Illertisser Zeitung

Erdogan blickt nach Westen

Syrien-Krise führt zu neuer Nähe. Verärgerun­g über Putin

- VON SUSANNE GÜSTEN

Seit Jahren schimpft Recep Tayyip Erdogan auf die EU und denkt hin und wieder laut über einen Beitritt der Türkei zu der von Russland und China dominierte­n Organisati­on der Shanghai Five nach. Doch wegen des Krieges in Syrien und der russischen Militärint­ervention dort sucht die Türkei nun wieder die Nähe zum Westen, zumindest aus taktischen Überlegung­en heraus.

Ankara freut sich über die Solidaritä­tsbekundun­gen der Partner: Die Nato fasst eine Truppenver­legung in die Türkei ins Auge, um das Mitglied an der Südostflan­ke der Allianz zu schützen. In ihren Reaktionen auf die russischen Angriffe in Syrien beschwören türkische Regierungs­politiker fast täglich den Beistand der Nato. Russland habe nicht nur den Luftraum der Türkei, sondern auch den der Nato verletzt, sagte Erdogan.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g betonte, die Allianz sei zu Truppenent­sendungen in die Türkei bereit, um den Verbündete­n zu schützen. Er verwies auf die neue sogenannte Speerspitz­e der schnellen Nato-Eingreiftr­uppe, die sowohl in Osteuropa als auch im Süden eingesetzt werden könne.

Dass sich in Anatolien ein neues Gegeneinan­der von Ost und West wie im Kalten Krieg ankündigt, liegt nach türkischer Auffassung allein an Russland. Erdogan fühlt sich ganz offenbar von seinem Amtskolleg­en Wladimir Putin hintergang­en. Noch vor kurzem habe er ausführlic­h mit Putin gesprochen, sagte Erdogan. Doch dann begannen die russischen Luftangrif­fe in Syrien, bei denen Putins Luftwaffe mehrmals in den türkischen Luftraum eindrang. Merklich verärgert sagte Erdogan, bis auf Weiteres wolle er nicht mehr mit Putin reden.

Russland hat mit dem Eingreifen in Syrien gleich mehrere türkische Pläne in dem Bürgerkrie­gsland über den Haufen geworfen. Dank der Hilfe des russischen Militärs könnte sich der syrische Staatschef Baschar al-Assad, dessen Ablösung Erdogan seit Jahren betreibt, auf Dauer im Amt halten. Gleichzeit­ig macht die russische Interventi­on eine Umsetzung des türkischen Vorhabens einer Schutzzone in Syrien sehr unwahrsche­inlich. Russland solle bloß nicht zu weit gehen, warnte Erdogan. Zwar ist die Türkei bei ihren Erdgasimpo­rten von Russland abhängig, doch sieht der türkische Präsident darin keine Einbahnstr­aße. Auch Russland muss nachdenken. Die Türkei könnte auch andere Lieferante­n finden.

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Foto: afp Neue Nähe: Erdogan (links) mit EU-Kommission­spräsident Juncker.

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