Mein Bruder, das Mordopfer
Shary Reeves war das Gesicht der ARD-Kindersendung „Wissen macht Ah!“. Dann starben innerhalb weniger Wochen Vater, Pflegemutter – und auf grausame Weise Bruder Jim. Nun will sich die 42-Jährige ihren Schmerz von der Seele reden
Doch, sie ist es. Der Justizbeamte am Eingang des Landgerichts Berlin muss zweimal hinschauen, um den Namen aus ihrem Pass mit ihrem Gesicht in Verbindung zu bringen. Millionen Menschen kennen es aus dem Kinderfernsehen. 16 Jahre lang hat Shary Reeves mit ihrem Kollegen Ralph Caspers „Wissen macht Ah!“im Ersten moderiert. Eine Sendung, in der sie Kindern Fragen beantwortet hat wie: „Warum haben Kamele Höcker?“Witzig, schlagfertig, immer mit einem Augenzwinkern.
Die Shary Reeves, die an diesem Tag die breite Treppe in die 1. Etage hochläuft, ist eine andere. Still, in sich gekehrt, einen Lederrucksack auf dem Rücken. In der Nacht zum 1. Februar 2016 ist ihr Bruder Jim, 47, ermordet worden. Jetzt stehen die mutmaßlichen Täter vor Gericht. Pawel A. und Adam K., zwei Polen, 30 und 23 Jahre alt. Was ihnen die Staatsanwaltschaft zur Last legt, ist so grausam, dass es sich kaum in Worte fassen lässt.
Auch Shary Reeves, 42, fehlen die Worte. Das hat sie schon am Telefon gesagt. Eigentlich will sie nicht öffentlich über den Tod des Bruders sprechen. Es ist nicht ihre Art, mit erreichte. „Oma“war tot, ihre Pflegemutter. Eine Rentnerin aus Köln, die schon elf eigene Kinder großgezogen und es genossen hatte, jetzt neben ihren Enkeln auch noch ein kleines schwarzes Mädchen großzuziehen.
Shary Reeves war elf Monate, als sie zu „Oma“und „Opa“kam. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen. Der Vater war nach Kenia zurückgekehrt. Ihre Mutter, eine Krankenschwester aus Tansania, war überfordert mit vier Kindern und einem Vollzeitjob. Sie gab ihre Jüngste zu Familie Tesch. Das war Sharys Glück, vielleicht sogar ihre Rettung. Ein mit Efeu bewachsenes Haus im Kölner Stadtteil Vogelsang wurde ihr Zuhause. Sie sagt, hier habe sie etwas gefunden, von dem sie noch heute zehre. Das Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden. Geborgenheit.
Ihr Handy blinkt. Wieder ein Anruf. So geht das den ganzen Tag. Im Juni hat sie ihren Job bei „Wissen macht Ah!“aufgegeben. Sie sagt: „Ich wollte mal was anderes machen.“Als Moderatorin, Autorin und Social-Media-Beraterin sei sie immer noch gut im Geschäft. Für den Abend hat SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sie und andere Kreative eingeladen, um zu testen, wie
„Er hat zwei Seiten gehabt, eine humorvolle und einfühlsame – und eine dunkle.“
Shary Reeves über ihren Bruder Jim „Ich bin nicht der Typ, der weint. Aber wenn ich allein bin, kommt es vor, dass mich die Trauer überwältigt.“
Shary Reeves über ihr heutiges Leben