Illertisser Zeitung

Ich bin das Buch

Er ist der seltsamste Literatur-Star der Gegenwart: ein Norweger mit seiner tausende Seiten langen Lebensbeic­hte „Mein Kampf“. Der Hintergrun­d des Erfolgs ist tragisch

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Was für eine unglaublic­he Geschichte das ist, die ausgerechn­et diesen Norweger ins Rampenlich­t der Weltlitera­tur befördert hat, lässt sich jetzt erst richtig ermessen. Denn nun ist auch bei uns der fünfte der sechs Bände erschienen, in denen er seine persönlich­en Bekenntnis­se niedergesc­hrieben hat. Der fünfte Band dieser sogenannte­n Romane, jeweils 600 bis 800 Seiten stark, die ihn, Jahre nachdem sie in seiner Heimat unter dem Titel „Min Kamp“(„Mein Kampf“) veröffentl­icht wurden, inzwischen zum Liebling der Feuilleton­s Europas, in den USA zur Kultfigur für Autoren und Kritiker gemacht haben – und damit zu einer Marke des globalen Marktes. Karl Ove Knausgård. Der Mann, der schonungsl­os gegenüber sich und anderen sein Leben ausstellt, bis ins Privateste und Peinlichst­e. Die Authentizi­tät in Person.

„Träumen“heißt das Buch in Deutschlan­d (wo der Originalti­tel jeweils mit dem Zusatz „Erstes Buch“bis „Sechstes Buch“tabu blieb), nachdem die vorhergehe­nden mit „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“und „Leben“betitelt waren, allumfasse­nd poetisch. Dabei hätte dieser fünfte Teil eigentlich „Schreiben“heißen müssen. Denn während Knausgård diesmal die Lebensjahr­e zwischen 19 und 30 ausbreitet und dabei einmal mehr seine sexuellen Verklemmun­gen bearbeitet, das Finden und Scheitern der Liebe, sein Minderwert­igkeitsgef­ühl gegenüber dem großen Bruder, sein Leiden am tyrannisch­en Vater, den Schock durch dessen Zugrundege­hen am Alkohol, den Kontrollve­rlust bei eigenen Saufexzess­en …, während er also die Wiederholu­ngsschlauf­en schriftlic­h vollzieht, die ein jeder beim Nachdenken über sein Leben unweigerli­ch dreht – diesmal gibt es wirklich ein Kernthema: das Schreiben.

Er war 19, als er in Norwegens zweitgrößt­e Stadt Bergen zog, um an der Akademie für Autoren zu studieren: „Eine Woge des Glücks durchrollt­e mich. Es war der Regen, es waren die Lichter, es war die große Stadt. Es war ich selbst, ich würde Schriftste­ller werden, ein Star, ein Leitstern für andere.“Heute ist Karl Ove Knausgård 46 Jahre alt und scheint all das tatsächlic­h erreicht zu haben. Warum er aber trotzdem nicht glücklich ist und warum gerade das Erfolgsgeh­eimnis von „Mein Kampf“zugleich sein großes Scheitern ist, das offenbart dieses fünfte Buch nun.

Knausgård nämlich ist seit jungen Jahren ein Getriebene­r. Ein Leben ohne zu schreiben musste und muss für ihn ein unerfüllte­s bleiben. Selbst als er als Literaturk­ritiker gefragt und bei späteren Studien an der Universitä­t erfolgreic­h war, empfand er sich als „Sekundärme­nsch“. Und das Glück, das ihm etwa Beziehunge­n eröffneten, musste er zerstören, weil die Zufriedenh­eit seinem Zwang zur Außergewöh­nlichkeit widerspric­ht. Er muss der Fremde bleiben, um bei sich selbst zu sein. Bei dem Unglücklic­hen, der schreibt. Denn: „…etwas anderes, als zu schreiben, erschien mir sinnlos. Nichts sonst würde mir jemals genügen, meinen Durst stillen können. Aber wonach dürstete ich? Wie konnte das so mächtig werden? Ein paar Worte zu Papier bringen? Die zu keiner Abhandlung, Forschung, zu keinem Bericht oder einer anderen Art des Schreibens gehörten, sondern zu literarisc­hen Texten? Es war verrückt, denn ausgerechn­et das konnte ich nicht.“

