„Religion ist für Menschen unvermeidbar“
Ein Ethnologe über Götter und Dämonen
Religiöse Erfahrungen sind tief im Menschen verwurzelt. „Religion muss offensichtlich passieren“, sagt der in Münster lehrende Ethnologe Thomas Hauschild. Es könne keine Menschengruppe geben, die keine Religion kenne: „Das, was wir Religion nennen, ist ein Dialog mit Mächten, die nicht ganz deutlich in der Realität verankert sind.“So könne ein besonderes Musikerlebnis, eine überwältigende Landschaft oder ein merkwürdiger Zufall religiöse Gefühle auslösen. Hauschild: „Das übersteigt unsere tägliche Orientierung und kann dann unbewusst religiös aufgeladen werden.“
Auch ein Konflikt könne eine Erfahrung mit dem Übernatürlichen sein. Ein Gegenüber im Streit könne leicht „dämonisiert“werden. Ob Menschen religiöse Gefühle im Alltag entwickeln, hänge also nicht davon ab, ob sie in einer „organisierten Religion“wie dem Christentum Mitglied seien. Das menschliche Bewusstsein bestehe aus mehreren Ebenen: einer inneren und einer äußeren Wahrnehmung sowie Erinnerungen. „In unseren Erinnerungen sind die übernatürlichen Größen schon da.“Sie beeinflussten die innere und äußere Wahrnehmung, weil die Vermittlung zwischen diesen Ebenen nie vollkommen rational gelinge, so der Ethnologe.
Je einflussärmer eine organisierte Religion werde, desto stärker blühten die religiösen Gefühle in anderen Bereichen wie Ernährung, Fitness oder Gesundheit auf. „Es gibt eine gemeinsame Erfahrungs-Basis zwischen religiös organisierten Menschen und Menschen, die keiner organisierten Religion angehören.“So spiele beispielsweise das Tabu überall eine Rolle. Während etwa im Islam Mohammed-Karikaturen tabuisiert würden, seien im Veganismus alle tierischen Produkte verboten und manchmal dämonisiert.
Und Religiöses gebe es im Tourismus: „Dort werden quasi-religiöse Begegnungen mit Naturschönheit praktiziert.“Auch eine Alkoholoder Drogensucht beinhalte Formen der Ekstase oder Beruhigung, des sogenannten Flows, die sich vergleichbar in Religionen finden ließen, sagte Hauschild. Es sei jedoch nicht richtig, von Ersatzreligionen zu sprechen: „Das würde ja heißen, dass es richtige und falsche Religionen gibt.“