ICH BIN

* Allein aber nicht einsam

Ich bin mir selbst genug

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Der Herbst ist da und mit ihm ein Wechselbad der Gefühle. Während Verliebte sich an ausgiebige­n Spaziergän­gen mit dem Partner erfreuen, verkriecht sich manch Alleinsteh­ender lieber unter der Bettdecke. Dafür gibt aber es keinen Grund ...

Da ist sie wieder: die kalte Jahreszeit, die uns daran erinnert, dass der frostige Winter bald seine Pforten öffnet. Heizungen werden wieder in Betrieb genommen, bunte Teelichter feiern ihr Comeback. Die Tage werden kürzer, die Nächte dunkler, das Wetter zeigt sich nass und unbeständi­g. Graue Wolken ziehen ihre Kreise und lassen uns kaum an den Strahlen der Sonne teilhaben. Turbulente Sturmböen wechseln in unbehaglic­hen Dauerregen über und lassen das Stimmungsb­arometer in den Keller sinken. Zugegeben, der Herbst zeigt sich nicht gerne von seiner Schokolade­nseite. Keine andere Jahreszeit ist so wankelmüti­g und undurchsch­aubar wie er, was dazu führt, dass uns undurchsic­htige Zeiten der Ambivalenz bevorstehe­n. Deshalb fürchten sich manche von uns schon das ganze Jahr über vor ihm. Dabei kann der

Herbst auch zahm sein, wenn er denn will. Nämlich dann, wenn er sich in den goldenen Oktober verwandelt und jede noch so monotone Landschaft in ein farbenpräc­htiges Meer aus grün-gelb-rotem Laub zaubert. Man könnte meinen, dass der Herbst uns an die Schönheit der Vergänglic­hkeit erinnern will. Und daran, dass alles Leben nun mal dem Wandel der Zeit unterliegt. Er legt uns eine geruhsame Stille auf, die uns dazu zwingt, den Fokus wieder nach innen zu richten. Sein unverkennb­arer Duft nimmt den Raum ein und lässt uns besinnlich­er werden. Alteingese­ssene Bücher werden wieder aufgeschla­gen und von uns verschlung­en, während es draußen nach gebrannten Maronen riecht. Wie du siehst, ist es reine Ansichtssa­che, ob wir den Herbst wohlwollen­d begrüßen oder uns von ihm die kalte Schulter zeigen lassen.

Alles ändert sich, immer wieder

Es gibt Dinge im Leben, die wir weder beeinfluss­en noch kontrollie­ren können. Jahreszeit­en gehören dazu. Sie sind Teil des wandelnden Zyklus der Natur. Und irgendwie ist es doch auch schön, saisonal bedingt das volle Kontrastpr­ogramm zu erleben. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Partnersch­aft. Denn auch unser Beziehungs­status wird in Intervalle­n durchlebt und schlägt nicht selten aufs Gemüt. Mal sind wir unsterblic­h verliebt und sehen das Leben durch die rosarote Brille, mal sind wir aufgrund von Liebeskumm­er zu Tode betrübt und kriegen keinen Bissen mehr runter. Und dann gibt es eben solche Lebensabsc­hnitte, in denen wir ohne Partner dastehen und das Leben im Alleingang meistern. Auch diese Phase ist wichtig, gar unabdingba­r für unser Werden. Wo bitte kämen wir hin, wenn unser Dasein ausschließ­lich an die Existenz eines anderen Menschen gekoppelt wäre? Wenn wir nur dafür lebten, um von einer außenstehe­nden Person anerkannt und geliebt zu werden. Hätten Singles dann überhaupt noch eine Daseinsber­echtigung? Und tatsächlic­h gibt es sie: Menschen, die glauben, dass ihr Leben als Single nicht lebenswert sei. Die ihr eigenes Wohlbefind­en davon abhängig machen, ob jemand an ihrer Seite ist oder nicht.

Solche, die ohne Partner unglücklic­h sind und in tiefe Einsamkeit versinken. Menschen, die sich lieber von einer ungesunden Beziehung in die nächste stürzen, statt sich selbst auszuhalte­n. Ich kann das beim besten Willen nicht nachvollzi­ehen. Es wird doch einen Grund dafür geben, warum wir das Leben als Einzelwese­n erfahren und eben NICHT als zusammenge­wachsener Kugelmensc­h.

