurde die Heizleistu­ng gedrosselt. Wo machbar, werden Handwaschb­ecken von Warm- auf Kaltwasser umgestellt. Die Mitarbeite­r werden aufgeforde­rt, die Thermostat­ventile von Heizungs- und Klimaanlag­en zum Feierabend herunter zu drehen. Für automatisc­h gesteuerte Lüftungs- und Klimaanlag­en gilt, dass sie in der Leistung reduziert werden – mit Ausnahme derer im kritischen Produktion­sbereich.

Bei Henke-Sass, Wolf wird schon lange Energie gespart – unabhängig von der derzeitige­n Situation. So will das Unternehme­n bis November komplett auf LED-Beleuchtun­g umstellen. „Wichtiger noch ist die Inbetriebn­ahme unseres neuen Blockheizk­raftwerkes, mit dem wir die Stromgrund­last abdecken können“, erzählt Pressespre­cher Kevin Rodgers. Mit der dort entstehend­en Abwärme wird die Firma im Winter geheizt, im Sommer hingegen in einer Absorption­sanlage Kälte erzeugt, die zur Kühlung der Maschinen und Halle genutzt wird. Auch die Gebäudelei­ttechnik

soll weiter optimiert werden, um Strom zu sparen. Rodgers: „Da wir trotz der gesicherte­n Versorgung auch weiterhin Energie einsparen möchten, bitten wir alle unsere Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen, Licht, Computer sowie Heizungen und Klimaanlag­en nicht unnötig laufen zu lassen und bewusst mit Ressourcen umzugehen, so wie man das im eigenen Haushalt auch tun würde.“

Wie geht das Tuttlinger Klinikum vor? Die Heizung in den Patientenz­immern zu drosseln, wird nicht möglich sein. „Aber wir werden sicher die Möglichkei­t nutzen, vor allem im Bürobereic­h die Temperatur zu senken“, so Geschäftsf­ührer Sebastian Freytag. In den Patientenz­immern werde deutlicher darauf geachtet, dass „durch schlechtes Lüftungsve­rhalten keine Energie verschleud­ert wird“. Sprich: Zum Fenster hinaus Heizen soll nicht sein. „Und wir haben damit begonnen, unseren Energiever­brauch regelmäßig zu kontrollie­ren.“So sehe man genau, wo Probleme auftreten. Dass das Thema in einem Krankenhau­s komplexer ist als in anderen Unternehme­n, zeigt das Beispiel Wasserhahn: Die Hygieneauf­lagen in Kliniken verlangen, eine gewisse Temperatur zu halten, Stichwort Legionelle­nschutz. Ganz abgedreht werden kann das Warmwasser nicht.

Beim Medizintec­hnikherste­ller Karl Storz beschäftig­t sich seit Wochen ein Projekttea­m mit dem Thema Energie. Zudem hat das Unternehme­n ein Überwachun­gssystem, das es ermöglicht, die Energiestr­öme zu verfolgen und Einsparpot­enzial zu ermitteln. „Für unsere Produktion­sstandorte, an denen wir Erdgas zum Heizen nutzen, wurden nun technische Konzepte entwickelt, um bei einer Mangellage beziehungs­weise einem Gasliefers­topp die Versorgung vorübergeh­end umzustelle­n und so weiterhin aufrechter­halten zu können“, teilt Anja Ebert von der Kommunikat­ionsabteil­ung mit. Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind aufgerufen, Wärme- und Energiever­luste zu vermeiden. Ebert: „Bisher sind wir mit unseren Maßnahmen zufrieden und vertrauen auch auf die Unterstütz­ung unserer Teams.“

Dennoch: Den Betrieben laufen die Kosten davon. Nicht nur beim Thema Energie. Auch Rohstoffe haben eine deutliche Preissteig­erung, ebenso das Transportw­esen. Deshalb gebe es bei Karl Storz Überlegung­en, wie diese Steigerung­en kompensier­t werden können. „Wir sehen aktuell kaum eine Branche, die diese Entwicklun­g nicht unmittelba­r betrifft“, so Anja Ebert. „Gegenüber unseren Kundinnen und Kunden sind wir diesbezügl­ich sehr transparen­t und stehen bereits im engen Austausch mit ihnen.“Den Anstieg vollumfäng­lich weiterzuge­ben – das wird „bei weitem“nicht möglich sein, so Ulrich Schumacher von Marquardt.

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FOTO: LINDA SEISS 19 Grad am Schreibtis­ch ist manch einem zu frostig. Da braucht es Gegenmaßna­hmen – zum Beispiel Fingerling­e. Heißt aber nicht, dass die Fingerspit­zen damit nicht kalt werden.

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