Heuberger Bote

Frischer Wind auf der Art Karlsruhe

Erstmals Squares und Spots für Newcomer und Friends – Das neue Leitungste­am hat die Kunstmesse entschlack­t und setzt auf Konzentrat­ion

- Von Adrienne Braun

- Natürlich sind sie alle wieder gekommen – die Kuratoren, Sammler und Museumsver­treter, die jungen Künstler und alten Hasen. Man kennt sich, grüßt sich. Und doch ist plötzlich vieles anders bei der diesjährig­en Karlsruher Kunstmesse. 20 Jahre wurde sie von ihrem Gründer Ewald Karl Schrade geleitet – und dass sich diese Messe am Markt etablieren konnte, war maßgeblich mit seiner Person verbunden. Er nutzte seine guten Kontakten zu den Galeristen im Land, überzeugte sie, Vorbehalte gegen den Standort über Bord zu werfen und mit dabei zu sein. Wenn Schrade etwas konnte, so trommeln und wirbeln.

Nun hat die erste Messe unter neuer Leitung ihre Türen geöffnet – und man staunt, wie ruhig und entspannt es diesmal zugeht in den vier Hallen. Die Kunsthisto­rikerin Olga Blaß und der Galerist Kristian Jarmuschek vom Vorstand des Bundesverb­ands Deutscher Galerien, die nun im Duo agieren, wollten keineswegs alles anders machen als Schrade, haben aber kräftig abgespeckt: 71 Galerien weniger als im Vorjahr sind diesmal am Start. Und plötzlich wirken die Hallen deutlich luftiger, die Wege sind großzügig und an den Ständen herrscht nicht mehr die übliche Enge und Fülle. Das ist nicht nur fürs Publikum angenehm, sondern tut vor allem der Kunst gut, die genug Platz hat, sich zu entfalten.

Und diesen Platz nimmt sich Joséphine Sagna mit einer solchen Selbstvers­tändlichke­it, dass man an den wahrlich expressive­n Porträts kaum vorbeikomm­t. Die Stuttgarte­r Galerie Schacher gewährt der Künstlerin aus Ulm einen ganz großen Auftritt – weil es gerade in diesen Zeiten wichtig sei, „ein positives Statement zu setzen“, wie es Katrin Schacher nennt. Denn Joséphine Sagna, die ihre Wurzeln im Senegal hat, wuchs in Deutschlan­d auf und hatte als schwarze Frau mit Vorurteile­n und Anfeindung­en zu kämpfen. Die knallbunte­n, fast schrillen Frauen, die sie malt, wirken dagegen sehr selbstbewu­sst und angriffslu­stig. Sie sollen „empowern“, sagt Katrin Schacher, die fast sicher ist, dass nicht nur eines der Gemälde für 5600 Euro bis zum Sonntag einen Käufer finden wird.

Auch wenn die Klassische Moderne gut vertreten ist, so steht die zeitgenöss­ische Kunst deutlich im Fokus dieser Art Karlsruhe. Das liegt auch an den neuen Formaten, die Olga Blaß und Kristian

Jarmuschek eingeführt haben, die sich auch klar zu BadenWürtt­emberg bekennen wollen. Im „Academy Square“werden deshalb jeweils drei Studierend­e der Kunstakade­mien im Land präsentier­t: Hanna Heidt von der Karlsruher Akademie malt eigenwilli­ge Figuren, die sich selbst mit langen Zungen die Haut lecken wie Katzen bei der Wäsche. Lina Baltruweit und Johannes Breuninger arbeiten im Duo und bieten Tapete an zu 135 Euro der Quadratmet­er. Man muss genau hinschauen um zu entdecken, was auf den gespiegelt­en und wiederholt­en Fotos zu sehen ist: Eisbären inmitten von Plastikmül­l.

Solcherlei politische Statements sind allerdings eher die

Ausnahme auf der Messe, stattdesse­n gibt es auch in diesem Jahr wieder allerhand gefällige Malerei – hier wurden junge Frauen beim Shoppen gemalt, dort junge Männer, die in den Pool steigen. Beliebt sind weiterhin Urlaubsglü­ck und Strandszen­en. Immerhin, wenn Cameron Rudd Schwimmrei­fen auf dem Wasser malt, ist das zwar harmloses, aber exquisites Handwerk mit köstlichen Spiegelung­en und Lichteffek­ten.

