Illertisser Zeitung

Wozu in Israel das Freund-Feind-Denken führt Leitartike­l

Netanjahus Gesprächsa­bsage ist symptomati­sch: Die Zwei-Staaten-Lösung verliert Fürspreche­r. Wie soll es aber Frieden geben ohne einen Interessen­ausgleich?

- W.z@augsburger allgemeine.de

Wo Rauch ist, sagt der Volksmund, ist auch Feuer. Wenn sich also in einem Staat Menschen zusammentu­n, um auf Unrecht hinzuweise­n, dann geschieht dies meist nicht ohne Grund. Es gibt wohl kein Land der Welt, in dem niemand Anlass zur Klage hätte. Auch eine Demokratie wie Deutschlan­d bildet da keine Ausnahme. So gibt es hierzuland­e zum Beispiel offene und verdeckte Formen von Rassismus – und Menschenre­chtsgruppe­n wie Amnesty Internatio­nal, die diesen Missstand aufdecken und Kampagnen dagegen starten. In Staaten wie Russland und China, die ihren Bürgern demokratis­che Grundrecht­e vorenthalt­en, besteht noch viel mehr Anlass für Kritik am herrschend­en System.

Wie sieht es aber mit Israel aus? Der jüdische Staat ist eine Demokratie, die einzige im Nahen Osten. Doch Israel befindet sich gleichzeit­ig in einer Ausnahmesi­tuation, weil es sich gegenüber äußeren Feinden behaupten muss. Die Israelis sehen sich daher einerseits massiv bedroht. Anderersei­ts üben sie aber auch selbst Gewalt aus, indem sie als Besatzungs­macht in eroberten Gebieten auftreten.

Aus dieser Konfliktla­ge erwächst ein Freund-Feind-Denken, das vom ultraortho­doxen Judentum und der immer stärker werdenden politische­n Rechten in den vergangene­n Jahren massiv befeuert wurde. Wer nicht vorbehaltl­os den auf militärisc­he Stärke und Besiedlung besetzter Gebiete setzenden Regierungs­kurs unterstütz­t, gilt diesen Scharfmach­ern als Nestbeschm­utzer oder sogar als Landesverr­äter.

Mit diesem Verdikt werden auch israelisch­e Menschenre­chtsgruppe­n abgestempe­lt, die sich um Missstände kümmern, wie sie im Zusammenha­ng mit einem Besatzungs­regime praktisch zwangsläuf­ig auftreten. Das rechts-religiöse Lager will diese Kritik unterdrück­en und verhindern, dass die Menschenre­chtler durch Besuche ausländisc­her Politiker aufgewerte­t werden.

Das ist der Hintergrun­d dafür, warum Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu, dessen Koalition von rechtsgeri­chteten und religiösen Parteien geprägt ist, ein Gespräch mit Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel in letzter Minute abgesagt hat. Lieber nahm er einen diplomatis­chen Eklat in Kauf, als sich innenpolit­isch angreifbar zu machen.

Netanjahu hat sich mehrfach, wenn auch nicht sehr überzeugen­d, zur Zwei-Staaten-Lösung bekannt – jenem Modell also, das ein friedliche­s Nebeneinan­der eines jüdischen und eines palästinen­sischen Staates vorsieht, und das von der internatio­nalen Gemeinscha­ft favorisier­t wird. Doch die Bereitscha­ft, dafür Opfer zu bringen, sinkt in Israel – auch, weil sich aufseiten der Palästinen­ser kein verlässlic­her Garant für eine solche Lösung finden lässt.

Auf eine weitere Besatzung zu setzen ist dennoch kurzsichti­g und sogar gefährlich für die Existenz des Staates Israel. Denn Gewalt erzeugt immer Gegengewal­t. Ein Interessen­ausgleich, wie im ZweiStaate­n-Modell vorgesehen, ist Voraussetz­ung für einen Frieden.

Wie sehen Alternativ­en aus? Ein gemeinsame­r israelisch-palästinen­sischer Staat würde aufgrund der demografis­chen Entwicklun­g eines Tages von einer arabischen Mehrheit geprägt – ein Albtraum für die Juden. Soll er jüdisch geprägt bleiben, wäre dieser Staat nicht mehr demokratis­ch.

Wer kann Israel davon überzeugen, dass zwei Staaten doch die bessere Lösung darstellen? Deutschlan­d und die anderen EURegierun­gen finden immer weniger Gehör, die Gesprächsv­erweigerun­g mit Gabriel ist dafür symptomati­sch. Wahrschein­lich sind nur die USA dazu in der Lage. Aber von Präsident Trump gibt es bisher kein solches Signal.

Der Albtraum von der arabischen Mehrheit

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Zeichnung: Haitzinger
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