„Schweinsteigör“feiert starkes Debüt
Der Ex-Nationalspieler trifft in seinem ersten Einsatz für Chicago Fire. Nach dem 2:2 ist der 32-jährige Weltmeister ausgepumpt und gibt an einem für ihn ungewohnten Ort Interviews
Bevor er den Rasen betritt, werden die 15103 Zuschauer im Toyota-Park von Bridgeview kurz auf den Mann eingestimmt, der da gleich mit seinen neuen Mitspielern aus den Katakomben kommt. Auf der Anzeigetafel gibt es Szenen mit magischen Momenten der Karriere von Bastian Schweinsteiger zu sehen. Dribblings und Tore im Trikot des FC Bayern München, im Dress der deutschen Nationalmannschaft und zu guter Letzt, Schweinsteiger mit dem goldenen Weltmeisterschaftspokal in den Händen.
Dass all dies schon einige Jahre zurückliegt, stört niemanden. Die Vorfreude ist groß an diesem Samstag am Stadtrand von Chicago. Und selbst das Wetter spielt mit. Der Himmel ist strahlend blau, nachdem er die vorangegangenen sieben Tage wolkenverhangen war. Das kann doch kein Zufall sein.
„Mit der Nummer 31, Bastschän Schweinsteigör“, hallt es aus den Lautsprechern, als der namhafte Neue aus Deutschland vorgestellt wird. Seit Dienstag ist der Mann mit dem Zungenbrecher-Namen in Chicago. Es wurde viel über ihn berichtet und erzählt. Er wurde sogar bei seiner Vorstellung von einem offenbar fußballfremden Journalisten gefragt, ob „Chicago denn mit ihm jetzt die WM gewinnen“könne? All das Vorgeplänkel ist jetzt vorbei. Die Fans wollen im Heimspiel gegen Montreal Impact endlich sehen, was der Bayer mit den grau melierten Schläfen noch so kann.
Schweinsteiger hat in den großen Arenen dieser Welt geglänzt. In Madrid, Mailand, München, Maracanã – jetzt kickt er hier in einer Art Sportpark, der vielen Drittligastadien in Deutschland gleichkommt. Zwei überdachte Haupttribünen, der Fanblock hinter einem Tor. Alles mitten in der Pampa, umgeben von einem Güterbahnhof und vielen Lagerhallen. Nur der Blick auf die rund 30 Kilometer entfernte Skyline von Chicago ist einzigartig.
Obwohl der Weltmeister und Weltstar schon viel erlebt und bis auf den Europameistertitel alles gewonnen hat, ist für ihn an diesem Tag einiges neu. So werden vor dem Spiel die kanadische und amerikani- sche Nationalhymne gespielt. Als der Ball rollt, merkt Schweinsteiger schnell, dass es in dieser Major League Soccer keinen Promi-Bonus gibt. Bereits in der zweiten Minute wird er am Mittelkreis zu Fall gebracht. Immer wenn er am Ball ist, wird das Publikum lauter – und in der 17. Minute schreien alle. „Schweinsteigör“köpft eine Flanke von David Accam zum 1:0 ein. In Hollywood hätten sie kein besseres Drehbuch schreiben können.
Dabei hatte Schweinsteiger im Vorfeld noch betont, dass er sich erst einmal an seine Mitspieler gewöhnen müsse. Und nun läuft er bereits nach seiner ersten Strafraumaktion jubelnd Richtung Fans. Die vergangenen beiden Spielzeiten hatten Chicagos Anhänger mächtig leiden müssen. Ihr Klub war jeweils Schlusslicht. Doch bereits mit der Schweinsteiger-Verpflichtung begann das fast erloschene Feuer bei Fire wieder leicht zu lodern.
Natürlich sei eine Erwartungshaltung an ihn da, sagt Schweinsteiger. In Manchester war das noch ganz anders. Bei United hatte Trainer José Mourinho für den Weltmeister schon lange keine Verwendung mehr, verbannte ihn zwischenzeitlich gar aus dem Kader. Dennoch murrte er nie, begehrte nicht auf, sondern sah alles „als einen Charaktertest“. Chicago wiederum sei für ihn nun „eine Herausforderung“.
Und bereits sein Debüt wird in der zweiten Halbzeit zu einer Frage des Willens. Schweinsteiger hatte seit mehr als zwei Monaten kein Spiel mehr über 90 Minuten bestritten. Die fehlende Kraft ist ihm anzumerken. Als Montreal kurz vor Schluss das Tor zur 2:1-Führung schießt, sinkt Schweinsteiger an der Mittellinie in die Knie.
Doch anschließend treibt er sein Team trotzdem noch einmal nach vorne und jubelt ausgelassen, als Chicago in der Nachspielzeit der Ausgleich gelingt. Nach der Partie beantwortet Schweinsteiger ausführlich alle Fragen – wenngleich die Form des Interviews neu für ihn ist. Er sitzt nicht etwa auf einem Podium bei der Pressekonferenz oder stellt sich in der Mixed-Zone den Medien, sondern steht vor seinem Spind, mitten in der Fire-Kabine. In den US-Profi-Ligen ist es üblich, dass die Presse nach den Partien in der Kabine mit den Spielern spricht, mitunter sogar während diese sich umziehen. In Europa ist die Umkleide für Journalisten tabu.
Zum Niveau der Liga könne er noch nicht viel sagen. Da müsse er erst ein paar Spiele absolvieren. Für ihn sei es ohnehin das Wichtigste, betont Schweinsteiger, dass er wieder auf dem Rasen stehen und Fußball spielen könne. Von Chicago hat er noch nicht viel gesehen. Aber das wolle er bald nachholen und freue sich drauf, die Stadt zu erkunden, so Schweinsteiger.
Und ihm gefällt auch der Gedanke an die Anonymität einer amerikanischen Millionen-Metropole. In Deutschland ist er ein Star, der überall erkannt wird. In Chicago hingegen können sich Schweinsteiger und Ehefrau Ana unbemerkt bewegen. Neues Land, neue Liga, neues Leben.