Illertisser Zeitung

Die Schläge nach dem Schuss

Vor dem Landgerich­t Ingolstadt wird ein juristisch komplizier­ter Fall verhandelt

- VON STEFAN KÜPPER

Er habe schon am Gartentor zur Straße gestanden, habe die Hand auf der Klinke gehabt, habe nur weg gewollt. Weil er gewusst habe, dass ihr Streit noch schlimmer werden könnte. Und dann habe Mario W. diesen Satz gesagt: „Du musst auf deine Kinder aufpassen, sonst gibt es Ärger.“W. habe da bereits hinter ihm gestanden. Er sei ihm hintergeko­mmen und in den Lauf der Ceska Kaliber 7,65 in dessen Hand, in den habe er hineinscha­uen können. Und dann der Satz: Er solle besser auf seine Kinder aufpassen.

Der Mann auf der Anklageban­k, ein 47-jähriger Ingolstädt­er, schmal, zäh, markante Gesichtszü­ge, spricht mit sehr tiefer, ruhiger, vom Akzent etwas gebrochene­r Stimme: „Das war ein bisschen viel für mich.“Und: „Ich war schon extrem.“

Es ist der zweite Tag im sogenannte­n Streiterst­raßen-Prozess am Landgerich­t Ingolstadt. Der gebürtige Kasache muss sich wegen versuchten Totschlags verantwort­en.

Am Morgen des 3. September 2013 kommt es auf der Streiterst­raße von Ingolstadt zu der tödlichen Auseinande­rsetzung zwischen ihm und dem Kickboxpro­moter Mario W.. Es ist ein vielverspr­echender Spätsommer­tag. Die Ferien sind noch nicht vorbei, Morgenlich­t flutet das gutbürgerl­iche Westvierte­l von Ingolstadt. Alt-Oberbürger­meister Peter Schnell wohnt zum Beispiel hier.

Auch er hört einen Schuss an diesem Morgen. Er fällt, wenn das Geständnis des Angeklagte­n so stimmt, kurz nach diesem gefährlich­en Satz mit den Kindern. Der Angeklagte ist Masseur. Er ist aber auch beim Militär ausgebilde­t worden und er beherrscht die Kampfkunst Tai Chi. Er habe W. in den Arm gegriffen, die Waffe umgedreht und dann habe sich der Schuss gelöst. Dass die Waffe geladen gewesen sei, davon sei er ausgegange­n. Nicht aber, dass sie auch entsichert war. Die Kugel dringt in den Brustkorb von W. und die Obduktion ergibt später, dass allein dieser Schuss schon tödlich war.

Der frühere Geschäftsp­artner von W. aber denkt – so sagte er gestern vor Gericht – dass seine eigene Hand durchlöche­rt ist. Wegen des Schusses habe sie gebrannt und die Handfläche sei aufgerisse­n gewesen. Und so habe er begonnen „aus Angst und Wut“auf den allerdings bereits tödlich verletzten W. einzuschla­gen. „Da war alles abgeschalt­et. Das ist automatisc­h passiert.“Irgendwann, als er das Blut bemerkte, sei er dann wieder zu sich gekommen.

Der Fall ist juristisch komplex. Denn aus Sicht von Staatsanwa­lt Jürgen Staudt ist zwar der Schuss noch Notwehr gewesen. Da aber die Schläge nach dem Schuss auch tödlich hätten sein können, muss sich der Angeklagte nun wegen versuchten Totschlags verantwort­en. Und das, obwohl W. ja starb. Denn, so argumentie­rt die Staatsanwa­ltschaft weiter, der frühere Geschäftsp­artner von W. habe in der Kampfsitua­tion nicht wissen können, dass dieser tödlich getroffen war. Durch die heftigen Schläge habe er dessen Tod zumindest billigend in Kauf genommen.

Der Grund für den Streit übrigens: Geld. W. habe ihm noch einen fünfstelli­gen Betrag geschuldet. Und als W. ihm an diesem Morgen in der Laube sagte, dass er nicht zahlen werde, habe er zur Polizei gewollt, wie der Angeklagte gestern sagte. Die kam kurz darauf auch. Allerdings aus anderen Gründen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany