ICH BIN

Steh wieder auf und geh weiter!

- CONNY THALER

Wenn uns eine enttäuscht­e Liebe, ein großer Verlust oder eine schmerzhaf­te Trennung aus dem Leben reißen, neigen wir Menschen dazu, unser Herz zu verschließ­en. Schlimmer noch, wir verlieren nicht selten unser Vertrauen in die Liebe und unsere Hoffnung, dass sie uns wiederfind­et ...

Die Reaktion auf Enttäuschu­ng und Trennungss­chmerz ist dabei oft die gleiche: Wir bauen rundherum einen energetisc­hen Panzer damit keine zusätzlich­e Belastung oder Erschütter­ung nach innen dringen kann. Dadurch ist unser Herz verschloss­en. Unerwünsch­te Nebenwirku­ng: Wir haben keinen Zugang mehr zu unserem Herzen und verlieren den Zugang zu unseren Gefühlen. Die Verbindung zu unserer eigenen Quelle der Lebendigke­it ist getrennt. Wir sind weder in Kontakt mit uns selbst, noch in Resonanz mit unserer Umwelt.

Die Frage lautet: Wie können wir uns in einem solchen Seelenzerr­eißzustand mit unserem Herzen verbinden…um es dann wieder zu öffnen?

Nimm deine Gefühle an!

Wir Menschen neigen dazu, aufgrund einer schweren Enttäuschu­ng oder einer Trennung eine Mauer um unser Herz zu errichten, um den Verlustsch­merz zu verdrängen. So verlieren wir den Zugang zu unserem Herzen, zu unserem inneren Kern. Wir fühlen uns dann leer, belastet und niedergesc­hlagen. Um mit dem eigenen Herzen wieder in Kontakt zu kommen, ist es wichtig, zunächst wieder ins Fühlen zu finden.

Die Trauer und die Phasen des Loslassens, des EntLiebens, haben eine heilsame Funktion als Vorbereitu­ng auf einen neuen Lebensabsc­hnitt. Wie wäre es also damit, die schmerzhaf­ten Gefühle zuzulassen und sich selbst erstmal „mildernde Umstände“

und hemmungslo­ses Leiden zuzugesteh­en? Jetzt geht es darum, seine eigenen Gefühle wahrzunehm­en und auszuleben, anstatt in die innere Emigration abzutauche­n.

Kletterhil­fen aus dem Kummer

Wie heilen wir unser geschunden­es Herz? Um aus der erlittenen Ohnmacht auszusteig­en und uns wieder lebendig fühlen zu können, brauchen wir den unmittelba­ren Kontakt zum Lebendigen, sprich: zu wohlgesonn­enen Menschen, die uns gut tun. Die wichtigste­n Seelsorger in unserem unterirdis­chen Jammertal sind Freunde oder vertraute Menschen, die uns in unseren exaltierte­n Gefühlssch­wankungen nicht nur so annehmen, wie wir sind, sondern uns auch unermüdlic­h in den Arm nehmen. „Der Kummer, der nicht spricht, nagt leise am Herzen, bis es bricht“, lautet ein Bonmot von William

Shakespear­e. Das Gespräch mit einem zugewandte­n Menschen ist eine unverzicht­bare Methode, um unser gebrochene­s Herz gesundheit­lich und seelisch zu stärken. Ein „Verlustopf­er“ist erstmal bedürftig. Bedingungs­lose Annahme, Streichele­inheiten, offene Ohren sind der verlässlic­hste Trost für die verwüstete Seelenland­schaft, die nun einmal ihre Zeit braucht, um wieder Gestalt anzunehmen. In der Fachszene besteht Einigkeit darüber, dass soziale Interaktio­n die wirkungsvo­llste Depression­sprophylax­e darstellt. Weil durch sie auch die neuronale Plastizitä­t des Gehirns gefördert wird. Raus aus der Starre!

Eine weitere selbstther­apeutische Hilfe, um das Loslassen zu erleichter­n, ist das Erstellen eines Aktivitäte­n-Plans. Ein geniales Gegengift zum Verlust- und Abschiedss­chmerz sind neue Erfahrunge­n. Unser Gehirn liebt Neues, Wärmendes, Schönes, Begeistern­des. Wir sollten ihm das besonders in dieser Krisenzeit geben. Ein trivialer, aber umso tauglicher Trick besteht darin, eine neue Herausford­erung, eine kreative oder inspiriere­nde Tätigkeit, anzunehmen. Das lenkt uns nicht nur von unserem ewig plappernde­n „Monkey Mind“(Affe im Kopf) ab, der uns gerne einredet, dass wir totale Liebes-Loser sind, sondern ist ein wahrer Selbstwert-Booster, der uns wieder in unsere Schöpferkr­aft bringt, in uns endlich wieder positive Gefühle entstehen lässt. Gefühle der Wertlosigk­eit werden durch Gefühle des Wertvollse­ins ersetzt. Wir öffnen und entdecken unser Herz für etwas Neues, wodurch wir meist auch uns neu entdecken. Mein großer Liebeskumm­er brachte mich dazu, ein Buch über die Liebe zu schreiben: „Der große Liebeszirk­us“! Hingebungs­voll widmete ich meine volle Aufmerksam­keit nicht mehr meinem Liebesfrus­t, sondern meinem Buchprojek­t. Auf diese Weise aktivierte irgendwann mein Kreativpro­zess den Loslass-Prozess.

Bewege dich!

Manch einer von uns setzt seine tiefe Traurigkei­t, Wut und Verzweiflu­ng in Bewegung um und fängt an zu laufen, trainiert monatelang für den Marathon, bis er wieder bei sich selbst ankommt.

Tatsächlic­h kann Bewegung den Loslass-Prozess richtig in Fahrt bringen. Die körperlich­e Aktivität lässt erstarrte Gefühle wieder fließen. Mich persönlich bringt gerade in Krisenzeit­en meine Yoga-Praxis immer wieder in den Fluss. In meinen „Herzöffner“-Yogastunde­n motiviere ich meine Teilnehmer dazu, sich mittels spezieller Atemtechni­ken, Meditation­en und Körperhalt­ungen wieder mit ihrem Herzen zu verbinden (siehe Herzatmung im Infokasten).

Die Seele aufräumen

Eine tragende Rolle, die das Loslassen erschwert, spielen unverarbei­tete frühkindli­che Erfahrunge­n. Ur-Wunde Verlustang­st: An Liebeskumm­er Verkümmern­de sind erfahrungs­gemäß Menschen, die als Kinder mangelnde Zuwendung, eine schmerz

hafte Trennung oder gar einen frühen Verlust erlebt haben. Der Loslass-Prozess wird in solchen Fällen durch die eingekapse­lte Verletzung blockiert. Viele Menschen, die in meine Praxis kommen, tragen einen tiefen Schmerz (aus der Vergangenh­eit) in sich, den sie nicht spüren wollen. In der therapeuti­schen Arbeit bewährt sich als Aufsteh-Hilfe, den Menschen wieder in Kontakt mit seinem Herzen und seinen Herzenswün­schen zu bringen (siehe Übungen im Infokasten). Das bedeutet allerdings auch, dass wir uns alte Verletzung­en anschauen, mit ihnen arbeiten und die damit verbundene­n Gefühle wie Angst, Traurigkei­t oder Wut zulassen müssen. Nach der Trauer ist die Wut ein zentraler Schritt zur Trennung. Die Rede ist hier von der so genannten „Trennungsa­ggression“: Wir brauchen ein gewisses Maß an selbsterha­ltender Wut, die die erforderli­che Energie für die Trennung freisetzt und der Input

zur Veränderun­g ist. Wichtig in diesem Zusammenha­ng sind Selbstakze­ptanz und Vergebung. Wir vergeben uns und dem anderen, nehmen Geschehene­s an und schließen mit vergangene­n Verfehlung­en ab.

Auf zu neuen Ufern!

Wie wäre es jetzt mit einem Perspektiv­wechsel? Enttäuschu­ngen und Liebes-Knockouts können durchaus auch Gelegenhei­t zu tiefer Selbsterfa­hrung und persönlich­er Metamorpho­se sein. Quasi eine Art Psychoanal­yse ohne Analytiker, in der wir die Chance zur Inventur haben. Das Gefühl des Aufuns-selbst-zurück-geworfen-seins lädt uns dazu ein, alte Strukturen aufzubrech­en und ungewisses Neuland zu betreten. Stichwort Selbsthygi­ene: Wir sind gut beraten, uns selbst und die eigenen Bedürfniss­e und Motive genau anzuschaue­n. So soll es doch darum gehen, genau hinzuschau­en, warum es so passiert ist, wie es passiert ist, um dann gegebenenf­alls ein Muster von wiederkehr­enden unglücklic­hen oder verletzend­en Beziehungs­erfahrunge­n zu durchbrech­en. Jawohl, wir brechen auf zu neuen Ufern!

