Laufend in Gefahr
Der Auto Club Europa hat in Neu-Ulm und Senden gezählt, wie viele Fußgänger beim Überqueren einer Straße aufs Smartphone starren – und stuft die Ergebnisse als dramatisch ein
Der Blick ist nach unten gesenkt, die Augen fixieren das Display. Wer sich im öffentlichen Raum umschaut, sieht viele Fußgänger, die scheinbar mehr auf ihr Smartphone achten als auf die Welt um sie herum. „Smombies“werden diese Personen umgangssprachlich genannt, in Anlehnung an das Wort Zombie. Sie leben gefährlich im Straßenverkehr, sagt der Auto Club Europa. Der ACE hat bei einer Verkehrssicherheitsaktion erstmals Zahlen gesammelt, die Anlass zur Sorge geben.
Bundesweit, auch in der Region, haben ACE-Mitglieder Fußgänger gezählt, die ihr Smartphone benutzen, während sie eine Straße an einer Ampel, einem Zebrastreifen, einer Mittelinsel oder einfach so überqueren. „Wir haben uns jeweils eine Stunde auf die Lauer gelegt und die Ablenkung von Musikhören bis Telefonieren erfasst“, erzählt Kurt Blässing. Der Sendener betreut im Auftrag des Autoclubs ehrenamtlich das Gebiet um NeuUlm und Senden. Gezählt hat er über mehrere Monate im vergangenen Jahr zusammen mit seiner Frau Brigitte und dem Neu-Ulmer Rechtsanwalt Hans Martin Wanner. Nun liegt die Auswertung der Ergebnisse vor.
Demnach war in Neu-Ulm und Senden mehr als jedes dritte Mädchen (38,8 Prozent) und jeder dritte Junge (32,5 Prozent) vom Smartphone abgelenkt. Bayernweit lag der Durchschnitt bei Jugendlichen unter 18 Jahren bei 31,1 Prozent, bundesweit bei 25,4 Prozent. Bei den Erwachsenen sind die Werte deutlich niedriger: In Neu-Ulm und Senden achteten 17,1 Prozent der Fußgänger über 18 Jahre beim Überqueren einer Straße mehr auf ihr Smartphone als auf den Verkehr, bayernweit 16,1 Prozent. Für die Studie wurden im Freistaat insgesamt knapp 9500 Erwachsene und 2900 Jugendliche gezählt. In NeuUlm und Senden waren es 1491 Männer und Frauen sowie 420 junge Menschen, die dem Aussehen nach unter 18 waren.
Für Blässing sind die Ergebnisse erschreckend. „Sie zeigen auch, dass die Gefahren durch Ablenkung völlig unterschätzt werden“, sagt er. Doch der Straßenverkehr dulde kein Multitasking. „Eine kleine Unaufmerksamkeit ist unter Umständen tödlich.“Der ACE fordert deshalb: Was für Auto- und Radfahrer gilt, müsse auch für Fußgänger jeglichen Alters zur Norm werden: „Augen auf und Finger weg vom Smartphone im Straßenverkehr.“
Erfreulicherweise ist die Zahl der Menschen, die im Straßenverkehr getötet werden, seit Jahrzehnten rückläufig. Waren 1970 in Gesamtdeutschland noch mehr als 21300 Tote zu beklagen, so starben im Jahr 2016, nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, 3206 Menschen bei Verkehrsunfällen. Doch eines ist dem ACE in den vergangenen Jahren aufgefallen: Während die Zahl der getöteten Auto- und Radfahrer tendenziell eher abnahm, erhöhte sich hingegen die der verunglückten Fußgänger. Der Automobilclub, nach eigenen Angaben mit 633200 Mitgliedern der zweitgrößte in Deutschland, vermutet: Das hängt mit der Aufmerksamkeit zusammen. Mit seiner Zählung der durch Handy abgelenkten Fußgänger wollte der ACE dem nachgehen.
Eine Statistik darüber, wie viele Unfälle durch Smartphone-Ablenkung entstehen, führt die Polizei nicht, wie Sven Hornfischer, Sprecher des Präsidiums Schwaben Süd/ West sagt. Doch die Beamten hätten das Problem im Blick und wendeten mitunter mahnende Worte an. Einen Fußgänger, der aufs Handy starrt, könne man aber nicht einfach bestrafen, sagt Hornfischer. Erst wenn er andere behindere, gefährde oder verletze, könne das geahndet werden. Hinzu kommt die Aufklärung: Dem Sprecher zufolge gibt es bei der Verkehrserziehung einen Komplex zum Thema Ablenkung. „Ob Spielzeug oder Smartphone in der Hand – die Kinder werden auf die Gefahren hingewiesen.“
Der ACE wiederum appelliert an die Vorbild-Funktion der Eltern und fordert auch Strafen, wenn Appelle durch Aufklärung nicht mehr ausreichen. Mehr Bodenampeln wie die an einer Straßenbahnhaltestelle in Augsburg seien auch eine Möglichkeit, sagt Blässing. „Wir haben unsere Zahlen jedenfalls den Behörden vorgelegt.“