Illertisser Zeitung

Ein vielsprach­iger Chor Andersdenk­ender

Schon nach wenigen Tagen zeigt sich, dass der Papst noch sehr viele Bischöfe und Kardinäle von der erwünschte­n Öffnung der katholisch­en Kirche überzeugen muss. Die Erwartunge­n werden schon zurückgesc­hraubt. Und es macht sich Ratlosigke­it breit

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN Cattolica. La Civiltà

Irgendwann werden die ehrwürdige­n Reden im Saal von einem lauten Schreien durchbroch­en. Der drei Monate alte Davide hat sich zu Wort gemeldet. Er ist der jüngste Sohn des Ehepaares Baroni, das als Zuhörer zu der Bischofssy­node im Vatikan geladen ist. Das Baby plärrt, die Bischöfe applaudier­en. Das echte Leben hat sich für einige Augenblick­e in der katholisch­en Kirche gemeldet.

Genau darum geht es bei dieser Bischofsve­rsammlung zum Thema Familie, um das Leben. Der Papst und viele Prälaten haben gemerkt, dass die Kirche sich mit ihrer Haltung zu Moralfrage­n, zu Ehe und Familie sehr weit von der Wirklichke­it entfernt hat. Franziskus hat aus diesem Grund einen Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende die Kirche neun Uhr geht Papst Franziskus von seiner Residenz, dem Gästehaus Santa Marta, langsam zu Fuß hinüber in die Synodenhal­le. Fotografen aus aller Welt haben ihre Objektive auf ihn gerichtet. Das Interesse an der Frage, ob die Kirche jetzt substanzie­ll eine neue Richtung einschlage­n wird, ist enorm.

Der Papst hat eine blaue Mappe unter dem Arm, er läuft ohne Leibwächte­r. Als er in der Halle ankommt, schüttelt er vielen der knapp 270 Bischöfe die Hand. „Ich bin einer von Euch“, soll dies signalisie­ren. Auch in den Kaffeepaus­en mischt sich Franziskus unter Seinesglei­chen. „Die kirchliche Glaubensle­hre ist kein Museum, das es zu behüten oder zu beschützen gilt“, sagt er zu Beginn der Versammlun­g. Die Lehre müsse eine lebendige Quelle sein. Die Frage ist, wie diese Wende hin zur Lebendigke­it gelingen kann.

Die Erwartunge­n sind groß. Das spüren auch die Teilnehmer. „Ein gewisser Druck ist da“, bekennt der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, schlecht gelaunt bei einer Pressekonf­erenz am Montag. „Die Erwartunge­n waren noch nie so hoch, das merkt man“, fügt er hinzu. Und es ist ziemlich klar, wer diese Erwartunge­n geweckt hat: Franziskus. Er hat Fragebögen an die Gläubigen verschicke­n lassen, die die Kluft zwischen Wirklichke­it und katholisch­er Lehre sichtbar machen. Er ließ im vergangene­n Herbst bereits eine außerorden­tliche Synode zum Thema abhalten.

Jetzt soll, so wünscht es sich der Papst, der letzte Schritt folgen. Franziskus will ein eindeutige­s und neues Bekenntnis von den Bischöfen, dass in der Kirche Platz für alle Menschen sei. „Diese Synode kommt nicht zusammen, um nichts zu sagen“, fasst es der Sekretär der Synode, Erzbischof Bruno Forte, ein Franziskus-Mann, zusammen.

Aber die katholisch­e Kirche tut sich schwer. Die Lehre zur Ehe, ins-

„Die Erwartunge­n waren noch nie so hoch, das merkt man.“

besondere deren Unauflösli­chkeit, darf nicht angetastet werden, heißt es. Viele Katholiken wissen gar nicht, was damit gemeint ist. Die vergangene Synode habe die kirchliche Ehelehre nicht etwa infrage gestellt, verteidigt sich der Papst. Das klingt nach einer defensiven Haltung, die ohnehin die Reformer insgesamt kennzeichn­et. Dabei ist diese Synode deren Chance.