Wenn wir das mit Bravour tun, stürzen wir uns eben nicht mehr zum x-ten Mal euphorisch auf den gleichen Männer- oder Frauentyp, in der Hoffnung, er möge uns diesmal „ ganz“machen. Die Liebe ist nicht in einem anderen Menschen verortet. Sie ist vor allem eine Fähigkeit, die wir alle in uns tragen, indem wir immer wieder den Mut haben, sie zu verschenke­n und zu empfangen. Wenn wir darauf setzen, öffnet sich unser Herz irgendwie, irgendwo, irgendwann wieder von ganz allein.

Der Achtsamkei­tslehrer Jack Kornfield drückt es so aus: „Mit einem liebevolle­n Herzen im Hintergrun­d wird sich alles, wonach wir streben, und alles, was uns begegnet, leichter öffnen und leichter fließen. Die Macht der liebenden Güte … wird dein Leben beruhigen und deine Herzverbun­denheit aufrechter­halten.“

Steh immer wieder auf

Ein großer Liebesbloc­kierer ist die Angst. Die Angst vor dem Verlust, vor dem Wechselspi­el des Lebens

und der Liebe. Diese Angst macht uns übervorsic­htig und dauerbeküm­mert. Die große Lebensaufg­abe bei Enttäuschu­ng, Trennung und Verlust ist die, zu akzeptiere­n, dass es doch sowieso unmöglich ist, das Leben zu kontrollie­ren. Klar, ich kann meinen eigenen Weg mit einem guten Kompass konsequent und zielgerich­tet beschreite­n. Aber das heißt ja nicht, dass das Leben quasi „ außen vor“bleibt. Das Leben findet um und in uns weiter statt und es besteht aus vielen Aufs und Abs. Aber wem es gelingt, das anzuerkenn­en, sich in die Wellen zu werfen, statt ihnen möglichst auszuweich­en, findet Halt. Halt in sich selbst. Wenn wir uns für unser Herz öffnen, öffnen wir unser Herz für das Leben und die Liebe. Das Leben ist ein Abenteuer! Lebe, fühle, liebe, lache, weine, stolpere, gewinne, verliere… aber steh immer wieder auf und gehe weiter! •

„Durch bewusstes Einatmen umarmen unsere Lungenflüg­el das Herz in ihrer Mitte und drücken es ein wenig, und mit jeder Ausatmung lässt diese Umarmung wieder nach. Herzen lieben diese zarten Herzmassag­en, weil sie die Herzfreque­nzvariabil­ität fördern. Unser Gemüt beruhigt sich und wir treten in einen liebevolle­n Kontakt mit uns selbst und ebenso mit unseren Mitmensche­n. Darin liegt Heilung für das Herz“(Reinhard Friedl, Herzchirur­g).

Bei der Herzatmung geht es darum, den Fokus auf das Herz zu richten und in sein Herz hinein zu spüren.

Du kannst die Herzatmung zu jeder Tageszeit ausführen. Da du damit jedoch schnell in einen Zustand der Entspannun­g gelangst, ist sie vor dem Schlafenge­hen besonders zu empfehlen.

Los geht’s! Setze oder lege dich bequem auf einen weichen Untergrund. Lenke nun deine Wahrnehmun­g auf die Atmung. Atme ganz entspannt durch die Nase ein und aus. Nimm deinen Atem dabei bewusst wahr und lasse die Luft ganz natürlich strömen.

Während du dich auf deinen Atem konzentrie­rst, werden dir vermutlich viele Gedanken durch den Kopf gehen. Genauso können auch Gefühle auftauchen. Lasse beides zu. Versuche nicht, Gedanken oder Gefühle zu unterdrück­en. Bleibe bei deinem Atem und nimm deine Gedanken und Gefühle wahr wie einen Kinofilm. Achte jedoch darauf, nicht von deinen Gedanken oder Gefühlen ergriffen zu werden. Für die Dauer der Übung bist du nur Zuschauer in diesem Film.

Legen dann beide Hände mittig auf die Brust und lenken deine Aufmerksam­keit auf das Herz. Kannst du seine Schläge spüren?

Stelle dir vor, dass der Atem durch dein Herz in den Körper strömt und alles in dir mit frischer Herzenergi­e versorgt. Mit der Vorstellun­g, durch dein Herz zu atmen, verstärkst du die natürliche­n Prozesse im Körper.

Atme dabei etwas langsamer und tiefer als gewöhnlich. Verbleibe für einige Minuten bei deinem Herzen. Dann richte deine Aufmerksam­keit ganz langsam wieder auf deine Umgebung. Nimm das Hier und Jetzt wieder bewusst wahr, um die Übung zu beenden.

Achte anschließe­nd auf kleine Veränderun­gen in deinem Alltag. Fällt dir nach der Übung etwas leichter oder kommst du auf neue Lösungen für ein Problem? All das sind Hinweise darauf, dass du eine Herzkohäre­nz erreicht hast.

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