Wenn Lesen zum Dichten führt
Ein neues Handbuch beleuchtet Hugo von Hofmannsthal – und zwar von Augsburg aus
Kürzlich meinte der wieder einmal Sinn und Zweck der Germanistik infrage stellen zu müssen. Da kommt ein neues Buch gerade recht, in dem mehr als 40 Fachvertreter einen eindrucksvollen Beleg für die Existenzberechtigung dieser Disziplin erbringen. Das „Hofmannsthal Handbuch“füllt die akute Lücke eines Kompendiums über einen der faszinierendsten Literaten der klassischen Moderne, Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929). Projektiert wurde das Handbuch am Institut für Neuere Deutsche Literatur der Augsburger Universität – was nicht von ungefähr kommt, ist doch Lehrstuhlinhaber Prof. Mathias Mayer einer der Herausgeber der
Spiegel,
großen kritischen HofmannsthalAusgabe.
Der gebürtige Wiener Hofmannsthal, das macht das neue Handbuch gleich im Vorwort deutlich, war nicht nur ein Autor von bis heute bestrickender Sprachmagie, er verstand sich auch auf eine erstaunliche Formenvielfalt. Sie umfasste Lyrik ebenso wie Dramen und Komödien, Erzählungen und Essays, fiktive Gespräche und fiktive Briefe. Und doch ist Hofmannsthal dem breiten Gedächtnis nur noch ausschnitthaft präsent als Schöpfer mehrerer Opernlibretti für Richard Strauss – vorneweg „Der Rosenkavalier“– und natürlich des Mysterienspiels „Jedermann“.
Hier hilft das Handbuch, das von 300 Hofmannsthal-Werktiteln knapp 100 eine jeweils eigene Betrachtung angedeihen lässt, darunter allein 15 Gedichten. Überzeugend aber auch das erste Drittel des Handbuchs, in dem Licht fällt auf die Person des Schriftstellers und seine Lebens- und Arbeitswelt. Wichtigen Tendenzen der Zeit sind eigene Kapitel eingeräumt – welchen Stand hatte etwa das Judentum in Wien um 1900? –; knappe Einzeldarstellungen belichten die Beziehungen zu Zeitgenossen wie Stefan George, Rudolf Borchardt und Harry Graf Kessler. Erhellende Abschnitte gelten zudem den Interessenshorizonten des Dichters (u.a. Antike, Mittelmeerwelt, Orient) und dem „kreativen Leser“Hofmannsthal. Dessen literarisches Verfahren, so erfährt man, ist ein „Paradebeispiel des zitierenden und collagierenden Dichtens“. Viele seiner Werke – man denke nur an den „Jedermann“– „haben ihren Ursprung in der freien Bearbeitung weltbekannter literarischer Vorbilder, die Hofmannsthal zu eigenständigen modernen Texten weiterentwickelt“.
Wer umfassend ins Bild gesetzt werden will über Hofmannstahl, der wird künftig nicht vorbeigehen können an diesem Handbuch, das bei aller Dichte mit seinen 400 (doppelspaltigen) Seiten dennoch nicht den Charakter der Handlichkeit verliert. »
Leben – Werk – Wirkung. J.B.Metzler Verlag, 426 S., 89,95 Euro