Das Jahr der jammervollen Waschlappen
Im Berlinale-Wettbewerb suhlen sich arg viele Männer in ihrer Midlife-Crisis. Die Jury hat es auch aus anderen Gründen nicht leicht
Betrachtet man die Welt durch die Brille des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs, lässt sich eines mit Sicherheit feststellen: Auf Männer ist kein Verlass. Männer suhlen sich in ihrer Midlife-Crisis wie der gefeuerte Musikkritiker in Josef Haders „Wilde Maus“, sind nicht in der Lage, Verantwortung zu übernehmen wie der Vater in Thomas Arslans „Helle Nächte“, ballern als hirnlose Alpha-Tiere auf wehrlose Wildschweine in Agnieszka Hollands „Pokot“oder rebellieren wehleidig mit unheilbaren Krankheiten gegen den beruflichen Erfolg ihrer Ehefrauen in Sally Potters „The Party“. So viele jammervolle Waschlappen hat man lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen, zumindest nicht im Kino.
Von zaudernd-kriselnder Natur ist auch die männliche Hauptfigur in Volker Schlöndorffs neuer Regiearbeit „Rückkehr nach Montauk“. Nur lose lehnt sich der Film an Max Frischs Erzählung „Montauk“an. Der halbwegs erfolgreiche Autor Max Zorn (Stellan Skarsgard) kehrt aus Berlin zurück nach New York, wo ihn nicht nur seine derzeitige Geliebte Clara (Susanne Wolff) erwartet, sondern auch die Erinnerungen an eine sehr viel größere Liebe, der er seinen letzten Roman gewidmet hat. Das Gefühl der Reue treibt den 60-Jährigen um, der viel zu spät erkannt hat, dass Rebecca (Nina Hoss) die Frau ist, mit der er sein Leben hätte verbringen sollen. Die erfolgreiche Anwältin scheint wenig begeistert zu sein, als Max wieder Kontakt zu ihr aufnimmt. Der Blick nostalgischer Wehleidigkeit, mit dem der Protagonist den verpassten Lebenschancen hinterhertrauert, bestimmt lange Zeit den Erzählton des Filmes, der nur langsam das narzisstische Künstler-Ego zu torpedieren beginnt. Aber man ahnt, dass eine Nina Hoss hier mehr sein wird als bloße Projektionsfläche für männliche Lebens-Retro-Romantik. Und wenn sie dann ausholt und die tragische Vergangenheit ihrer Figur transparent macht, wird die Selbstbezogenheit der Schriftstellerseele innerhalb weniger Filmminuten effizient zurechtgeschrumpft. Ein würdiges, selbstreflektives Alterswerk Schlöndorffs, aber einen wirklichen Bärenkandidaten wollte darin kaum einer sehen.
Größere Chancen dürfte der letzte Wettbewerbsbeitrag „Ana, mon amour“des rumänischen Regisseurs Calin Peter Netzer haben, der 2013 für „Mutter und Sohn“mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Ana (Diana Cavallioti) ist psychisch labil, leidet unter Panikattacken und Depressionen. In Toma (Mircea Postelnicu) scheint die Literaturstudentin einen verständnisvollen Partner gefunden zu haben. Durch alle Krisen hindurch steht Toma fest an ihrer Seite. Aber Fürsorge heißt auch immer Bevormundung und Macht. Ohne tendenziöse Parteinahme gräbt sich der Film tief hinein in die Abhängigkeitsstrukturen dieser Liebesbeziehung.
Das konnte man beim besten Willen nicht von vielen Filmen in diesem schwachen Wettbewerbsjahrgang behaupten. Ganz anders als im letzten Jahr war kein einziger Film dabei, der aufrüttelte oder unmittelbaren Diskussionsbedarf produzierte. Andere, kontroverse, wütende und enthusiastische Filme hat JuryPräsident Paul Verhoeven, der sich ja selbst als Kinoprovokateur einen Namen gemacht hat, zu Beginn der Berlinale gewünscht, und genau daran hat es in diesem Wettbewerbsprogramm gefehlt. Fast unmöglich scheint es vor diesem Hintergrund, Prognosen für die Bären-Vergabe zu stellen. Als Kritikerliebling liegt Aki Kaurismäkis „Auf der anderen Seite der Hoffnung“ganz weit vorne. In visueller, kompositorischer und narrativer Hinsicht ist dieser Film einer der wenigen, die wirklich Weltniveau zeigten. Aber kontrovers und provokativ ist der Film nicht. Da haben andere sich im Wettbewerb weiter vorgewagt. Agnieszka Hollands schräger VeganerThriller „Pokot“, Sally Potters messerscharfe Abrechnung mit dem linksliberalen Establishment in „The Party“, aber auch Ildikó Enyedis zart-unkonventionelle Schlachthof-Liebesgeschichte „On Body and Soul“dürften da schon eher ins Beuteschema der Jury bei der Vergabe des Goldenen Bären an diesem Samstag passen.