Man kann auch hochpreisi­ge Werke entdecken – zum Beispiel eine Assemblage von Daniel Spoerri, der auf einem hängenden Teppich Geigenkast­en und Stiefel arrangiert hat. Er ist bei der italienisc­hen Galleria Lara e Rino Costa für 80.000 Euro zu haben. Die Auswahl bei deutlich günstigere­n Werken ist aber groß – und da für Einsteiger gerade Papierarbe­iten oft attraktiv sind, wird ihnen auf der Messe eine eigene Sektion gewidmet, die wie alle Formate nun mit einem englischen Titel daherkommt: „Paper Square“.

Auch die für Karlsruhe so typischen Skulpturen­plätze wurden umgetauft in „Skulpturen­Spots“. Der Bildhauer Andreas Blank zeigt an einem solchen Spot etwa sorgfältig zusammenge­legte Herrenhemd­en in Übergröße, die sofort an mächtige Männer denken lassen. Einen großen Auftritt ermöglicht die Galerie Tobias Schrade aus Ulm der Bildhaueri­n Anne Carnein aus Kißlegg. 24.000 Euro kosten die fragilen Pflanzen aus Draht und Stoff, die wie aus dem Nichts zu wachsen scheinen. Das Wurzelwerk rankt in die Luft – und erinnert an den enormen Überlebens­willen mancher Pf lanzen, die so anspruchsl­os sind, dass sie sich mit nichts als Luft und Wasser ihren Weg bahnen können.

Ob das in der Summe durchaus interessan­te Angebot der diesjährig­en Messe ausreichen­d Käufer findet, wird man erst am Sonntagabe­nd wissen. Da die wirtschaft­liche Situation für Galerien derzeit wegen Energiekri­se, Inf lation und zögerliche­n Käufen nicht einfach ist, hat die neue Leitung ihnen besondere Angebote gemacht. So konnten sich Galerien, die erst nach 2020 gegründet wurden, als „Newcomer“bewerben. Außerdem ist es nun möglich, als „Friend“am Stand einer befreundet­en Galerie unterzusch­lüpfen.

Ein besonders interessan­tes Format, das das neue Duo ersonnen hat, nennt sich „re:discover“. Jedes Jahr will man 20 Künstlerin­nen und Künstler wieder sichtbar machen, die trotz ihrer kunsthisto­rischen Bedeutung auf dem Kunstmarkt derzeit keine Rolle spielen. Da sie kreuz und quer auf der Messe verteilt sind, lassen sie sich leider nicht so leicht finden. Auch hier muss sich weisen, ob das Publikum tatsächlic­h Entdeckung­en machen kann. Der Reutlinger Galerist Reinhold Maas, der unter dem neuen Label die konstrukti­ve Malerei des Stuttgarte­rs Frieder Kühner ausstellt, sagt in jedem Fall ganz offen: „Ich hätte Kühner auch so auf der Messe gezeigt.“

Öffnungsze­iten: Sa., 11 bis 19 Uhr, So., 11 bis 18 Uhr. Weitere Infos unter www.art-karlsruhe.de

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 ?? FOTOS (2): ROLAND RASEMANN ?? Die Ulmer Nachwuchsk­ünstlerin Joséphine Sagna (oben) hat mit ihren knallbunte­n Porträts erstmals einen großen Auftritt auf der Art Karlsruhe. Ein beliebtes Fotomotiv sind die riesigen Pflanzen und Pilze aus Draht und Stoffreste­n von Anne Carnein. Sie sind auf dem Skulpturen-Spot der Galerie Tobias Schrade Ulm zu sehen.
FOTOS (2): ROLAND RASEMANN Die Ulmer Nachwuchsk­ünstlerin Joséphine Sagna (oben) hat mit ihren knallbunte­n Porträts erstmals einen großen Auftritt auf der Art Karlsruhe. Ein beliebtes Fotomotiv sind die riesigen Pflanzen und Pilze aus Draht und Stoffreste­n von Anne Carnein. Sie sind auf dem Skulpturen-Spot der Galerie Tobias Schrade Ulm zu sehen.

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