Von wegen nur Jux und Ballerei
Das Zeppelinmuseum mit einer Ausstellung vom Würfel- bis zum Computerspiel
- Die Computerspielindustrie setzt gigantische Summen um. Anfangs eine belächelte Nische der Populärkultur, hat sie sich zu etwas Größerem entwickelt: einem Kulturphänomen mit vielen Gesichtern. In der neuen Ausstellung „Choose Your Player“– Spielwelten von Würfel bis Pixel“gelingt dem Zeppelinmuseum eine breite Darstellung verschiedener Computerspieltypen. Die Ausstellung überzeugt durch besondere Pluspunkte.
Erstens beschränkt sich das Kuratorenteam des Hauses nicht allein auf das Thema der digitalen Kunstwelten. Ausgehend von über 100 Jahre alten Brettspielen werden Spiellogiken aufgezeigt, die auch bei aktuellen Konsolenspielen noch wirksam sind: Mechanismen von Krieg, Eroberung und Expansion. Oft kreisen die historischen Brettspiele um den Zeppelin, der im Ersten Weltkrieg als Waffe im Luftkrieg eingesetzt wurde. Mainstream-Computerspiele greifen das Faszinosum Zeppelin auf: Luftschiffe werden in Survialspielen zu schwebenden letzten Außenposten der Menschheit über einer zerstörten Erde. In Kriegsspielen wie „Battlefield 1“wird Luftschiffen eine Bedeutung zugeschrieben, die sie historisch nie besaßen.
Zweitens ist die Ausstellungsarchitektur eine Sensation für sich. Das Büro chezweitz hat mit einfachen, recycelten Materialien einen nachhaltigen Parcours geschaffen, der sehr gelungen eine eigene digitale Kunstwelt zu bilden scheint: Sie erinnert in ihrer Dunkelheit und Leuchtkraft stark an den Disney-Spielfilm „Tron“aus dem Jahr 1982. In diesem Streifen findet sich ein Programmierer plötzlich als Figur in einem Computerspiel wieder. Und diese Parallele passt zur Ausstellung, die den Bogen bis zu Virtual-Reality-Spielen der Gegenwart spannt, in denen die Teilnehmer als ihre eigenen digitalen Avatare agieren.
Drittens bleiben die Spiele nicht graue Theorie: Jedes Spiel in der Schau – ausgenommen sind Egoshooter-Spiele – kann und soll auch gespielt werden. Der Spaßund Erkenntnisfaktor ist deshalb beträchtlich. Um ihn auszuschöpfen, reicht ein einziger Besuch der Ausstellung sicher nicht aus.
Als vierter Pluspunkt liefert sich das Zeppelin-Museum der größten Gefahr dieser Ausstellung nicht aus: nämlich in den Logiken der in sich geschlossenen Spielwelten zu bleiben. Stattdessen werden Künstler mit Arbeiten gezeigt, die mit den wiederkehrenden Stereotypen der Spiele brechen – und so den Blick auf blinde Flecken lenken. Überdies werden gerade diese digitalen Beiträge der Kunst in ein besonders attraktives Setting gesetzt. Eine Voraussetzung dafür, dass sie herausstechen und von den Besuchern nicht unbemerkt übergangen werden.
So findet sich der Beitrag „Ongoing“von LuYang (China) in einer schrillen Szenerie, die die grelle Einrichtung eines Gamer-Salons auf die Spitze treibt. Die immersive Kunstwelt der Computerspiele wird hier nachgebaut, dabei noch getoppt – jedoch in den Inhalten der Spiele gebrochen. Es treten keine maskulinen Superhelden auf, sondern nonbinäre Bildschirmwesen. Anstelle von Schnelligkeit und Schlagkraft zählen buddhistische Tugenden. Und anstatt in den Spielfiguren übermenschliche Vitalität zu feiern, schleppen sich siechende, sackartige Figuren über den Bildschirm; selbst Krebszellen werden zu Spielfiguren.
Larry Achiampong wiederum baut sei komplettes Jugendzimmer aus den 1980er-Jahren nach, inklusive Skateboard, Chipstüten, VHS-Kassetten und Fläz-Sofa, vor dem alte Videospiele flimmern. Geschlechterspezifischen Klischees der damaligen Bildschirmspiele stellt der Brite mit ghanaischen Wurzeln seine auf Leinwand gemalten Gegenbilder entgegen – etwa einen schwarzen Karatekämpfer oder eine androgyne, gar nicht kämpferisch wirkende „Beschützerin des Volkes“mit müden warmen Augen.
Die Ausstellung, wenn man sich auf die versammelten Spiele wirklich einlässt, erzeugt ein Wechselbad der Gefühle. Denn gerade die sehr erfolgreichen Spiele unter ihnen zementieren ein Gesellschaftsbild, indem sie die Erwartungen der Mainstreamkultur reproduzieren. Etwa
in den Machtspielen: Erfolgreich sind die schnellsten, fittesten, produktivsten Spieler. Voran kommt man nicht durch Kooperation, sondern Konkurrenz und Machtgefälle.
Hingegen bricht Afrah Shafiqus Arbeit „Where do the ants go“diese Ellenbogen-Mentalitäten bewusst auf. Im Videospiel der indischen Künstlerin hängt nämlich das Wohl und Wehe eines Ameisenhaufens von den Spielenden ab. Es gilt, sich in die Mechanismen einer tierischen Gesellschaft hineinzudenken und herauszufinden, welche Handlungsmuster überhaupt geeignet sind, das Überleben dieser Gemeinschaft zu garantieren. Da beliebig viele Spieler gleichzeitig spielen können, müssen sie ihr Handeln zudem miteinander abstimmen und üben so eine neue soziale Praxis ein, in der nicht das einzelne Ich im Zentrum steht.
Überhaupt führt die Ausstellung ein Ideal vor Augen – mit Games, in denen die Spieler neue friedliche Formen des Zusammenlebens erkunden. So können die oft immer noch belächelten Computerspiele zu Probebühnen für Gesellschaften der Zukunft werden.
Die Ausstellung im ZeppelinMuseum Friedrichshafen dauert bis 27. April 2025. Öffnungszeiten bis Oktober täglich 9-17 Uhr, ab November Di.-So. 10-17 Uhr.