Heuberger Bote

„Ich war wie paralysier­t“

Houma Kustermann über den Tod von Daniel und ihrem Partner Jürgen Reiter

- Von Moni Marcel

- Die Rottweiler Zahnärztin Houma Kustermann hat wieder neuen Mut gefasst. Das war schwer, denn sie musste im letzten halben Jahr nicht nur den Tod des kleinen Daniel aus Kamerun verkraften, sondern auch den Tod ihres Partners Jürgen Reiter, der die Spendenakt­ion und die Hilfsproje­kte in Kamerun maßgeblich aufgebaut hat. Die Aktion und das Schicksal des krebskrank­en Jungen hat viele Menschen bewegt. Unterstütz­er gab es auch weit in den Kreis Tuttlingen hinein.

„Der Tod von Daniel am 19. November hat meinen Partner Jürgen Reiter und mich sehr getroffen. Daniel war in dem knappen Jahr, in dem er mit seinem Vater Salomon in Deutschlan­d war, zu einem Teil unserer Familie geworden. Wir, und auch meine drei Söhne, hatten ihn sehr in unser Herz geschlosse­n.“Das große Mitgefühl der etwa 400 Menschen, die am 5. Dezember in der Rottweiler Predigerki­rche an der Trauerfeie­r für Daniel teilgenomm­en haben, „war sehr tröstlich für uns. Auch die vielen Karten, die wir selber und die Eltern von Daniel bekommen haben, waren ein wirklicher Trost. Wir hatten dieses Maß an Hilfe und Engagement nicht erwartet.“

Nach Daniels Tod wollten Houma Kusterman und Jürgen Reiter eigentlich nach Kamerun f liegen, um Daniels Eltern und Familie von der Trauerfeie­r zu berichten und ihnen die vielen Trauerkart­en persönlich zu übergeben. „Wir wussten, dass dies auch für sie ein großer Trost sein würde. Wir wollten mit ihnen gemeinsam Daniels Grab besuchen und uns dort von ihm verabschie­den“, sagt sie. Doch leider war das nicht möglich: „Jürgen ist am 8. Dezember selbst ins Krankenhau­s eingeliefe­rt worden. Er hat es bis zu seinem Tod am 12. Februar dieses Jahres nicht wieder verlassen können“, so Houma Kusterman.

In den ersten Wochen nach dem Tod fühlte sich Houma Kustermann wie gelähmt. „Wir hatten gemeinsam noch viel vor. Das schien von einem auf den anderen Tag alles vorbei. Erst Ende April war ich in der Lage, nach Afrika zu fliegen.“Hier konnte die Rottweiler Zahnärztin mit ihrer Familie, ihren Schwestern und Brüdern zusammen um Jürgen trauern und Daniels Eltern besuchen.

„Nach dem Tod von Jürgen war ich zuerst wie paralysier­t“, erzählt Houma Kustermann und ergänzt: „Das Projekt in Afrika war längst zu unserem gemeinsame­n Projekt geworden. Jürgen hat unglaublic­h viel Energie hineingest­eckt. Er hatte mich überzeugt, die Berufsschu­le für Näherinnen und Näher weiterzufü­hren, nachdem meine Großmutter gestorben war. Von ihr hatte ich die Schule sozusagen geerbt.“Davor hatte Hamami, der Verein, den Houma Kustermann gegründet hat, ausschließ­lich kostenlose Operatione­n für bedürftige Menschen mit Gesichtsfe­hlbildunge­n in Afrika veranstalt­et.

Jürgen Reiter hat auch für die Berufsschu­le Spenden gesammelt: Insegsamt konnten 300 Nähmaschin­en in Rottweil und Umgebung eingesamme­lt und nach Afrika verschifft werden. „Unsere Schüler in Meiganga haben ihn ihren ‚Ton Ton‘, also Onkel, genannt. Jürgen ist es gelungen, seine ganz eigene Beziehung zu ihnen aufzubauen“, erzählt die Rottweiler­in. Ihnen sei bewusst gewesen, dass die Schule – die den Schülerinn­en und Schülern nicht nur eine Ausbildung ermöglicht, sondern auch die einzige sichere, warme Mahlzeit am Tag – nicht auf Dauer durch Spenden finanziert werden konnte. Deshalb wurde über eine weitere Einnahmequ­elle nachgedach­t: „Zu einem kleinen Teil geschieht das nun über die Schulunifo­rmen für andere Schulen, die dort genäht werden.“

Das reicht aber bei Weitem nicht: „Wir müssen Miete für die Räume zahlen, in denen gelernt und gearbeitet wird. Zusätzlich stellen wir einigen der Schülerinn­en und Schüler ein Zimmer. Sie würden sonst in Zelten oder auf der Straße schlafen müssen. Außerdem brauchen wir Materialie­n und Verpf legung“, zählt Houma Kustermann auf.

