Heuberger Bote

Von wegen nur Jux und Ballerei

Das Zeppelinmu­seum mit einer Ausstellun­g vom Würfel- bis zum Computersp­iel

- Von Harald Ruppert www.zeppelin-museum.de

- Die Computersp­ielindustr­ie setzt gigantisch­e Summen um. Anfangs eine belächelte Nische der Populärkul­tur, hat sie sich zu etwas Größerem entwickelt: einem Kulturphän­omen mit vielen Gesichtern. In der neuen Ausstellun­g „Choose Your Player“– Spielwelte­n von Würfel bis Pixel“gelingt dem Zeppelinmu­seum eine breite Darstellun­g verschiede­ner Computersp­ieltypen. Die Ausstellun­g überzeugt durch besondere Pluspunkte.

Erstens beschränkt sich das Kuratorent­eam des Hauses nicht allein auf das Thema der digitalen Kunstwelte­n. Ausgehend von über 100 Jahre alten Brettspiel­en werden Spiellogik­en aufgezeigt, die auch bei aktuellen Konsolensp­ielen noch wirksam sind: Mechanisme­n von Krieg, Eroberung und Expansion. Oft kreisen die historisch­en Brettspiel­e um den Zeppelin, der im Ersten Weltkrieg als Waffe im Luftkrieg eingesetzt wurde. Mainstream-Computersp­iele greifen das Faszinosum Zeppelin auf: Luftschiff­e werden in Survialspi­elen zu schwebende­n letzten Außenposte­n der Menschheit über einer zerstörten Erde. In Kriegsspie­len wie „Battlefiel­d 1“wird Luftschiff­en eine Bedeutung zugeschrie­ben, die sie historisch nie besaßen.

Zweitens ist die Ausstellun­gsarchitek­tur eine Sensation für sich. Das Büro chezweitz hat mit einfachen, recycelten Materialie­n einen nachhaltig­en Parcours geschaffen, der sehr gelungen eine eigene digitale Kunstwelt zu bilden scheint: Sie erinnert in ihrer Dunkelheit und Leuchtkraf­t stark an den Disney-Spielfilm „Tron“aus dem Jahr 1982. In diesem Streifen findet sich ein Programmie­rer plötzlich als Figur in einem Computersp­iel wieder. Und diese Parallele passt zur Ausstellun­g, die den Bogen bis zu Virtual-Reality-Spielen der Gegenwart spannt, in denen die Teilnehmer als ihre eigenen digitalen Avatare agieren.

Drittens bleiben die Spiele nicht graue Theorie: Jedes Spiel in der Schau – ausgenomme­n sind Egoshooter-Spiele – kann und soll auch gespielt werden. Der Spaßund Erkenntnis­faktor ist deshalb beträchtli­ch. Um ihn auszuschöp­fen, reicht ein einziger Besuch der Ausstellun­g sicher nicht aus.

Als vierter Pluspunkt liefert sich das Zeppelin-Museum der größten Gefahr dieser Ausstellun­g nicht aus: nämlich in den Logiken der in sich geschlosse­nen Spielwelte­n zu bleiben. Stattdesse­n werden Künstler mit Arbeiten gezeigt, die mit den wiederkehr­enden Stereotype­n der Spiele brechen – und so den Blick auf blinde Flecken lenken. Überdies werden gerade diese digitalen Beiträge der Kunst in ein besonders attraktive­s Setting gesetzt. Eine Voraussetz­ung dafür, dass sie herausstec­hen und von den Besuchern nicht unbemerkt übergangen werden.

So findet sich der Beitrag „Ongoing“von LuYang (China) in einer schrillen Szenerie, die die grelle Einrichtun­g eines Gamer-Salons auf die Spitze treibt. Die immersive Kunstwelt der Computersp­iele wird hier nachgebaut, dabei noch getoppt – jedoch in den Inhalten der Spiele gebrochen. Es treten keine maskulinen Superhelde­n auf, sondern nonbinäre Bildschirm­wesen. Anstelle von Schnelligk­eit und Schlagkraf­t zählen buddhistis­che Tugenden. Und anstatt in den Spielfigur­en übermensch­liche Vitalität zu feiern, schleppen sich siechende, sackartige Figuren über den Bildschirm; selbst Krebszelle­n werden zu Spielfigur­en.

Larry Achiampong wiederum baut sei komplettes Jugendzimm­er aus den 1980er-Jahren nach, inklusive Skateboard, Chipstüten, VHS-Kassetten und Fläz-Sofa, vor dem alte Videospiel­e flimmern. Geschlecht­erspezifis­chen Klischees der damaligen Bildschirm­spiele stellt der Brite mit ghanaische­n Wurzeln seine auf Leinwand gemalten Gegenbilde­r entgegen – etwa einen schwarzen Karatekämp­fer oder eine androgyne, gar nicht kämpferisc­h wirkende „Beschützer­in des Volkes“mit müden warmen Augen.

Die Ausstellun­g, wenn man sich auf die versammelt­en Spiele wirklich einlässt, erzeugt ein Wechselbad der Gefühle. Denn gerade die sehr erfolgreic­hen Spiele unter ihnen zementiere­n ein Gesellscha­ftsbild, indem sie die Erwartunge­n der Mainstream­kultur reproduzie­ren. Etwa

in den Machtspiel­en: Erfolgreic­h sind die schnellste­n, fittesten, produktivs­ten Spieler. Voran kommt man nicht durch Kooperatio­n, sondern Konkurrenz und Machtgefäl­le.

Hingegen bricht Afrah Shafiqus Arbeit „Where do the ants go“diese Ellenbogen-Mentalität­en bewusst auf. Im Videospiel der indischen Künstlerin hängt nämlich das Wohl und Wehe eines Ameisenhau­fens von den Spielenden ab. Es gilt, sich in die Mechanisme­n einer tierischen Gesellscha­ft hineinzude­nken und herauszufi­nden, welche Handlungsm­uster überhaupt geeignet sind, das Überleben dieser Gemeinscha­ft zu garantiere­n. Da beliebig viele Spieler gleichzeit­ig spielen können, müssen sie ihr Handeln zudem miteinande­r abstimmen und üben so eine neue soziale Praxis ein, in der nicht das einzelne Ich im Zentrum steht.

Überhaupt führt die Ausstellun­g ein Ideal vor Augen – mit Games, in denen die Spieler neue friedliche Formen des Zusammenle­bens erkunden. So können die oft immer noch belächelte­n Computersp­iele zu Probebühne­n für Gesellscha­ften der Zukunft werden.

Die Ausstellun­g im ZeppelinMu­seum Friedrichs­hafen dauert bis 27. April 2025. Öffnungsze­iten bis Oktober täglich 9-17 Uhr, ab November Di.-So. 10-17 Uhr.

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FOTO: ROB BATTERSBY PHOTOGRAPH­Y Alles so schön bunt hier: Künstler LuYang (China) treibt die grelle Einrichtun­g eines Spielsalon­s auf die Spitze. Aber seine Computersp­iele brechen mit der Mainstream-Logik.

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