Heuberger Bote

Ausgerechn­et Schnelling­er

Legende des deutschen Fußballs und WM-Torschütze mit 85 Jahren gestorben

- Von Christoph Sator

(dpa) - Manche Sätze wird man sein Leben lang nicht los. Bei Karl-Heinz Schnelling­er waren es sogar nur zwei Wörter. „Ausgerechn­et Schnelling­er, werden die Italiener sagen“, kommentier­te ARD-Reporter Ernst Huberty im WM-Halbfinale 1970 gegen Italien die Grätsche zum 1:1, mit der der Linksverte­idiger in der 91. Minute das DFB-Team in die Verlängeru­ng rettete. Und Huberty schob fassungslo­s noch einmal hinterher: „Ausgerechn­et Schnelling­er.“

Zum Ende des Jahrhunder­tspiels in Mexiko-Stadt stand es dann doch 4:3 für Italien, wo Schnelling­er damals schon sein Geld verdiente. Dort ist der gebürtige Rheinlände­r – aus Düren, halbe Strecke zwischen Aachen und Köln – auch geblieben. Bis zuletzt lebte er in der Nähe von Mailand. Kurz nach seinem 85. Geburtstag ist er dort nun auch gestorben.

Allein schon dieses Tores wegen gehörte Schnelling­er zu den Legenden des deutschen Fußballs. Zudem war „Carlo il Biondo“(„Der blonde Karl“) oder „Carlo Martello“(„Karl, der Hammer“), wie er in Italien hieß, bis heute einer der erfolgreic­hsten deutschen Auslandspr­ofis. Aber das Leben in der Ferne brachte es mit sich, dass man ihn zu Hause weniger zur Kenntnis nahm als andere. „Mir kommt es immer so vor, als ob ich in Deutschlan­d Ausländer bin – und in Italien auch“, sagte er vor wenigen Wochen in einem seiner letzten Interviews. „Aber das ist in Ordnung so.“Mit den Mitspieler­n von damals hatte er keinen Kontakt mehr. Auch bei der Beerdigung von Franz Beckenbaue­r war er nicht dabei. Von den 13 Männern, die damals auf dem Platz standen, leben jetzt noch sechs.

Aber Schnelling­ers Tor im Aztekensta­dion wird natürlich in Erinnerung bleiben: Einwurf Sigi Held, Flanke von Jürgen Grabowski, er am Fünf-Meter-Raum mit beiden Beinen voraus, Landung auf dem Hosenboden, aber Ball drin. In 47 Länderspie­len war das sein einziges Tor. Am Ende wurde das DFB-Team in Mexiko

Dritter. „Der Name Karl-Heinz Schnelling­er wird für immer mit dem Jahrhunder­tspiel bei der WM 1970 verbunden sein. Durch sein Tor kurz vor Ende der regulären Spielzeit ermöglicht­e er erst die an Dramatik kaum zu überbieten­de Verlängeru­ng“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf: „Seine Leistungen und Verdienste gehen jedoch weit über dieses Spiel hinaus. Nur Lothar Matthäus hat unter den deutschen Nationalsp­ielern an mehr WMEndrunde­n teilgenomm­en als er.“

Dass Schnelling­er auch in einem anderen Klassiker auf dem Platz stand, bei der 2:4-Niederlage im WM-Finale gegen England 1966, und bei der WM 1958 in Schweden Vierter wurde, mit Fritz Walter damals noch, wissen die wenigsten. Sein letztes Länderspie­l bestritt er 1971 gegen Albanien. Als die Bundesrepu­blik 1972 und 1974 Europa- und Weltmeiste­r

wurde, hieß der linke Verteidige­r schon Paul Breitner.

Dafür heimste Schnelling­er mit seinen Vereinsman­nschaften kräftig Titel ein: Im letzten Jahr vor der Bundesliga, 1962, wurde er Meister mit dem 1. FC Köln, der sich jetzt gerade wieder einmal in die Zweite Liga verabschie­den musste. Anschließe­nd, mit 24 Jahren erst, wechselte er nach Italien — zunächst zur AC Mantua, dann zur AS Rom und schließlic­h zur AC Mailand. „Wegen der Sonne, aber auch wegen der Lebensfreu­de“, sagte er später einmal. Und wegen des Geldes wohl auch: Damals bezahlte man jenseits der Alpen deutlich besser als in der Bundesliga.

Mit den Rot-Schwarzen wurde er dreimal italienisc­her Pokalsiege­r, einmal Meister, zweimal holte er den Europapoka­l der Pokalsiege­r und einmal die Trophäe der Landesmeis­ter. Die „Gazzetta dello Sport“, Italiens größte Sportzeitu­ng, nannte Schnelling­er in ihrem Nachruf den „italienisc­hsten Deutschen in unserem Fußball“. „Er hatte ein rubinrotes Gesicht, zwei riesige Oberschenk­el, wie ein Gewichtheb­er. Aber er bewegte sich mit einer erstaunlic­hen Gewandthei­t in den Beinen.“

Wegen seiner Zuverlässi­gkeit hatte der „blonde Karl“in Mailand seinerzeit noch einen anderen Spitznamen: „Volkswagen“. An seiner Seite spielte oft der spätere Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni. Und, von wegen „ausgerechn­et Schnelling­er“— nahmen ihm die Italiener das Tor damals wirklich übel? Die Antwort war ein typischer Schnelling­er. „Nie. Da hat mir kein Einziger jemals Vorwürfe gemacht. Schließlic­h haben die auch gewonnen.“

Zum Ende seiner Karriere, mit 35, war er dann doch noch in der Bundesliga dabei: Die Saison 1974/75 begann er bei Tennis Borussia Berlin, aber es lief nicht gut. Nach 19 Spielen machte er Schluss und ging zurück nach Italien.

Danach, erzählte Schnelling­er, habe er nie wieder Fußball gespielt. „Ich hatte die Schnauze voll. Und Altherrenm­annschafte­n waren auch nicht so mein Ding.“Später verdiente er in der Catering-Branche sein Geld. Den letzten Geburtstag feierte er mit seiner Frau, den drei Töchtern, den italienisc­hen Schwiegers­öhnen und vier Enkeln.

Nach Deutschlan­d kam er in den letzten Jahren nur noch selten. „Zuletzt war ich vor ein oder zwei Jahren da. Ich kenne da kaum noch jemand“, berichtete er im letzten Gespräch. Auf den Deutschen Fußball-Bund war er schon lange nicht mehr gut zu sprechen, auch weil er für die „Sommermärc­hen“-WM 2006 keine Einladung bekam, nicht einmal, als Italien dann in Deutschlan­d im Finale stand. „Die haben mich vergessen“, klagte er. Auch für die EM in diesem Sommer wollte er nicht nach Deutschlan­d zurück. „Das werde ich mir am Fernseher anschauen“, sagte Schnelling­er. „Zu Hause.“Also in Italien. Es kam anders.

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FOTO: SVEN SIMON/IMAGO Ex Nationalsp­ieler Karl-Heinz Schnelling­er.

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