Kommen doch Flüchtlinge in den Speicherbau?
Regierung will das Großgebäude in Neu-Ulm nutzen, doch im Rathaus ist man davon überhaupt nicht erbaut
Wird die Massenunterkunft für Asylbewerber im Gewerbegebiet Starkfeld nun doch in Betrieb genommen? Nach Informationen unserer Zeitung plant die Regierung von Schwaben, den alten umgebauten Wehrmachtsspeicher mit Flüchtlingen zu belegen – obwohl es dabei juristische Probleme gibt. Im Neu-Ulmer Rathaus ist man davon überhaupt nicht erbaut.
Das mächtige Gebäude steht derzeit leer. Es gehört einem privaten Investor, der öffentlich nicht in Erscheinung treten will. Es hat das achtgeschossige Bauwerk aus den 30er Jahren zur Flüchtlingsunterkunft ausgebaut und dafür angeblich knapp zehn Millionen Euro investiert. Der Landkreis hat es vergangenes Jahr im Auftrag des Freistaates Bayern für die Dauer von zehn Jahren angemietet. Der Speicher enthält 130 relativ kleine Zimmer zwischen 12 und 22 Quadratmetern und könnte Platz für bis zu 450 Menschen bieten. Das war noch zu Zeiten, als dem Kreis jeden Tag Dutzende von Asylbewerbern zugeteilt wurden, die natürlich untergebracht werden mussten. Doch mittlerweile hat der Druck deutlich nachgelassen. Der Mietvertrag muss dennoch erfüllt werden. Dem Vernehmen nach kostet die leere Unterkunft den Freistaat seit April monatlich 80000 Euro.
Doch nun soll der Bau offenbar doch genutzt werden. Wie Theresia Hopfensitz, die Geschäftsbereichsleiterin „Bauen, Gewerbe, Gesundheitsund Veterinärrecht“am NeuUlmer Landratsamt bestätigte, gebe es „Gespräche über die Nutzung des Gebäudes“, aber noch keine Entscheidung.
Doch offenbar scheinen die Über- in dieser Sache weit gediehen, denn wie Oberbürgermeister Gerold Noerenberg dieser Tage aus Augsburg erfuhr, plane die Regierung von Schwaben, das Gebäude nun doch zu belegen – obwohl einer Verwendung etwas Gewichtiges entgegensteht: Der Speicher befindet sich in der Nähe des Unternehmens Südwest Chemie – er gilt wegen der dort verarbeiteten Stoffe als sogenannter Störfall-Betrieb und in diesem Fall greift die sogenannte Seveso-Richtlinie. Sie ist nach dem gleichnamigen italienischen Ort benannt, wo sich 1976 ein folgenschwerer Chemieunfall ereignete. Diese seit 2015 geltende Richtlinie schreibt bei Störfall-Betrieben bestimmte Abstände etwa zu Wohngebieten vor. Sie betragen zwischen 400 Metern und zwei Kilometern. Der Speicher liegt nur rund 200 Meter von dem Chemiebetrieb entlegungen fernt. Somit wären dort Wohnungen nicht zulässig. Das wiederum fiel dem Hausjuristen des Neu-Ulmer Rathauses auf. Deswegen musste etwa eine Anfrage einer Bauherrengesellschaft abgelehnt werden, die dort zeitweilig Studenten wohnen lassen wollte.
Als OB Gerold Noerenberg mit den Plänen der Regierung konfrontiert wurde, war er „maßlos enttäuscht“, wie er gestern auf Anfrage sagte. Sein Argument: „Normalsterbliche dürfen dort nicht wohnen – aber bei Flüchtlingen ist das offenbar kein Problem.“Das kann er nicht nachvollziehen.
Grundsätzlich ist es mittlerweile durchaus möglich, Asylbewerber in Gewerbegebieten unterzubringen – allerdings nur befristet. Wegen des Flüchtlingszustroms war die Baunutzungsverordnung entsprechend geändert worden, um etwa die vielen leer stehenden Fabrikgebäude nutzen zu können.
Ohnehin ist der Neu-Ulmer Stadtrat mit der gesamten Entwicklung im Starkfeld unzufrieden. Der Ausbau des Speichers musste zwar wegen der neuen Bauvorschriften genehmigt werden – dass einer Belegung mit Flüchtlingen jedoch die Seveso-Richtlinie entgegensteht, war damals offenbar noch nicht bekannt.
Die Bedenken gegen eine solche Massenunterkunft bestehen weiter, denn die Kommunalpolitiker sehen eine solche Ballung von Asylbewerbern weit ab vom Schuss als denkbar fragwürdig an. Zudem tut sich ein weiteres Problem auf: Falls die Geflüchteten anerkannt werden, muss die Stadt Neu-Ulm dafür sorgen, dass sie dauerhafte Wohnungen erhalten. Das sei aber mit den zur Verfügung stehenden Sozialwohnungen nicht machbar.
Entlastung wird auch das neue Obdachlosenheim nicht bringen, das die Stadt im berüchtigten Multikulturhaus in der Zeppelinstraße einrichtet. Dort sind ein großer Schlafsaal sowie diverse Einzelzimmer vorgesehen.
Als das Vorhaben im Februar genehmigt wurde, umriss der OB die Wohnungssituation für anerkannte Flüchtlinge mit den Worten: „Uns steht das Wasser bis zum Hals.“