Das dunkle Geheimnis der Filmbranche
Gibt es die „Besetzungscouch“wirklich? Werden auch in Deutschland Schauspielerinnen missbraucht? Eine Casterin sagt: Ja. Und meint, dass es Tätern zu leicht gemacht wird
Frau El-Giamal, ist die berühmt-berüchtigte „Besetzungscouch“bei der Vergabe von Film- oder Fernsehrollen Alltag in Deutschland?
Ich meine nein, zumindest glücklicherweise nicht in den Projekten, mit denen ich bisher zu tun hatte. Es mag aber sein, dass es in anderen Bereichen anders läuft. Das Wort „Besetzungscouch“kenne ich nur aus dem scherzhaften Kontext.
Aber andererseits steht das Thema Missbrauch überdeutlich im Raum.
Natürlich, Machtmissbrauch, im schlimmsten Fall sexueller Missbrauch, ist ein trauriger Bestandteil des Schauspieler-Lebens, aber das kann man nicht nur auf die Besetzungsfrage reduzieren. Tatsache aber ist, im Theater- und Filmbereich hat man mit extremen Abhängigkeiten zu tun. Und es ist wirklich bedenklich, was Macht aus Menschen macht.
Können Sie konkreter werden? Wo passiert was?
Das passiert auf allen Ebenen. Die Hierarchie ist im Filmbereich sehr ausgeprägt. Dazu kommt: Die Atmosphäre, in der Film oder Theater passieren muss, ist eine extrem intime. Wenn da jemand seine Macht einsetzt, dann kann es schnell zum Missbrauch kommen. Das wird den potenziellen Tätern auch leicht gemacht.
Weil Einzelpersonen so viel Entscheidungsmacht über die Karrieremöglichkeiten anderer haben. Es ist de facto so: Es gibt einige wenige, die fast alles entscheiden. Die natürliche Folge ist, dass Schauspieler und insbesondere Schauspielerinnen ein möglichst gutes Verhältnis zu diesen Personen aufbauen wollen. Denn sie wollen ja möglichst viele, möglichst tolle Rollen spielen. Wer so viel Macht zugesprochen bekommt, der kann diese Macht halt auch ausnutzen. Und da werden Grenzen überschritten. Für die Be- troffenen ist es in dieser Situation sehr schwer, Stopp zu sagen. Wenn man zudem Angst haben muss, dass man Nachteile erleidet, wenn man sich gegen Machtmissbrauch auflehnt, fällt es Betroffenen schwer, sich zu wehren.
Man muss einen Draufblick auf die Situation schaffen, sodass alle, die mit der Filmproduktion zu tun haben, genauer hingucken. Ich würde anregen, dass man eine Art freiwillige Selbstkontrolle in Produktionen einführt.
Es müssten in jeder Produktion zwei Vertrauenspersonen aus dem Team ausgewählt werden, die als Ansprechpartner für dieses Thema zur Verfügung stehen. Wir müssen bei den Besetzungen einfach auch als Caster selbst mehr die Augen offen halten und dürfen nicht mehr wegsehen. Denn wir müssen gerade junge Schauspielerinnen und Schauspieler bei Besetzungsgesprächen darauf hinweisen, dass sie nicht an Versprechungen glauben und dafür eine Gegenleistung erbringen. Das müsste gerade auch an Schauspielschulen thematisiert werden.
Wie soll sich denn eine junge Schauspielerin verhalten?
Sie soll sich auf jeden Fall wehren. Denn den Mund zu halten, ist das Schlechteste, was jemand machen kann, auch wenn es unheimlich schwer ist, über so ein Thema zu sprechen. Man kann sich dazu aber an den Schauspielverband oder an uns Caster wenden.
Warum wurde das Thema Missbrauch überhaupt so lange totgeschwiegen?
In der Tat ist das Schweigen ein Problem. Ich hatte auch mal einen Fall mit einem Auftraggeber, der sich sehr grenzüberschreitend verhalten hat. Da stand ich gemeinsam mit einem Kollegen im Konflikt und wir wussten nicht, mit wem wir darüber reden können oder welche Maßnahmen wir am besten ergreifen sollen. Man muss über Hemmschwellen, um es nach außen zu tragen, weil das ja auch immer etwas mit den Betroffenen macht – gerade, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Viele Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen, weil sich die Opfer hilflos fühlen und nicht wissen, was sie tun sollen.
Die andere Seite sind Falschbeschuldigungen, wie wir sie in Fällen wie dem von Jörg Kachelmann erlebt haben.
Ja klar. Wenn so eine Beschuldigung mal im öffentlichen Raum ist, kann das für die Betroffenen eine Katastrophe sein. Die kommen ja nicht mehr auf die Füße. Das ist ein schwieriges Thema. Und es beginnt schon bei der Frage: Wo fängt Machtmissbrauch an?
Ermittlungen gegen Harvey Weinstein und Kevin Spacey
Das kann man nicht pauschal sagen, das empfinden Betroffene sehr individuell. Jede Frau empfindet das anders. Auch auf der Täterseite ist es eine Frage des Schuldempfindens: Es gibt ja Männer, die permanent über Sexualität witzeln. Die werden manches lange nicht als Belästigung werten.
Der Schauspielverband BFFS bietet auf seiner Internetseite Opfern an, ihren Fall anonym zu schildern. Gibt es erste Erfahrungen?
Mir ist noch nicht bekannt, wie die Plattform bisher genutzt wurde. Aber die Möglichkeit, sich anonym zu offenbaren, macht es für viele sicherlich einfacher, zu reden.
arbei tet als Casterin in Leipzig und besetzt Film und TV Rollen. Sie ist Mitglied im Bundesverband Casting.