Illertisser Zeitung

Kirchen Sprayer muss in Therapie

Weil er Gotteshäus­er im Landkreis mit Farbe beschmiert­e, landet ein 20-Jähriger vor Gericht. Warum das Urteil gegen ihn aus Sicht mancher milde ausfällt

- VON MADELEINE SCHUSTER

Er nannte sich selbst „Amazonit“– der Name eines blauen Edelsteins, dem heilsame Kräfte zugeschrie­ben werden. Indianer im Amazonas sollen den Stein getragen haben, um Unheil von sich abzuhalten. Ein 19-Jähriger hatte den Begriff dagegen als Decknamen genutzt, um in Vöhringen und Umgebung Fenster, Häuserwänd­e und Kirchen zu beschmiere­n. Mit seinen Schriftzüg­en, die er unter anderem im Inneren zweier Kirchen in Bellenberg und Vöhringen hinterlass­en hatte, richtete er dabei nicht nur einen Sachschade­n von knapp 34000 Euro an, sondern verletzte auch die religiösen Gefühle vieler Menschen.

Gestern musste sich der KirchenSpr­ayer nun vor dem Amtsgerich­t Neu-Ulm verantwort­en. Vorgeworfe­n wurden ihm insgesamt 16 Fälle von Sachbeschä­digung sowie versuchter und gemeinschä­dlicher Sachbeschä­digung. Darunter „Taten, die durchaus einen Arrest zur Folge haben könnten“, sagte Richter Bernhard Lang an den heute 20-Jährigen gewandt. Allein in den Kirchen „Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz“in Bellenberg, der Michaelski­rche in Vöhringen und der Kirche St. Martin in Illerberg wurde der verursacht­e Schaden auf rund 20000 bis 25000 Euro geschätzt. Dort hatte er sakrale Gegenständ­e mit Farbe beschmiert, Heiligenfi­guren schwarz angemalt sowie Altar und Wände mit Sprüchen wie „Heil Satan“oder „Buddhismus is true“versehen. Doch schon nach wenigen Minuten Verhandlun­g war klar: Hinter „Amazonit“steckt vor allem ein junger Mann, der mit einigen persönlich­en Problemen zu kämpfen hat.

Unter Ausschluss der Öffentlich­keit wurde der Angeklagte verhört. Verteidige­r Ingo Hoffmann hatte diese beantragt, um die Persönlich­keitsrecht­e des „Heranwachs­enden“, wie der Jurist argumentie­rte, zu schützen. Ohne das Beisein seiner Verwandten, Zuhörern und Medienvert­retern wollte der 20-Jährige erzählen, was ihn zu den Schmierere­ien bewogen hatte, die er allesamt einräumte. Genau diese Beweggründ­e waren es dann auch, die letztendli­ch zu mildernden Umständen führten.

Wie sich zu einem späteren Zeitpunkt der Verhandlun­g herausstel­lte, leidet der 20-Jährige, der bis vor Kurzem im Landkreis Neu-Ulm gewohnt hat, unter psychische­n Problemen. Über längere Zeit habe der Angeklagte „exzessiv Drogen konsumiert“, so Richter Lang, der einen okkulten Hintergrun­d als Motiv Vielmehr habe der junge Mann einen gewissen Hass auf das Establishm­ent und einen Frust gegenüber Schulen gehabt. In den Wochen, in denen er in Vöhringen und Umgebung mit seinen Schmierere­ien Polizei und Bevölkerun­g in Atem gehalten hatte, sei er in einer „psychische­n Ausnahmesi­tuation“gewesen, wie der Richter sagte. Durch Drogen sei er enthemmt gewesen und habe mit den wüsten Parolen in den Kirchen seinen religiösen Vater provoziere­n wollen.

Was laut Richter für den Angeklagte­n sprach: Seine Suchtprobl­eme seien ihm bewusst. Mehrmals befand sich der Mann deshalb bereits in Behandlung und wird ab kommender Woche eine Langzeit- therapie antreten. Die Diözese Augsburg hatte vom Angeklagte­n eine Entschädig­ung in Höhe von 3000 Euro verlangt und ansonsten keine Ansprüche gestellt. Den Betrag hatte die Mutter des Angeklagte­n überwiesen. Auch an das Landratsam­t Neu-Ulm war eine Entschädig­ungszahlun­g für die beschmiert­en Schulen geleistet worden.

Da der 20-Jährige „keine schädliche­n Neigungen“zeige, wie der Richter sagte, wurde er letztlich zu 80 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit verurteilt. Außerdem muss der Anausschlo­ss. geklagte seine Therapie laut Urteil auch beenden. Die Kosten für das Verfahren trägt er nicht, da er derzeit kein Einkommen hat, wie es hieß.

Verurteilt wurde der 20-Jährige nach Jugendstra­frecht. Verteidige­r Hoffmann hatte zuvor dafür plädiert, den Angeklagte­n als unreifen Heranwachs­enden zu sehen, „der seinen Platz in der Welt erst noch finden muss“. Die Schmierere­ien seien „die Sprache eines zu dieser Zeit Sprachlose­n gewesen“– und ein Protest gegen Autoritäte­n.

Der 20-Jährige selbst sprach vor Gericht nicht viel. Am Ende der Verhandlun­g sagte der Mann, der in einem grünen Kapuzenpul­lover vor Richter und Schöffen saß, nur leise: „Es tut mir leid.“

Zu gemeinnütz­iger Arbeit verurteilt

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Foto: Balken Mit wüsten Parolen hatte ein damals 19 Jähriger die Innenräume von Kirchen beschmiert. In der Michaelski­rche in Vöhringen wurde unter anderem der Altar mit goldener Farbe besprüht. Nun stand der Kirchen Sprayer vor Gericht.
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Fotos: Roland Furthmair Die Schmierere­ien in den Kirchen hatten in Bellenberg und Vöhringen einen seltenen Bußritus nach sich gezogen. Der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa (rechts, Mitte) wusch die Gotteshäus­er symbolisch wieder rein.

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