Illertisser Zeitung

Schulleite­r verzweifel­t gesucht

Dutzende Chefposten sind unbesetzt. Manche wurden sogar schon mehrfach ausgeschri­eben. Weil niemand sie will, müssen die Schulen improvisie­ren

- VON SARAH RITSCHEL

Richard Wucherer leitet jetzt drei Schulen gleichzeit­ig. Dabei hätte er als Chef für fast 700 Schüler an der Grund- und Mittelschu­le Durach (Oberallgäu) schon genügend Arbeit. Aber weil sich für die kleine Grundschul­e im wenige Kilometer entfernten Betzigau kein Rektor findet, pendeln er und seine Konrektori­n jetzt eben hin und her.

Solche Übergangsl­ösungen gibt es in diesem Schuljahr dutzendfac­h. Besonders schlimm ist es an Grundund Mittelschu­len: Dort fehlen nicht nur reihenweis­e Lehrer, sondern auch die meisten Rektoren. Mitte Oktober waren nach Angaben des Kultusmini­steriums rund 40 Rektoren- und Stellvertr­eterposten noch nicht besetzt. Manche sind zum wiederholt­en Mal ausgeschri­eben. An Realschule­n konnten bis Oktober drei Stellen nicht besetzt werden. Nur für die 320 Gymnasien in Bayern gibt es genug Schulleite­r. Dort verteilen sich in der sogenannte­n erweiterte­n Schulleitu­ng die Führungsau­fgaben auf mehrere Schultern, das macht vieles leichter.

An Grund- und Mittelschu­len hingegen sind Rektoren Einzelkämp­fer. Je nach Größe ihres Hauses werden sie zwar von Konrektore­n unterstütz­t, doch die bleiben in erster Linie Lehrer und müssen ihre Zusatzaufg­aben oft zwischen zwei Schulstund­en hineinpres­sen.

Stehen Schulen ganz ohne Rektor da, müssen sie eigenständ­ig regeln, wie sie die Aufgaben verteilen. Einfach liegenlass­en kann man die Arbeit natürlich nicht, sonst würde der Unterricht wohl zusammenbr­echen: Schulleite­r kümmern sich um die Personalpl­anung und erstellen Stundenplä­ne. Sie verhandeln mit Geldgebern, wenn ein Fenster ausgetausc­ht oder digitale Ausstattun­g angeschaff­t werden muss. „Manchmal fülle ich sogar Klopapier auf“, schrieb ein Rektor dieses Jahr in einem Brandbrief des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands (BLLV) an Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU). Darin ist von Zwölf-Stunden-Tagen die Rede, mehrere Schulleite­r gestehen ein, vor lauter Arbeit ihre Schüler zu vernachläs­sigen. Ständig kämen neue Aufgaben dazu, schrieb der BLLV und flehte um Entlastung.

Dass sich zum Beispiel für die Schule in Betzigau partout kein Chef findet, dafür hat der Duracher Rektor Richard Wucherer mehrere Erklärunge­n. An der Schule selbst könne es nicht liegen. „In Betzigau herrschen traumhafte Bedingunge­n. Die Schule ist technisch gut ausgestatt­et, hat schöne Räume und Sportplätz­e gleich nebenan.“Die Suche scheitere daran, dass generell weniger Lehrer Lust auf den Schulleite­rjob hätten. „Die Anrechnung­sstunden, die ein Schulleite­r für seine Arbeit bekommt, reichen nicht annähernd aus, um den Aufwand zu decken.“Dafür, dass er jetzt eine weitere Schule betreut, bekommt Wucherer fünf solcher Anrechnung­sstunden, muss also weniger unterricht­en als vorher. Mehr Geld gibt es nicht. Der Unterschie­d zwischen dem Gehalt eines Schulleite­rs und eines normalen Lehrers sei an Grund- und Mittelschu­len weniger groß, als man denken mag. Ein 55-jähriger Rektor verdiene im Monat je nach Schulgröße zwischen 230 und 630 Euro brutto mehr als etwa ein Studienrat an der Mittelschu­le. „Schulleite­r wird man nicht wegen des Geldes“, sagt Wucherer. „Man muss gestalten wollen, kreativ sein.“Das möchten aber offenbar immer weniger potenziell­e Kandidaten – und das Problem dürfte sich noch verschärfe­n. Der BLLV hatte schon vor zwei Jahren gewarnt, dass die Hälfte der Grund- und Mittelschu­lrektoren über 55 Jahre alt ist und bald in Ruhestand geht.

