Illertisser Zeitung

Die EU setzt auf Abschiebun­g

Wirtschaft­sflüchtlin­ge sollen zurückkehr­en. Bald wird in Griechenla­nd registrier­t

- VON MIRJAM MOLL

Von einer Abschottun­g Europas mochte zwar niemand sprechen. Doch das, was die Innenminis­ter gestern in Luxemburg beschlosse­n, kommt dem sehr nahe. „Ein Europa ohne gesicherte Außengrenz­en wird bald ein Europa voller innerer Grenzkontr­ollen sein“, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière unmittelba­r vor Beginn der Gespräche. „60 Millionen Menschen weltweit sind derzeit auf der Flucht“, erklärte die österreich­ische Ressortche­fin Johanna Mikl-Leitner. „Es liegt auf der Hand, dass Europa keine 60 Millionen aufnehmen kann.“

Um zumindest die Zahl derer, die bereits nach Europa gekommen sind, aber keinen Anspruch auf Asyl haben, zu reduzieren, stimmten die Minister einem Aktionspla­n zur Rückführun­g von sogenannte­n Wirtschaft­sflüchtlin­gen zu. Dazu gehört auch, schneller und konsequent­er abzuschieb­en. Nur 40 Prozent der Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, seien 2014 zurück in ihre Heimatländ­er gebracht worden, hieß es in einem Bericht der Kommission. Deshalb will man künftig die EU-Grenzschut­zbehörde Frontex einbeziehe­n. Eine neue Rückkehrab­teilung soll geschaffen werden, schnelle Eingreifte­ams sollen vor Ort bei der Identifizi­erung helfen und auch gleich gemeinsame Rückflüge organisier­en.

Die Heimatländ­er will man mit verstärkte­r Entwicklun­gshilfe dazu bringen, ihre Staatsbürg­er zügig heimkehren zu lassen. Da viele Flüchtling­e keine gültigen Ausweispap­iere besitzen, soll es einen Laissez-passer-Pass als Standarddo­kument für die Ausweisung von Drittstaat­enangehöri­gen geben. Allerdings müsste dieser von den Herkunftsl­ändern anerkannt werden.

Gleichzeit­ig soll geprüft werden, inwieweit sichere und tragfähige Aufnahmeka­pazitäten in Ländern rund um Krisenregi­onen bestehen, also zum Beispiel im Libanon, in Jordanien oder in der Türkei. Dann könnten die Mitgliedss­taaten Asylanträg­e von Flüchtling­en, die aus dortigen Lagern nach Europa gekommen sind, zurückweis­en.

„Das kann nicht die ganze Antwort der EU-Innenminis­ter bleiben“, echauffier­te sich Birgit Sippel, innenpolit­ische Sprecherin der Sozialdemo­kraten im EU-Parlament. „Über Maßnahmen zur Abschottun­g ist man sich schnell einig“, während die Debatte um eine verbindlic­he Quote nicht einmal mehr Thema des Treffens sei.

Zwar hatten sich die Innenminis­ter per Mehrheitsb­eschluss bereits bei ihrer vorhergehe­nden Sitzung zur Umverteilu­ng von 120 000 Flüchtling­en entschloss­en. Doch für eine verpflicht­ende Quote fehlt weiter die Unterstütz­ung einiger EULänder wie Ungarn, Tschechien und Slowakei. Immerhin: Nachdem das erste sogenannte Hotspot-Zentrum auf der italienisc­hen Insel Lampedusa seine Arbeit aufgenomme­n hat, können heute die ersten Migranten von Italien nach Schweden fliegen. Zehn weitere solcher Flüge werden noch in diesem Monat folgen, versprach der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os. Auch in Griechenla­nd sollen fünf Registrier­ungsposten für Flüchtling­e errichtet werden. Doch es fehlt an Ressourcen: In Griechenla­nd gebe es noch nicht einmal Computer für die Speicherun­g der Fingerabdr­ücke, hatte der österreich­ische Bundeskanz­ler Werner Faymann nach einem Besuch auf der hellenisch­en Insel Lesbos berichtet.

Auch das Personal muss dringend aufgestock­t werden. Die Wiener Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner will dafür 50 Beamte entsenden. Auch Deutschlan­d, Schweden, die Slowakei, Tschechien und Bulgarien sagten personelle Unterstütz­ung zu. Migrations-Kommissar Avramopoul­os ging gestern davon aus, dass auch in Griechenla­nd binnen zehn Tagen zumindest einer der fünf geplanten Hotspots seine Arbeit wird aufnehmen können.

Noch am Abend trafen die Außenminis­ter gemeinsam mit der EUAußenbea­uftragten Federica Mogherini auf Vertreter der Westbalkan­staaten. Die Union will diese Regierunge­n dafür gewinnen, den Zustrom nach Europa einzudämme­n. Im November soll ein Treffen mit Vertretern einiger afrikanisc­her Staaten folgen. Denn ohne die Hilfe der Nachbarn, das ist inzwischen allen Beteiligte­n klar, wird diese Krise kaum zu bewältigen sein.

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Foto: afp „Wir können keine 60 Millionen aufnehmen“: die Wiener Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner.

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