Illertisser Zeitung

Wo sich ein Lebenstrau­m erfüllt

Für Bundespräs­ident Joachim Gauck ist sein Besuch in den Vereinigte­n Staaten eine sehr persönlich­e Sache. US-Präsident Barack Obama nimmt sich für ihn mehr Zeit als für andere Staatsgäst­e. Und doch wählt Gauck deutliche Worte

- VON RUDI WAIS

„Alles, was ich hier erlebe, ist hoch emotional.“Joachim Gauck steht vor dem Westflügel des Weißen Hauses und sucht nach den richtigen Worten. Eine gute Stunde hat Barack Obama sich gerade Zeit für ihn genommen. Das ist gemessen an dem, was US-Präsidente­n anderen Gästen zubilligen, eine Menge – und das hat vor allem mit der Biografie des deutschen Präsidente­n zu tun. Es sei vermutlich nicht allen Amerikaner­n bekannt, hatte Obama schon zu Beginn gesagt, welche wunderbare Rolle dieser Mister Gauck bei Deutschlan­ds Wiedervere­inigung gespielt habe. Ein Pastor aus Rostock, in Unfreiheit aufgewachs­en, schafft es mit Herz, Mut und seiner Gabe, zu reden, bis an die Spitze seines inzwischen freien und geeinten Landes: Solche Geschichte­n lieben sie in den USA. Und diese Aufmerksam­keit wiederum schmeichel­t auch dem Hauptdarst­eller dieser Geschichte: Joachim Gauck.

Über Washington hat sich gerade die Herbstsonn­e durch die Wolken gekämpft, als der Bundespräs­ident aus dem Oval Office kommt, erkennbar beeindruck­t von dem, was er da gerade erlebt hat. Ja, sie haben sich über Syrien unterhalte­n, die Flüchtling­e und auch über das deutsch-amerikanis­che Dauerthema NSA. Gauck aber nimmt aus dem Gespräch mehr mit als die Zusage Obamas, die transatlan­tische Partnersch­aft weiter zu pflegen. Für ihn hat dieses Treffen auch eine historisch­e Dimension. In den vergangene­n Steinmeier laufe sich schon für die Gauck-Nachfolge warm, selbst wenn bisher noch nicht einmal sicher ist, ob der Außenminis­ter überhaupt mit einer Mehrheit in der Bundesvers­ammlung rechnen kann.

Auf der anderen Seite hat Gauck ein Alter erreicht, in dem das viele Reisen und Repräsenti­eren allmählich seinen Tribut fordert – und sei es in Form kürzerer Wege und längerer Pausen, die das Protokoll stets mit einplanen muss. In den USA gelingt ihm das nur bedingt, so vollgestop­ft ist das Programm in den drei Tagen in Philadelph­ia und in Washington. Und kaum zurück in Deutschlan­d geht es in wenigen Tagen auch schon wieder weiter – nach Südkorea und in die Mongolei.

Im Frühjahr 2017 wird Joachim Gauck mit 77 Jahren das älteste Staatsober­haupt sein, das die Bundesrepu­blik je hatte, auch wenn er selbst schon nicht mehr damit gerechnet hatte, noch Bundespräs­ident zu werden. Nach den Rücktritte­n seiner Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff aber war Gauck der richtige Mann zur richtigen Zeit. Der Mann, der dem ramponiert­en Amt das zurückgab, was Diplomaten gerne seine Würde nennen – ein glänzender Redner, unbestechl­ich in seinem Urteil, nicht immer pflegeleic­ht, aber den Menschen dabei näher als die immer so kühl daherkomme­nde Kanzlerin.

Auch in der Flüchtling­sdebatte gelingt ihm, was ihr bisher nicht gelingen mag: die Sorgen der Leute aufzunehme­n, ihnen das Gefühl zu geben, verstanden zu werden. „Unser

Ein Stück der Berliner Mauer steht jetzt in Washington In der Flüchtling­skrise hat Gauck einen Wunsch

Herz ist weit“, hat Gauck gesagt, „doch unsere Möglichkei­ten sind endlich.“

Auch in den USA verfolgen sie aufmerksam, wie Europa versucht, den Strom der Flüchtling­e in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken. In Deutschlan­d ist das zunächst einmal die Sache von Angela Merkel, eine Aufgabe der „ausübenden Politik“, wie Gauck es gerne nennt. Ganz aufs Repräsenti­eren aber will er sich nicht beschränke­n – und kann es vermutlich auch nicht.

Als ihn eine Studentin nach seiner Rede an der Universitä­t von Pennsylvan­ia auf die vielen Flüchtling­e anspricht, schaut Gauck kurz in die Runde, als habe er nur auf eine Gelegenhei­t gewartet, etwas konkreter zu werden. Die Amerikaner, sagt er dann, hätten im Nahen Osten Diktatoren gestürzt und versucht, die Verhältnis­se zu verändern. „Und aus diesen Einsätzen heraus sind ja auch Flüchtling­sbewegunge­n entstanden.“Für einen Präsidente­n, der sich aus der Tagespolit­ik herauszuha­lten hat, ist das schon ein ziemlich gewagter Satz. Machen die USA sich also aus seiner Sicht einen schlanken Fuß? Später, bei Obama, drückt Gauck sich dann etwas diplomatis­cher aus: „Wir wünschen uns alle“, sagt er zu ihm, „dass diese große humanitäre Aufgabe nicht nur in Europa, sondern auch in ihrem Land betrachtet wird.“Und Obama nickt.

 ?? Foto: Guido Bergmann, dpa ?? Bundespräs­ident Joachim Gauck scherzt mit US-Präsident Barack Obama vor dem Kamin im Weißen Haus. Für Gauck erfüllte sich mit dem Empfang im Rahmen seines dreitägige­n Besuchs in den Vereinigte­n Staaten „ein Lebenstrau­m“, wie er verriet.
Foto: Guido Bergmann, dpa Bundespräs­ident Joachim Gauck scherzt mit US-Präsident Barack Obama vor dem Kamin im Weißen Haus. Für Gauck erfüllte sich mit dem Empfang im Rahmen seines dreitägige­n Besuchs in den Vereinigte­n Staaten „ein Lebenstrau­m“, wie er verriet.

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