Beten für den Bundestag?
Mehrere tausend Menschen, vor allem Jugendliche, lassen sich Gebets-Anregungen per WhatsApp aufs Smartphone schicken. Kurz vor der Wahl widmet sich das Projekt aus dem katholischen Bistum Augsburg der Politik
Herr Pfarrer Rietzler, darf man dafür beten, dass ein Politiker in den Bundestag kommt?
Na ja, verboten ist es gewiss nicht. Entscheidender ist aber etwa, dass ein Politiker die Menschen an den Rändern unserer Gesellschaft im Blick behält, die leicht übersehen werden.
Und darf man dafür beten, dass eine Partei nicht in den Bundestag kommt?
Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, noch gar keine Gedanken gemacht. Es gibt wichtigere Gebetsanliegen, würde ich sagen. Ich habe mit manchen Ansichten der einen oder anderen Partei dennoch so meine Schwierigkeiten.
Sie sind Mit-Initiator des Gebetsnetzwerkes „Einfach gemeinsam beten“. Mitglieder erhalten über den Chatdienst WhatsApp täglich Anregungen, wie oder zu welchem Thema sie beten können. Kurz vor der Bundestagswahl wird dort auch „politisch“gebetet. Wie bitte betet man denn politisch?
Uns geht es vor allem darum, diejenigen in unser Gebet miteinzuschließen, die politische Verantwortung übernehmen. Deshalb unterstützen wir auch eine Aktion der katholischen Jugendbewegung „Jugend2000“.
Deren Mitglieder beten gerade für jeden einzelnen Bundestagswahlkreis. Am Donnerstag etwa für den Bundestagswahlkreis Augsburg-Stadt.
Genau. Es soll ja mit unserem Land gut weitergehen. Und mit unserem Leitthema in dieser Woche, „politisch beten – politisch leben“, ist gemeint, dass wir uns als Christen in die Gesellschaft einbringen und Verantwortung übernehmen. Dazu gehört, dass wir uns über die Programme der Parteien informieren und zur Wahl gehen. Am Wahlsonntag werde ich in den Gottesdiensten auf jeden Fall dazu aufrufen.
Zuletzt wurde via einer per WhatsApp geschickten Audiodatei dazu aufgerufen, für die „Politiker deines Wahlkreises“zu beten. Würde es Ihnen schwerfallen, für einen Politiker zu beten, der für die „Ehe für alle“ist?
Prinzipiell kann ich natürlich für jeden Menschen beten – auch für einen Politiker, dessen Meinung ich in einem Punkt nicht vertrete. Das heißt ja nicht, dass er ein schlechter Politiker oder ein schlechter Mensch wäre. Die „Ehe für alle“war aus meiner Sicht aber eine bedenkliche Entscheidung, und es war traurig für mich zu sehen, in welchem Hauruck-Verfahren die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtli- che Paare noch kurz vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossen worden ist. Die Ehe bedeutet für mich nun einmal das Zusammenleben von Mann und Frau, aus dem Kinder hervorgehen können.
Sie sind Jugendpfarrer in Weißenhorn im Kreis Neu-Ulm. Wie denken die jungen Menschen, denen Sie begegnen, über Politik? Mir scheint, stellenweise herrscht großer Frust, auch Wut ...
Das erlebe ich in der Tat vereinzelt. In vielen politischen Debatten fühlen sich Jugendliche nicht berücksichtigt. Ich begegne aber auch politisch interessierten Jugendlichen. Ich unterrichte ja Religion, und da sollten mir Schüler aufschreiben, was sie sich für dieses Schuljahr wünschen. Eine Zehntklässlerin schrieb: „Lerne ich in diesem Jahr, Verantwortung zu übernehmen und gute Entscheidungen zu treffen?“Junge Menschen wollen sich einbringen, aber es ist für sie nicht immer leicht.
Welche politischen Themen sind jungen Menschen besonders wichtig?
Jugendliche beschäftigt vor allem das Thema Gerechtigkeit. Etwa, dass Menschen in Pflegeberufen relativ wenig Geld verdienen. Das finden sie nicht gerecht.
Beten per WhatsApp – die Idee stammt aus dem Bistum Augsburg und zieht immer weitere Kreise. Seit kurzem gibt es Ähnliches im Bistum Eichstätt. Wie viele Mitglieder hat das Augsburger Gebetsnetzwerk, das zu Jahresbeginn startete, inzwischen?
Ich schätze, dass das Netzwerk gegenwärtig 3000 bis 3500 Mitglieder hat, die unsere Gebetsimpulse via WhatsApp erhalten. Ich bin nach wie vor überrascht davon, welche Kreise das in Deutschland, Österreich und der Schweiz zieht.
Das Besondere ist ja, dass nicht nur virtuell gebetet wird, sondern dass man sich in Regional- oder Ortsgruppen organisiert und trifft.
Inzwischen gibt es um die 120 Jugendgruppen und 60 Erwachsenengruppen. Zwei Studenten haben angefragt, ob sie das Gebetsnetzwerk wissenschaftlich untersuchen können. An Schulen in der Region wurde es aufgegriffen, nicht nur von Religionslehrern. Und ich weiß von einer Ministrantin, dass ein Zeitungsartikel aus Ihrer Zeitung über das Gebetsnetzwerk im Deutschunterricht besprochen wurde. Es sei sogar eine Probe darüber geschrieben worden.
Wie erklären Sie sich all das?
WhatsApp ist ein modernes Medium, das von vielen genutzt wird. Gerade Menschen, die eher distanziert zur Kirche stehen, finden auf diese Art einen leichten Einstieg, können sich das mal anschauen und merken dann vielleicht, dass ihnen das Beten guttut – weil sie da Gott begegnen und ihr Leben so eine Ausrichtung und Perspektive bekommt.
Wie wird es mit dem Gebetsnetzwerk weitergehen?
Wir wissen es selbst nicht genau. Aber wir bekommen viele Ideen, etwa die, dass man das Projekt in die Firmvorbereitung einbeziehen könnte.
Würden Sie sich eigentlich selbst als „politisch“bezeichnen?
Vielleicht in dem Sinne, dass ich die aktuellen politischen Diskussionen verfolge. In einer Partei war ich nie. zum Gebetsnetzwerk unter www.credo online.de
37, wohnt in Weißenhorn. Er ist Jugendpfarrer für die katholischen Dekanate Neu Ulm und Günzburg.