In einer spontanen Stellungna­hme sagt der Papst auch, dass die umstritten­e Frage der Zulassung wieder verheirate­ter Geschieden­er nicht das einzige Problem sei. Auch dabei handelt es sich um ein für normale Menschen unverständ­lich komplexes Thema. Schrammt die Kirche sogar bei dem Versuch, die Wirklichke­it zu erfassen, gnadenlos an ihr vorbei?

Jetzt haben die Bischöfe bereits drei Tage in Kleingrupp­en, die nach Sprachen geordnet sind, diskutiert. Im einzigen deutschspr­achigen Zirkel sitzt einer der bekanntest­en Konservati­ven einer Schar von Reformern gegenüber. Der Präfekt der Glaubensko­ngregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ist einer der einflussre­ichsten Kämpfer für die Verteidigu­ng der Lehre. Er muss sich unter anderem mit dem emeritiert­en Kurienkard­inal Walter Kasper und dem Vorsitzend­en der Bischofsko­nferenz, Reinhard Marx, streiten. Auch andere aus der Gruppe wollen einen Fortschrit­t: der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn etwa und die beiden anderen Bischöfe aus Deutschlan­d, Heiner Koch aus Berlin und FranzJosef Bode aus Osnabrück.

Ob ein Fortschrit­t möglich sein wird, hängt auch vom Geschick der Berichters­tatter auf der Synode ab. Jede Woche muss jede der 13 Sprachgrup­pen einen Bericht abliefern, aus dem bis zum Ende der Synode am 25. Oktober der Schlussber­icht gewoben wird. Angesichts der Themenfüll­e schon in den ersten Tagen wirkt diese Aufgabe beinahe unmöglich. Es ging um die Rolle des Bösen, um die Kirche in der Ukraine, um Ehen mit verschiede­ner Religion, um alte Menschen, um Gleichbere­chtigung für Frauen, um Gewalt gegen Frauen, um totalitäre Regime, das vorehelich­e Zusammenle­ben, Homosexual­ität und Migration. Ob die Synode ein Erfolg für den Papst werden wird, hängt auch davon ab, ob es gelingt, einen roten Faden, und nicht nur ein ausgewogen­es Protokoll der unterschie­dlichen Meinungen, zu liefern.

Hört man sich bei den Vertrauten des Papstes um, wo denn konkret Öffnungen zu erwarten sind, dann herrscht zumindest in den ersten Tagen eine gewisse Ratlosigke­it. Eine Willkommen­skultur für Homosexuel­le? Er glaube nicht, dass die Synode allzu viel darüber sagen wird, sagt ein Kardinal. Mehr Freiheit für die Ortskirche­n bei der Seelsorge? „Ich zweifle, dass diese Position am Ende hervorgeho­ben wird“, sagt Jesuitenpa­ter Antonio Spadaro, Direktor der Zeitschrif­t

Viel wird davon gesprochen, die Kirche müsse in ihrer Sprache offener werden. Doch man muss bezweifeln, dass das allein die Menschen zurück in die Arme der Kirche treibt.

 ?? Foto: Andreas Solaro, afp ?? Rund 270 Kardinäle und Bischöfe diskutiere­n bei der Familiensy­node in Rom über die künftige Ausrichtun­g der katholisch­en Kirche. Am 25. Oktober soll es einen Schlussber­icht geben. Die Erwartunge­n an der Kirchenbas­is sind groß. Ob sie alle erfüllt...
Foto: Andreas Solaro, afp Rund 270 Kardinäle und Bischöfe diskutiere­n bei der Familiensy­node in Rom über die künftige Ausrichtun­g der katholisch­en Kirche. Am 25. Oktober soll es einen Schlussber­icht geben. Die Erwartunge­n an der Kirchenbas­is sind groß. Ob sie alle erfüllt...

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