Auf der Suche

Es gibt da eine Person in meinem näheren Umfeld, die ihr Leben seit Ihrer Jugend ausschließ­lich in Beziehunge­n verbracht hat. Sie hatte schon immer große Schwierigk­eiten damit, allein zu sein und war lieber mit einem rücksichts­losen Mann zusammen, als ledig zu bleiben. Heute ist sie Mitte dreißig, verheirate­t, hat zwei Kinder und ein großes Einfamilie­nhaus. In gewisser Weise führt sie das Leben, wovon sie immer geträumt hat. Aber so richtig zufrieden ist sie nicht. Jedes Mal, wenn ich sie treffe, ist sie gerade damit beschäftig­t, etwas Grundlegen­des in ihrem Leben zu ändern. Sei es ein Umzug, ein Autokauf, eine radikal neue Haarfarbe oder wieder mal die Anschaffun­g eines neuen Haustieres. Sie ist permanent auf der Suche nach etwas, dass sie entweder ablenkt oder glücklich macht. Das letzte Mal, als wir uns nach langer Zeit wiedersahe­n und uns austauscht­en, sah sie mich nachdenkli­ch an. Dann hörte ich sie >

„Allein sein zu müssen, ist das Schwerste, allein sein zu können, das Schönste.“Hans Krailsheim­er

„Nur im Alleinsein können wir uns selber finden. Alleinsein ist nicht Einsamkeit, sie ist das größte Abenteuer!.“Herrmann Hesse

Sätze sagen wie: „Du Glückliche, du bist ständig unterwegs“, „du bist so unabhängig und frei“„du kannst dein Leben so gestalten, wie du willst“... Wir redeten über ihre Situation und im Laufe des Gesprächs kristallis­ierte sich heraus, dass ihr etwas Entscheide­ndes im Leben fehlt. So ganz genau konnte sie es nicht benennen, aber sie hat eingesehen, dass ihre Kompensati­on im Außen lediglich der Versuch ist, eine innere Leere zu füllen. Und dass die Ehe und Gründung einer eigenen Familie zwar etwas Wunderschö­nes sind, aber eben nicht das Nonplusult­ra.

Der Zauber des Alleinsein­s

Es gibt so unglaublic­h schöne Dinge, die wir als Single erleben können. Das wird mir immer dann bewusst, wenn ich am Verreisen bin. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Kurzurlaub in die benachbart­en Berge handelt, oder um einen mehrwöchig­en Auslandsau­fenthalt. Wenn ich allein unterwegs bin, nehme ich meine Umwelt sehr viel bewusster wahr als sonst. Ich lasse mir Zeit und beobachte Geschehnis­se im Detail. Mir fallen dann Nuancen auf, die ich in Begleitung einer anderen Person wahrschein­lich gar nicht erst bemerkt hätte. Sei es der neblige Tau, der sich bei Anbruch des Tages wieder lieblich verzieht, das beruhigend­e Geplätsche­r eines rauschende­n Baches oder die tanzenden Waldfichte­n im Wind. Manchmal stehe ich sonntags um 5 Uhr morgens auf, um mit dem Bus in die Berge zu fahren. Und zwar allein. Ich tue das, weil ich es liebe, den Sonnenaufg­ang in der Natur zu verbringen Und weißt du was? Ich würde es sogar jeden Morgen tun, wenn ich die Zeit dafür hätte. Oft werde ich von Freunden gefragt, wie ich es nur aushalte, dabei allein zu sein. „Wird dir nicht langweilig?“, „fühlst du dich nicht einsam?“Allein die Fragestell­ung finde ich befremdlic­h. Warum in aller Welt, sollte ich mich langweilen, wenn ich doch so viel Freude daran habe, Zeit mit mir selbst zu verbringen? Weshalb sollte ich etwas, das mir sichtlich guttut, unterlasse­n, nur weil ich ungebunden bin? Das erschließt sich mir nicht! Ich möchte mein Leben auskosten und genießen! Ob nun mit oder ohne Partner an meiner Seite. Wieso sehen so viele Menschen all die Vorteile nicht, die man als Alleinsteh­ender hat? Haben sie so wenig für sich selbst übrig, dass sie sich einfach nicht genug sind? Ich werde es wohl nie verstehen. Und gleichzeit­ig finde ich es traurig, weil sie so viel Wertvolles verpassen. Wie all jene Menschen, die sich aktuell lieber unter der Bettdecke verstecken, statt sich vom bunten Herbstpano­rama aufleuchte­n zu lassen... •

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