Erdogan blickt nach Westen
Syrien-Krise führt zu neuer Nähe. Verärgerung über Putin
Seit Jahren schimpft Recep Tayyip Erdogan auf die EU und denkt hin und wieder laut über einen Beitritt der Türkei zu der von Russland und China dominierten Organisation der Shanghai Five nach. Doch wegen des Krieges in Syrien und der russischen Militärintervention dort sucht die Türkei nun wieder die Nähe zum Westen, zumindest aus taktischen Überlegungen heraus.
Ankara freut sich über die Solidaritätsbekundungen der Partner: Die Nato fasst eine Truppenverlegung in die Türkei ins Auge, um das Mitglied an der Südostflanke der Allianz zu schützen. In ihren Reaktionen auf die russischen Angriffe in Syrien beschwören türkische Regierungspolitiker fast täglich den Beistand der Nato. Russland habe nicht nur den Luftraum der Türkei, sondern auch den der Nato verletzt, sagte Erdogan.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte, die Allianz sei zu Truppenentsendungen in die Türkei bereit, um den Verbündeten zu schützen. Er verwies auf die neue sogenannte Speerspitze der schnellen Nato-Eingreiftruppe, die sowohl in Osteuropa als auch im Süden eingesetzt werden könne.
Dass sich in Anatolien ein neues Gegeneinander von Ost und West wie im Kalten Krieg ankündigt, liegt nach türkischer Auffassung allein an Russland. Erdogan fühlt sich ganz offenbar von seinem Amtskollegen Wladimir Putin hintergangen. Noch vor kurzem habe er ausführlich mit Putin gesprochen, sagte Erdogan. Doch dann begannen die russischen Luftangriffe in Syrien, bei denen Putins Luftwaffe mehrmals in den türkischen Luftraum eindrang. Merklich verärgert sagte Erdogan, bis auf Weiteres wolle er nicht mehr mit Putin reden.
Russland hat mit dem Eingreifen in Syrien gleich mehrere türkische Pläne in dem Bürgerkriegsland über den Haufen geworfen. Dank der Hilfe des russischen Militärs könnte sich der syrische Staatschef Baschar al-Assad, dessen Ablösung Erdogan seit Jahren betreibt, auf Dauer im Amt halten. Gleichzeitig macht die russische Intervention eine Umsetzung des türkischen Vorhabens einer Schutzzone in Syrien sehr unwahrscheinlich. Russland solle bloß nicht zu weit gehen, warnte Erdogan. Zwar ist die Türkei bei ihren Erdgasimporten von Russland abhängig, doch sieht der türkische Präsident darin keine Einbahnstraße. Auch Russland muss nachdenken. Die Türkei könnte auch andere Lieferanten finden.