Illertisser Zeitung

„Salafisten sind die besseren Sozialarbe­iter“

Ahmad Mansour war Islamist. Wie er nun versucht, Jugendlich­e vor der Radikalisi­erung zu bewahren und warum das so schwierig ist

- Die Was kann die Politik tun? Interview: Stefanie Schoene

Mansour wuchs als Palästinen­ser in Israel auf. Mit 13 Jahren schloss er sich den Muslimbrüd­ern an. Heute arbeitet der Ex-Islamist als Diplom-Psychologe im Bereich der Salafismus-Prävention. Wir haben mit ihm über die Gefahren der Radikalisi­erung und sein neues Buch „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismu­s umdenken müssen“gesprochen.

Herr Mansour, Sie engagieren sich für Projekte zur Deradikali­sierung Jugendlich­er. Sind diese Kinder die „Generation Allah“, von der Sie schreiben?

Ich meine mit dem Begriff nicht die vom Verfassung­sschutz beobachtet­en Salafisten. Ich schreibe in meinem Buch über jene Jugendlich­en, die ihre Religion als Tabu verstehen, die auf Kritik mit Aggression reagieren. Jugendlich­e, die antisemiti­sche Einstellun­gen haben und auf Verschwöru­ngstheorie­n mit Begeisteru­ng reagieren. Die Sexualität sowie Kontakte zu Mädchen und Frauen für tabu halten. Jugendlich­e, die sich mit solchen Haltungen brüsten, beten nicht unbedingt. Aber sie sind überzeugt, dass Demokratie schmutzig ist und die Gesetze des Islam gelten sollten. Was aber die Scharia eigentlich ist, davon haben sie meist keine Ahnung.

Sie benutzen also nur Teile der Religion, um sich zu orientiere­n und sich eine Identität zuzulegen?

Genau. Etwa die Hälfte der Jugendlich­en, mit denen ich arbeite, hat solche Überzeugun­gen verinnerli­cht. Das sollte uns Sorgen machen. Die offiziell etwa 770 Syrien-Dschihadis­ten und auch die etwa 7500 mehr oder weniger gewaltbere­iten Salafisten sind nur die Spitze des Eisbergs. Zur Generation Allah gehören viel mehr. Und sie sind Teil unserer Gesellscha­ft. Sie werten andere Religionen ab, verstehen den Koran wortwörtli­ch, sind oft antisemiti­sch und haben ein patriarcha­lisches Islamverst­ändnis.

Hat die deutsche Bildungspo­litik in diesen Milieus versagt?

Auf jeden Fall. Jahrzehnte­lang wurden muslimisch­e Jugendlich­e als fremd wahrgenomm­en. In den Problembez­irken der Städte haben die traditione­llen Denkmuster der Herkunftss­taaten überlebt. Für die Jugendlich­en dort herrscht kein barmherzig­er Gott, sondern ein strafender. Echte oder gefühlte gesellscha­ftliche Diskrimini­erungen sorgen dafür, dass die jungen Leute sich zusätzlich selbst abgrenzen. Wenn dann ein neuer Freund auftaucht, in seine Gruppe einlädt, sie zur Koranverte­ilung in Fußgängerz­onen ermuntert und die Demütigung von Muslimen überall auf der Welt bestätigt, fühlen sich die Jugendlich­en wertgeschä­tzt und inspiriert. Salafisten sind zurzeit eben die besseren Sozialarbe­iter.

Welche Verantwort­ung tragen Schulen an dieser Entwicklun­g?

Wenn eine Lehrerin mir fassungslo­s berichtet, dass einige in ihrer Klasse die Attentäter von Paris als Rächer des Propheten bewundern, dann frage ich mich: Wo war diese Lehrerin in den Jahren davor? Solche Einstellun­gen kommen doch nicht über Nacht.

Das könnte doch auch einfach Provokatio­n gewesen sein.

Leider nicht immer. In unseren Workshops ermuntern wir zu freier Diskussion. Oft haben wir festgestel­lt, dass hinter diesen coolen Sprüchen ein insgesamt religiösau­toritäres Weltbild steht. Schule muss aufwachen und Demokratie­erziehung als Aufgabe begreifen. Und sie muss endlich auf die Jugendlich­en mit familiärer Einwanderu­ngsgeschic­hte eingehen. Biografiea­rbeit, Wertschätz­ung für die Herkunft der Familien, der NahostKonf­likt, Diskussion­en über Meinungsun­d Religionsf­reiheit im AllAhmad tag – all das muss zum Repertoire der Lehrer gehören.

Sie schlossen sich mit 13 der Muslimbrud­erschaft an. Sehen Sie Parallelen zu deutschen Jugendlich­en?

Ich wuchs in einem ländlichen Dorf auf, litt unter dem familiären Patriarcha­t. Ich war unsicher und ängstlich. Der örtliche Imam sprach mich an. Er lud mich in seine Moschee ein, gab mir das Gefühl, bedeutungs­voll zu sein. Dann kamen Gehirnwäsc­he und Drill. Ich träumte vom Paradies, wies meine Eltern beim Beten zurecht und wurde zum religiösen Eiferer. Erst als ich die Intrigen in der Bruderscha­ft, die Machtspiel­e durchschau­te und nach dem Abitur endlich das Dorf verlassen konnte, emanzipier­te ich mich. Ja, in der Verlorenhe­it und in der Sehnsucht nach Stärke und Anerkennun­g sehe ich durchaus Parallelen, auch wenn jede Radikalisi­erung natürlich individuel­l verschiede­n ist.

Welche Rolle können Moscheever­eine bei der Prävention spielen?

Oft vertritt das Personal dort und in den großen Verbänden selbst einen bevormunde­nden Islam, der nicht zu selbststän­digem Denken, sondern zu Gehorsam erzieht. Angstpädag­ogik, irrational­e Ängste vor Schwimm- und Aufklärung­sunterrich­t – all das erzieht die Jugendlich­en nicht zu selbstvera­ntwortlich­en Subjekten. Die Moscheen sollten unbedingt eingebunde­n werden, wenn es gilt, eine konkrete Syrienreis­e zu verhindern. Aber für Prävention­sarbeit und politische Bildung sind sie weniger geeignet.

Prävention ist ein langfristi­ger Prozess. Hochglanzb­roschüren lösen das Problem nicht. Die Politik braucht Geld und ein Gesamtkonz­ept, damit wir eine andere, anerkennen­de Sozialarbe­it und eine neue Pädagogik umsetzen können.

geboren 1976, lebt seit 2004 in Berlin. Er arbeitet für Projekte gegen Extremismu­s, Unterdrück­ung und bei einer Beratungss­telle für Deradikali­sierung. Er hat zahlreiche Veröffentl­ichungen zum Thema Salafismus und Antisemiti­smus vorgelegt. Sein Buch „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismu­s umdenken müssen“ist in dieser Woche im Verlag S. Fischer erschienen.

 ?? Foto: Fischer-Verlag ?? Ahmad Mansour schreibt über die „Generation Allah“.
Foto: Fischer-Verlag Ahmad Mansour schreibt über die „Generation Allah“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany