Das Ringen um die Wahrheit
Im aktuellen Stück der Gruppe Szenenwechsel geht es um Missbrauch, Vorwürfe und die Frage nach dem Schuldigen. Wie die Vöhringer das Tabuthema umsetzen
Es ist eine Nacht der langen Messer. Sie werden gewetzt, um einen Schüler wegen Vergewaltigung von der Schule zu verweisen. Doch war es das wirklich? Oder war das, was zwischen ihm und einer Mitschülerin geschah, einvernehmlich? Er sagt, sie wollte es; sie sagt, sie wollte es nicht. Die Lehrer versammeln sich am Tatort und beraten, was zu tun sei. Die Schauspielgruppe Szenenwechsel hat Bodo Kirchhoffs „Lehrernacht“ins Programm genommen. Aufführungsort war, passend zum Stück, die Aula der Uli-Wieland-Mittelschule.
Sexuelle Gewalt ist immer wieder Thema in den Medien. Auch aus diesem Grund ist das Stück interessant. Regisseur Peter Wölfli sagt, nicht die aktuelle Situation sei entscheidend für die Inszenierung gewesen. „Lehrernacht“habe schon lange auf der Wunschliste gestanden. Mangels richtiger Besetzung wurde es bisher nicht aufgeführt. Jetzt aber passt alles.
Auf der Bühne sitzen neun Lehrer. Sie entscheiden über Wohl und Weh des beschuldigten Schülers. Fliegt er, wäre dies ein unauslöschbarer Makel in seinem Lebenslauf. Und das Mädchen? Will sie nur Aufmerksamkeit oder ist sie wirklich Opfer? Die Entscheidung machen sich die Lehrer nicht leicht. Die Meinungen sind widersprüchlich. Die Diskussion zerfranst sich. Nicht mehr „der Fall“steht im Fokus und schließlich reißen Sticheleien zwischen den Lehrern alte Wunden auf.
Da ist Schulleiterin Cordes (Erika Feltes), energisch, um Lösung bemüht und doch emotional tief berührt, hatte sie doch einmal eine Beziehung zu dem Lehrerkollegen Leo Stern (Gerhard Mahler). Mahler ist die Rolle auf den Leib geschrieben. Seine psychoanalytischen Erkenntnisse kommen nicht von ungefähr, der Hobby-Schauspieler ist Psychologe von Beruf. Lehrer Stern seziert das Geschehen mit einer gewissen Gelassenheit und mit einer Prise wohldosierten Humors. Dr. Branzger (Johannes Körner) ist eher Typ Softie, ein Homosexueller, der seinen grippalen Infekt zelebriert. Marlies Kahle-Zenk (Sonja Sommer) entdeckt frustriert die Defizite in ihrem Privatleben.
David Wiedenmayer gelingt in der Rolle des desinteressierten Karsten Graf sein Debüt bei Szenenwechsel. Sophie Kressnitz (Sarah Schwerdel) ist die ambitionierte Leiterin der Schauspiel-Gruppe. Holger Stubenrauch ist mit Ingo Wiest treffend besetzt, der aus der 68er-Bewegung kommt und philosophierend das Miteinander der Menschen betrachtet. Seine Frau Heide (Nora Lange) gesteht ihm, in Afrika vergewaltigt worden zu sein. Aber sie will kein Mitleid und geht wortlos hinaus in die Nacht. Hausmeister Zimballa (Kurt Böhm) hat zwei Aufgaben: Erstens für Wärme in dem kalten Keller zu sorgen und Pizza zu bringen, was er mit einem gewissen Gleichmut erledigt. Die größte Leistung des Abends vollbringt Ulrike Wildmoser, die kurzfristig einspringen musste und nur für eine Probe zur Verfügung stand. Wildmoser überzeugt dennoch in der Rolle der Renate Pirsich.
„Lehrernacht“ist ein Dialogstück und eine Herausforderung für Spielleiter Wölfli. Mit subtilen Mitteln bringt er Spannung und Bewegung in die Szenen. So vermeidet er das Abdriften in einen Wortmarathon, gleichzeitig gibt es auf der Bühne auch keinen aufgesetzten Aktionismus. Durch eine stimmige Ensembleleistung wird die oft gespielte „Lehrernacht“in Vöhringen zum Unikat. Dafür gab es am Ende reichlich Applaus.
Freitag, 1. Dezember, Uli Wieland Mittelschule 20 Uhr, Samstag, 2. Dezember, am glei chen Ort zur gleichen Zeit. Freitag, 8. Dezember, 20 Uhr, am Illertal Gymnasi um und am Samstag, 9. Dezember, 20 Uhr, ebenfalls am Illertal Gymnasium.