Kampf um Verschonung
Für viele russische Sportler ist Flucht keine Option
MOSKAU (dpa) - Der Krieg in der Ukraine trifft zunehmend auch Russlands Sportwelt. Nicht nur der Ausschluss von russischen Athleten bei internationalen Wettkämpfen und viele andere Sanktionen des Westens machen der stolzen Sportnation zu schaffen. Einige Trainer und Athleten packten ihre Koffer, nachdem Kremlchef Wladimir Putin am 24. Februar seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hatte. Aktuell aber fürchten etwa Fußball- und Eishockeyvereine, Eiskunstlauf- und Leichtathletikverbände um ihre Substanz, weil immer mehr Athleten zum Kriegsdienst einberufen werden. Sterben als „Kanonenfutter“auf dem Schlachtfeld will aber niemand.
„Der Sport kann nicht wie eine getrennte feine Gesellschaft behandelt werden, die irgendwelche außergewöhnlichen Privilegien erhalten sollte“, sagte Sportminister Oleg Matyzin vorige Woche auf dem Forum „Russland – eine Sport-Großmacht“. Auch die Athleten müssten sich als Patrioten erweisen. Aber öffentlich bekennen sich nur wenige zur „Pflicht der Vaterlandsverteidigung“, wie der Machtapparat das nennt. Viel beachtet wurde deshalb, als sich nun ExBoxweltmeister Nikolai Walujew per Video zu Wort meldete und behauptete, er habe als Reservist einen Musterungsbescheid. Dass der 49-Jährige, der sich auf seinen Schutzstatus als Abgeordneter der Staatsduma berufen könnte, am Ende für Putin in den Krieg gegen die Ukraine zieht, bezweifeln aber viele. Manch einer hält das vielmehr für einen Propagandatrick mit Blick auf die Hunderttausende Männer, die aus Russland derzeit flüchten, um nicht als Reservisten eingezogen zu werden.
Derweil sieht sich Sportminister Matyzin mit einer ganzen Welle an Anfragen von Sportverbänden konfrontiert, die Ausnahmen fordern für
Fußballer, Eishockeyspieler, Schwimmer und Leichtathleten. Sie argumentieren, dass etwa auch IT-Spezialisten, die Vertreter der Staatsmedien und andere Gruppen vom Verteidigungsministerium offiziell verschont bleiben.
Aber der frühere Tischtennis-Profi Matyzin gilt als Mann ohne großen Einfluss in der Politik. So zeigt der 58 Jahre alte Funktionär, der neben dem Kampf gegen Doping noch viele Baustellen hat, allenfalls Verständnis für die Sorgen. „Ja, wir verstehen, dass die Sportler und Trainer der goldene Schatz sind, also vor allem jene, die sich auf die Olympischen Spiele vorbereiten.“Vielleicht, meinte Matyzin, könnten „einzelne Kategorien“einen Aufschub erhalten. Er sei dazu im Dialog mit der Regierung.
Ein Beispiel ist der 24 Jahre alte Alexander Samarin, Vize-Europameister im Eiskunstlauf von 2019. Wie ihm geht es vielen: Er trainiert zwar in einem Armeesportverein, hat aber wie fast alle keine Kampferfahrung. Eigentlich gilt dies als Voraussetzung für den Kriegsdienst. Aber selbst Kremlchef Putin musste einräumen, dass es viele Verstöße gebe und Menschen zu Unrecht einberufen würden. Viele Sportler fühlen sich indes nicht vertreten, weshalb sie Auswege suchen – doch diese sind rar und die Zukunft ungewiss.