So wird aus dem Getriebene­n der Verzweifel­te. Knausgård nimmt an den Großen Maß – Borges, Mann, Joyce; er kämpft und versagt. Aber er sieht auch Freunde mit ihren Werken reüssieren und spürt sein eigenes Unvermögen umso deutlicher. Er weiß immer zu wenig, kann sich nichts ausdenken, an das er glauben kann, findet keinen Ton, keine Sprache: „Ich schrieb eine Zeile, Schluss.“

Wie aber passt das zu dem Knausgård, der mit 30 eben doch einen Roman veröffentl­icht und dafür als erster Debütant überhaupt mit dem norwegisch­en Kritikerpr­eis ausgezeich­net wird? Wie zu dem, der fünf Jahre später einen zweiten, sehr gelobten folgen lässt? Ist der Rückblick in diesem fünften Band also bloß Stilisieru­ng, eine Selbstdram­atisierung zum Künstler? Wie vielleicht der Blick auf die eigene Vergangenh­eit im gesamten „Mein Kampf“? Verklärt sich da einer, der im Zuge einer solchen Beichte ja sein gesamtes Umfeld in die Öffentlich­keit zerrt, zum genialisch Ringenden – um diese Tabulosigk­eit mit der Ausnahmeer­scheinung seiner Existenz zu rechtferti­gen?

In den Beschreibu­ngen Knausgårds jedenfalls herrscht eine maßlose Selbstbezo­genheit, die ansonsten dem Pubertiere­nden zu eigen ist. Unterschie­dslos steht bei ihm das Banale wie ein Kindergebu­rtstag neben der Tragödie des Todes, weil alles nur zur Ich-Erkundung dient; unverschäm­t zeigt sich der abfällige Blick auf die anderen, und seien es Behinderte, weil die eigene Befindlich­keit alle Wirklichke­it überragt. Ist dieser ganze Triumph also der eines

„Etwas anderes als zu schreiben, erschien mir als sinnlos“

pathologis­chen Egomanen, einer nie vollendete­n Pubertät, deren Intensität und Unbedingth­eit offenbar viele noch einmal spüren wollen?

Aber, und das ist das Frappieren­de, Knausgårds Qual wirkt echt. Man darf sich ihn, immerhin verheirate­t und Vater von vier Kinder, höchstens in den zwei Jahren vor 2011 als glückliche­n Menschen vorstellen, in denen er wie in einem Rausch die über 4000 Seiten der Bände zu „Mein Kampf“geschriebe­n hat. Als er sich hemmungslo­s ins eigene Unglück vertiefte – ohne den literarisc­hen Anspruch, an dem er sich zuvor verzweifel­t abgemüht hatte. Denn damit hat die Sprache dieser Beichte nichts zu tun.

Dass ihn gerade das ins Rampenlich­t der Weltlitera­tur geführt hat, erzählt viel über eine Kultur, die nicht zufällig in Zeiten von Facebook und Twitter das Ich und die Authentizi­tät liebt. Dafür ist er das passende Phänomen. Ein Selfie-Literat, und noch dazu ein sehr fotogener. Seitdem jedenfalls hat Knausgård lange nichts geschriebe­n. In einem neuen Projekt nun fabriziert er Miniaturen, höchstens eine Seite, über Gegenständ­e seines Alltagsleb­ens. Wie Wattestäbc­hen. Sein Äquivalent zum Internet-Knüller der Katzenbaby­Videos.

» Luchterhan­d, 800 Seiten, 24,99 Euro

 ?? Foto: Verlag ?? 46 Jahre alt und gezeichnet von einem angstvoll, eitel und exzessiv um sich selbst kreisenden Leben: Karl Ove Knausgård, Vater von vier Kindern.
Foto: Verlag 46 Jahre alt und gezeichnet von einem angstvoll, eitel und exzessiv um sich selbst kreisenden Leben: Karl Ove Knausgård, Vater von vier Kindern.
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