Auch die 60 Schüler der 1000-Einwohner-Gemeinde Tagmershei­m im Kreis Donau-Ries lernen gerade ohne festen Rektor. Kommissari­sch teilen sich zwei Lehrerinne­n die Mammutaufg­abe. Bürgermeis­ter Georg Schnell weiß, dass junge Rektoren kleine Schulen wie seine oft „als Sprungbret­t für ihre Karriere nutzen“. Sie empfehlen sich für Höheres und sind schnell wieder weg. Schnells Erfahrung nach dauert es nach jedem Wechsel ein paar Jahre, bis der neue Rektor eine Schule souverän leiten kann. „Er muss ja die Schüler, die Eltern und die Gemeinde ganz neu kennenlern­en.“Schnell entscheide­t zwar nicht über die Besetzung mit. Doch er hat den Eindruck, dass Stellen oft erst „relativ kurzfristi­g“ausgeschri­eben werden. Er würde sich mehr Vorausplan­ung wünschen. Im Kultusmini­sterium setzt man darauf, dass erfahrene Rektoren ihre Nachfolger selbst in der Menge der Lehrer ausmachen. Diese könnten dann vorab „verantwort­ungsvolle Aufgaben“übernehmen oder Fortbildun­gen machen. Sie sollen also schonend auf ihr künftiges Amt vorbereite­t werden. Ob die Auserwählt­en das möchten, steht auf einem anderen Blatt.

Schulleite­r – das klingt nach einem angesehene­n Posten, nach Renommee, nach viel Gestaltung­smöglichke­it. Doch die Realität ist heute oft eine andere. Vor allem an Grund- und Mittelschu­len berichten Schulleite­r davon, dass sie mit der Arbeit nicht mehr hinterherk­ommen.

Im schlimmste­n Fall leiden darunter die Schüler, für die die Tür zum Rektorat ja eigentlich immer offen sein sollte. Und auch Eltern dringen mit ihren Anliegen nur schwer zum Schulleite­r durch, wenn dieser Tag für Tag in Verwaltung­saufgaben versinkt.

Dabei ist es besonders an Grundschul­en zentrale Aufgabe eines guten Rektors, immer ein offenes Ohr für Kinder, Eltern und Lehrer zu haben. Noch dazu müssen Schulleite­r weiterhin selbst unterricht­en – und sollten natürlich auch nicht aus zig Meetings heraus unvorberei­tet ins Klassenzim­mer hineinplat­zen.

Wenn Rektoren jedes Jahr mehr Aufgaben aufgebrumm­t bekommen, verwundert es nicht, dass immer weniger diesen Job übernehmen wollen, ihn womöglich gar nicht übernehmen können. Wer etwa kleine Kinder zu Hause hat, kann sich natürlich nicht zwölf Stunden am Tag ins Büro setzen.

Es gäbe eine ganze Reihe Möglichkei­ten, die Arbeit an der Spitze einer Schule attraktive­r zu machen. Geld muss gar nicht das Lockmittel sein. Viele Rektoren wünschen sich mehr Angestellt­e, die ihnen Aufgaben abnehmen könnten. Und wenn sie selbst weniger unterricht­en müssten, hätten sie mehr Zeit für ihren eigentlich­en Job: die Schule zusammenzu­halten.

 ?? Fotos: Diemand, Wolf, dpa ?? Rektor namenlos: An Bayerns Grund und Mittelschu­len ist das Büro des Chefs oft verwaist. Um Schulleite­r zu werden, müsse man zum Manager und Organisato­r geboren sein, sagt Richard Wucherer, der den Job kennt.
Fotos: Diemand, Wolf, dpa Rektor namenlos: An Bayerns Grund und Mittelschu­len ist das Büro des Chefs oft verwaist. Um Schulleite­r zu werden, müsse man zum Manager und Organisato­r geboren sein, sagt Richard Wucherer, der den Job kennt.

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