So punkten Sie mit Ihrer Stimme
Eine Sprachtrainerin erklärt, warum es in Stresssituationen hilft, an Nachrichtensprecherin Judith Rakers zu denken
Als der Vortrag endet, bleiben zwei Frauen in den sich leerenden Stuhlreihen sitzen. Beide versuchen, mit ihren Zungen ihre Nasenspitzen und dann das Kinn zu berühren. In jeder anderen Umgebung wirkte das lächerlich. Doch in der Stadthalle Gersthofen lächeln die Vorbeigehenden wissend. Schließlich hat Sprech- und Stimmtrainerin Monika Hein ihnen allen das gerade so beigebracht. Die Übung trainiert die Zunge. Die ist neben Lippen und Kiefern eines der wichtigsten Werkzeuge der Artikulation.
Die Stimme transportiert mehr als nur den Inhalt. Sie übermittelt Angst, Freude, Begeisterung und Langeweile – und jeder kann diese Emotionen beim anderen heraushören, so lautet Heins These. Wer weiß, wie er seine Stimme kontrolliert, ist im Vorteil. Er kann Stimmungen erschaffen oder Gefühle unterdrücken – etwa Nervosität bei einem Vortrag oder Ärger. Diese Kontrolle funktioniert über sieben Hebel, die die Sprechtrainerin mit Reglern an einem Mischpult vergleicht. Es sind: die Körperhaltung, die Atmung, der Stimmklang, die Artikulation, die Satzmelodie, das Sprechtempo und die Betonung.
Um zu illustrieren, wie die Körperhaltung die Stimme verändert, lässt Hein – die übrigens recht tief spricht – die Zuhörer im Saal eine Übung machen: Alle setzen sich sehr schlaff auf die Stuhlkante und sagen „Ja“. Es klingt ausdruckslos. Kein Wunder, denn diese Köperhaltung nimmt ein Mensch ein, wenn er traurig, müde oder gelangweilt ist. Nun richtet sich das Publikum auf und sagt noch einmal „Ja“. Das sitzt: Es klingt begeistert. Denn aufrecht steht man, wenn man jubelt.
Die Atmung ist ein anderes Beispiel. Sind wir nervös, ängstlich oder haben uns erschreckt, geht sie schnell und flach. Sind wir entspannt, langsam und tief. Das lässt sich üben. Heins Tipp: So lange auf s oder f ausatmen und sich dabei zur Decke strecken, bis keine Luft mehr da ist. Dann den Kiefer fallen lassen und einatmen, so kommt die Luft in den Bauch. Das entspannt und hilft gegen Nervosität oder Stress.
Für solche Situationen hat die Sprachtrainerin noch einen anderen Tipp: Sie empfiehlt, an Judith Rakers, Sprecherin bei der Tagesschau, zu denken. Denn die spricht meist völlig neutral. Weder zu hoch noch zu tief, weder zu schnell noch zu langsam – bei Vorträgen wirkt das kontrolliert. „Die Freiheit des Menschen liegt in dem Raum zwischen Reiz und Reaktion“, zitiert Hein den Neurologen und Psychiater Viktor Frankl. Und meint: Statt in einer Unterhaltung oder vor einem Vortrag mit der Stimme auf die Situation zu reagieren, sollte man sich bewusst machen, was man fühlt und wie sich das auf die Stimme auswirkt, und dann gegensteuern.
In der Reihe „Augsburger Allgemeine Wissen“findet der nächste Vortrag am 22. November statt. Es spricht der Extremsportler Norman Bücher über die Macht des Willens.