Stark ist das neue Dünn
Frauenpower ist in: Wie sich das weibliche Schönheitsideal verändert hat – und warum
Wenn Liza Grundig die Wahl hat, greift sie zu einer besonders schweren Kugelhantel. „Das macht mir nichts“, sagt sie. Im Gegenteil. Die 28-Jährige, das dunkle Haar im Zopf nach hinten genommen, lässt leichtere Trainingsgeräte liegen und lächelt. Grundig ist Studentin in Berlin, stolz auf ihren vom Ausdauertraining kraftvoll geformten Körper – und sie ist Sportmodel bei McFit. Die Fitnessstudiokette hat eine eigene Model-Agentur. Grundig ist eines von rund 2000 Fitnessmodels in der Kartei der Vermittlung.
Anja Tillack leitet die Agentur. Ihr Angebot: die Sportstudio-Mitglieder vom Laufband auf den Laufsteg zu bringen. Und vor die Kameras von Werbefotografen. Tillack ist klein, sieht selbst sportlich aus. „Sportliche Attraktivität ist beliebter denn je“, sagt sie. Auch die Modebranche verändere sich in diese Richtung. „Strong is the new skinny“, also „Stark ist das neue Dünn“, so heißt dieses Phänomen. Weibliche Fans wollen Muskeln zeigen, nicht Rippen. Fitnessmodels feiern mit Büchern und mit Trainingsprogrammen online Erfolge. Selbst Weltklasse-Sportlerinnen wie die US-Skirenn-Ikone Lindsey Vonn springen mit Büchern wie „Strong is the new beautiful“auf diesen Zug auf.
„Das ist auf jeden Fall ein Trend“, bestätigt Lena Papasabbas vom Zukunftsinstitut in Frankfurt. Dazu passen die steigenden Mitgliederzahlen bei Fitnessstudios: 2016 wurde die Zehn-Millionen-Marke in Deutschland geknackt. Muskeln statt Size Zero also. Ist gar ein Ende des krank machenden Magerwahns in Sicht? Aber dass Menschen sportlich aktiv sind, ist ja erst mal nicht neu. Lena Papasabbas erinnert an die Trimm-dich-Bewegung der 1970er Jahre. Neu seien allerdings Anstoß und Absicht. Während Trimm-dich von Politik, Krankenkassen und Wirtschaft, also von oben, gefördert wurde, um Krankheiten einzudämmen, gehe der aktuelle Trend vom Einzelnen aus. Das individuelle Bewusstsein für den Körper stehe jetzt im Vordergrund. Gleichzeitig geht es oft um Ausgleich und – auch so ein Trend – Achtsamkeit. Gegen Stress im Job: Sport und Bewegung.
Model Liza Grundig macht drei bis vier Mal die Woche Sport. Im Fitnessstudio ist die 28-Jährige seit Jahren Mitglied. Auf die Idee, dort als Model aktiv zu werden, kam sie über eine Ausschreibung. Am Berliner Sitz der Agentur wird Grundig regelmäßig vermessen und fotografiert. Sport heißt für Grundig nicht nur Wohlbefinden. „Ich finde sportliche Figuren wunderschön“, sagt sie. Durch Sport sehe die Haut viel gesünder aus. Gleichzeitig sei Bewegung auch wichtig für ihren Alltag, gebe ihr Energie. Die junge Frau ist das Gesicht einiger Unternehmen und Kampagnen.
Warum braucht es dafür eine spezielle Agentur für Fitnessmodels? Geschäftsführerin Tillack ist überzeugt: „Unsere Models haben eine andere Haltung.“Sportlichkeit sei nicht nur als äußerliches Merkmal bei den Kunden beliebt. „Sportler sind disziplinierter, haben einen starken Willen, ein ganz anderes Körperbewusstsein.“Psycho-Faktoren wie Disziplin und Stärke nennt auch Wissenschaftlerin Lena Papasabbas als Teil des Phänomens. Das gelte besonders für Frauen: Während es beim Sport lange darum ging, den Körper zu optimieren, trete heute das Innenleben stärker in den Vordergrund.