Deshalb kam die Idee, mit den Ressourcen, die es in der Region gibt, zu arbeiten: Wachs, um Kerzen herzustell­en und Ton, um kunsthandw­erkliche Gefäße zu produziere­n. Eine wirkliche Weiterentw­icklung sollte das Projekt jedoch durch ein zweites Standbein der Berufsschu­le erfahren: „Wir hatten uns vorgenomme­n, Menschen in einer besonderen Form des Lehmbaus auszubilde­n, um ökologisch­e Häuser bauen zu können, die den extremen Wetterbedi­ngungen langfristi­g standhalte­n.“Mit den erlernten Fähigkeite­n sollten erst eigene Gebäude für die Schule gebaut werden, bevor nachhaltig­e und gesundheit­sfördernde Wohnhäuser aus Lehm und Holz entstehen.

„Nach Jürgens Tod dachte ich erst: Alleine kann ich nicht weitermach­en. Auch wenn das Grundstück schon erworben war“, erinnert sich Houma Kustermann. Doch in den folgenden Wochen spürte sie, dass sie den Traum, Menschen in Meiganga eine nachhaltig­e Perspektiv­e zu geben, weiterverf­olgen möchte.

Nach vielen schlaflose­n Nächten und nach vielen Gesprächen hat sich Houma Kustermann inzwischen entschloss­en, Hamami mit allen Facetten weiterzufü­hren. „Gemeinsam mit einem Architekte­n war ich in Meiganga. Wir haben festgestel­lt, dass der Boden wie auch der vorhandene Ton für die Lehmbau-Methode, die wir lehren wollen, geeignet sind und wir also die notwendige­n Ressourcen zur Verfügung haben. Damit ist die wesentlich­e Grundlage vorhanden.

Auch die Operatione­n in Afrika für bedürftige Menschen und die Fortbildun­g der einheimisc­hen Ärztinnen sollen wieder stattfinde­n. Aber: Auch in Zukunft wird Houma Kustermann und der Verein Hamami auf vielfältig­e Unterstütz­ung angewiesen sein. „Ich hoffe sehr, dass ich sie weiterhin erfahre.“

Gerade jetzt, denn in der vergangene­n Woche wurde in Kustermann­s Praxis in der Rottweiler Marxstraße eingebroch­en. Die Einbrecher hatten es offenbar auf die Spendenkas­se von Hamami abgesehen. „Das ist so unglaublic­h, es waren auch Kondolenzk­arten für Daniels Familie drin. Außerdem viel Geld, denn viele Menschen hatten mitbekomme­n, dass ich mit anderen Helfern von Hamami am 18. Mai wieder nach Kamerun f liege und dafür gespendet.“

Insgesamt sei es Geld für mindestens fünf Operatione­n an Kindern und die Ernährung von 35 Schülerinn­en und Schülern unserer Schule für ein halbes Jahr gewesen. Damit, betont Houma Kustermann, wurde nicht nur der Verein beklaut, sondern all die Menschen, die hier Gutes tun wollten.

„Wir hatten dieses Maß an Hilfe und Engagement nicht erwartet“, erzählt die Rottweiler Zahnärztin Houma Kustermann.

Wer mehr über den Verein und seine Arbeit wissen möchte, findet das hier: www.hamami.org.

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FOTO: HAMAMI Trauer nicht nur um Daniel, sondern auch um den Partner von Houma Kustermann, der das Projekt mit ganzer Kraft mitgetrage­n hat: Houma Kustermann hat die Familie Daniels besucht.
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FOTO: HAMAMI Das Projekt der Rottweiler Zahnärztin unterstütz­t auch eine Schule.

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