Sie schneidern Räder auf den Leib
Der Kultur rund um das Zweirad nehmen sich zwei Ulmer an, die zur richtigen Zeit offenbar auf das richtige Pferd setzten. Die Lifestyle-Objekte haben allerdings ihren Preis
Es gibt Klamotten, die werden in Bangladesh oder einem anderen Niedriglohnland gefertigt, die sehen durchaus passabel aus. Erfüllen ihren Zweck, halten aber nicht wirklich lang. Und es gibt Maßanzüge aus italienischen Stoffen, die in Schwaben genäht werden. Der Qualitätseindruck ist umwerfend, die Palette möglicher Sonderwünsche unendlich und die Wolle hält ewig.
Mit Rädern ist es nicht anders. Für die Kategorie Maßanzüge sind Oliver Schwind und Bernadette Gläser mit ihrer Manufaktur Pedaleur inklusive Zubehör-Laden zuständig. Der ist stilecht in einem Haus der Rabengasse aus dem Jahr 1394 untergebracht. Und auch drinnen weht der Geist der (Rad-)Vergangenheit: Trikots und Mützen im Stile eines Eddy Merckx hängen an der Wand, Räder wie aus den 20er Jahren stehen auf dem Boden.
Doch der erste Eindruck täuscht: Zwar sehen Ledersattel, Klingeln in poliertem Messing sowie Weißwandreifen aus, als wären sie einem Charlie-Chaplin-Film entsprungen, doch die Technik stammt aus dem 21. Jahrhundert. „Das Auge fährt mit“, sagt die gelernte Designerin Gläser, die den Laden zusammen mit ihrem Partner Oliver Schwind im September 2013 eröffnete.
Vier Jahre vor dem 200. Jahrestag der Erfindung des Fahrrads – zu einem goldrichtigen Zeitpunkt – öffnete Pedaleur die Tore. Schwind, der 46-jährige gelernte Verlagskaufmann, sammelt seit seiner Jugend alte Rennräder. Und der Ulmer spürte früh, dass der gute alte Drahtesel sich in breiten Teilen der Bevölkerung längst von einem Nutz- zu einem Lifestyle-Objekt entwickelt. Nun haben die zwei Ulmer oftmals mehr Arbeit, als ihnen lieb sein kann: zurzeit eine 70 Stunden Woche. Eigentlich kein Wunder, wenn ein Beratungsgespräch bis zu zwölf Stunden in Anspruch nehmen kann. Schließlich müsse jedes Einzelteil besprochen werden. Den Rahmen womöglich handgefertigt von der Bike-Legende Giovanni Pelizzoli? Oder aus Bielefeld von der Manufaktur Patria? Pulverbeschichtet in Moosgrün oder Himmelblau? Oder in allen Farben des Regenbogens? Die Schutzbleche aus Holz? Den Sattel in Echtleder aus dem Veneto? Nabenschaltung? Von Rohloff? Oder günstiger von Weltmarktführer Shimano? Rollenbremse, Scheibenbremse oder Trommelbremse? Fragen über Fragen müssen beantwortet werden, bis das Pedaleur-Duo seinen Kunden das Rad auf den Leib geschneidert hat. Jeder einzelne Punkt hat freilich Auswirkungen auf die Rechnung: Bei knapp unter 2000 Euro beginnt der Einstieg in die Pedaleur-Radwelt. Nach oben, sind (fast) keine Grenzen gesetzt, die 3000 bis 4000 Euro werden schnell erreicht. Auch für 7000 Euro verließ bereits ein Rad die Ulmer Werkstatt.
Wer keine Lust auf so viele Entscheidungen hat, und keine drei bis fünf Wochen auf sein Rad nach Maß warten will, kann die Ausstellungsräder auch gleich mitnehmen. Es gebe in der Tat öfters „Lustkäufer“, die sofort ihr neues Rad haben wollen, wie Schwind sagt. Um künftig mehr fertige Modelle zeigen zu können, halten die Zwei derzeit die Augen nach einem zweiten Ladengeschäft in der Nähe Ausschau.
Auch wer ein Rad mit Motor sucht, wird bei den Ulmern fündig. Diese kommen allerdings nicht aus der eigenen Manufaktur, sondern von anderen Herstellern. Kaum zu sehen ist beim tiefschwarzen CobocRad der Akku. Der ist nämlich im Unterrohr versteckt und zeigt dezent seine Leistung durch blaue Power-LEDs an. 4600 Euro kostet der Spaß und bringt nur 14 Kilo auf die Waage. Nicht ganz so elegant, aber dafür für Familien praktischer, sind Lastenfahrräder aus Holland des Herstellers Babboe. Das Modell mit Kindersitzen könnte ein Meilenstein der autofreien Innenstadt der Zukunft werden. Auch Schwind und Gläser spielen mit dem Gedanken, ihr Auto zu verkaufen. „Eigentlich brauchen wir es nur noch, um die Radkartons auf den Recyclinghof zu fahren.“