„Frauen definieren sich nicht mehr ausschließlich über ihr Äußeres“, sagt Papasabbas. „Beim Sport geht es um die Leistung.“Körperliche Kraft wird – angesichts veränderter Rollen im Alltag – gerade für Frauen zum Symbol für Stärke auf anderen Ebenen: Wer zehn Kilometer durchhält, kann auch das neue Projekt im Job mit Ehrgeiz bewältigen. Das sei ein Unterschied zu einer Fitnesswelle, die die US-Schauspielerin Jane Fonda Ende der 1970er und in den 1980er Jahren prägte. „Damals standen hauptsächlich Äußerlichkeiten im Vordergrund, der Wunsch nach dem perfekten Körper.“
Masha Sedgwick jedenfalls trimmt sich nicht nur, um einen tollen Körper zu haben. Die Modebloggerin gilt als „Influencerin“. Sie berichtete im Netz über Schönheit, Lifestyle und Mode – und beeinflusst so andere. Auf Instagram folgen ihr 140000 Menschen. Denen schreibt sie etwa: „Sport sorgt für ein besseres Körperbewusstsein und auch dafür, dass man im Alter fit bleibt, und das ist im Endeffekt viel wichtiger als ein heißer Body.“Der Beitrag ist garniert mit Trainingsfotos der Bloggerin, Videos gibt es auch. Beneidenswert finden Fans die Disziplin der 28-Jährigen.
„Ich mache täglich Sport“, sagt sie. Und das, obwohl sie Sport nicht unbedingt möge. Doch In-FormBleiben gehöre zum Job, gibt sie zu. Sie wolle nicht einfach „skinny“sein, sondern „strong“. Man müsse sich motivieren, Disziplin zeigen. „Ich glaube, das ist das, was man eigentlich ‚strong‘ nennt.“Zugleich möchte die Bloggerin nicht immer perfekt wirken, sondern auch Schwächen zeigen. Sagt sie. Nach Posts mit Schwächen muss man in ihrem Blog allerdings länger suchen.
Das gilt auch für Pamela Reif. Manche halten das 21-jährige Fitnessmodel für den Inbegriff des Trends zur sportlichen Schönheit. Drei Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram. Dort veröffentlicht sie Fotos von Sportübungen. Und ihr im Frühjahr erschienenes Buch heißt „Strong & Beautiful“. Auch sie verkauft Sport und Erfolg als Frauenpower. „Pamstrong“heißt das passende zwölfwöchige Fitnessprogramm dann. Für rund 100 Euro gibt es Fitness-Coaching, Ernährungsplan, Kalorienrechner – und Motivation.
Ist das noch gesunder Ausgleich, gar Achtsamkeit? „Ich halte das für extrem gefährlich“, urteilt Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Dass diese Körperlichkeit in den Mittelpunkt gerückt wird, hat natürlich auch was Gutes“, stellt er klar. Denn Sport sei in der Regel gesund. Doch: „Vieles ist da schon so weit von der Normalität entfernt.“Das kann ein stark hervorstehendes Schlüsselbein sein – für manche Mädchen und Frauen ein Zeichen von Schönheit. Auf Instagram finden sich unter dem Hashtag #collarbones hunderttausende Posts. Im Netz gibt es passende Sportübungen, mit denen sich das Schlüsselbein sichtbarer machen lässt.
Besonders kritisch sieht Froböse Fitnessmodels, die bloggen, um eigene Kurse, Trainings und Bücher zu vermarkten. „Selbst ernannte Heldinnen sind das“, sagt Froböse. „Wir brauchen aber Menschen, die einen an die Hand nehmen und maßvoll durch den Dschungel des Lebens führen“, meint er. Das „übertrieben Disziplinierte“, den eigenen Körper Geißelnde sei kein Stück besser als der altbekannte Magerwahn.
Auch die Soziologin Prof. Nina Degele sieht die Sportwelle durchaus kritisch. „Es geht darum, sich total im Griff zu haben“, urteilt die Expertin von der Universität Freiburg. Nina Degele hält Fitness und Sportlichkeit nur für einen Trend unter vielen. Prinzipiell spiele auch bei diesem Phänomen die Selbstoptimierung eine entscheidende Rolle. Das sei gar nicht so anders als bei Magersucht. „Man hat die Kontrolle über sich und seinen Körper.“
Wie beim Magerwahn geht es um Kontrolle und Disziplin