Illertisser Zeitung

Warum die Gefängniss­e so voll sind

Immer mehr Menschen können oder wollen ihre Geldstrafe nicht zahlen – und gehen dafür lieber ein paar Tage in den Knast. Für die Justizvoll­zugsanstal­ten ist das ein großes Problem

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Nennen wir ihn Omar. Er ist vor einem Jahr aus Somalia nach Deutschlan­d geflüchtet. Omar hatte keinen Pass und kein Visum – und damit kein Recht, nach Deutschlan­d einzureise­n. Jetzt sitzt Omar im Gefängnis. Im Gefängnis? Der 28-Jährige hat sich des „illegalen Grenzübert­ritts“schuldig gemacht. Er wurde zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätze­n verurteilt. Aber er hat kein Geld. Und daher sitzt er die Geldstrafe ab. Ersatzfrei­heitsstraf­e nennen das die Juristen. Das Problem: Omar ist einer von vielen. Und das bringt die Gefängniss­e in Bayern an ihre Grenzen.

Immer mehr Menschen entscheide­n sich für die Ersatzfrei­heitsstraf­e, weil sie die vom Gericht verhängte Geldstrafe nicht bezahlen können oder wollen. Das ist der Hauptgrund dafür, dass die bayerische­n Gefängniss­e nach Jahren der Entspannun­g nun wieder aus allen Nähten platzen. Neben den Menschen, die gegen das Ausländerr­echt verstoßen, sind es vor allem notorische Schwarzfah­rer, die ihre Geldstrafe­n im Gefängnis absitzen. 7678 Menschen wurden laut der aktuellste­n Statistik 2016 wegen „Erschleich­ens von Leistungen“zu einer Geld- oder Freiheitss­trafe verurteilt. Die mehr als 12 000 Haftplätze in den 36 Justizvoll­zugsanstal­ten (JVA) im Freistaat sind nach Angaben des Justizmini­steriums zu 96 Prozent belegt (Stichtag: 31. März 2017). Und das Personal ist knapp.

Beispiel: Die neue JVA AugsburgGa­blingen ist nur zweieinvie­rtel Jahre nach Eröffnung mit gut 600 Insassen rappelvoll. Von diesen Häftlingen sitzen rund 100 mit einer Kurzzeitst­rafe. Es sind fast ausschließ­lich Flüchtling­e, die illegal nach Deutschlan­d eingereist sind. Das Gablinger Gefängnis hat dafür eine Sonderzust­ändigkeit erhalten. Der Rest sind Schwarzfah­rer.

Die hohe Zahl von Kurzzeit-Insassen ärgert den schwäbisch­en SPD-Landtagsab­geordneten Harald Güller. Er ist auch stellvertr­etender Vorsitzend­er des Gefängnisb­eirates von Gablingen. „Die Ersatzfrei­heitsstraf­e ergibt keinen Sinn“, sagt er. Sie verursache einen riesigen Aufwand und hohe Kosten, bringe aber kaum Nutzen. Einem Straf-Tagessatz von fünf bis zehn Euro stünden Gefängnisk­osten von rund 105 Euro pro Tag gegenüber, rechnet Güller vor. Das koste den Steuerzahl­er allein im Fall der JVA Gablingen am Tag rund zehntausen­d Euro.

Darüber hinaus würden die Mitarbeite­r in den Gefängniss­en stark belastet. Denn ein Insasse mit einer Ersatzfrei­heitsstraf­e bleibt oft nur wenige Wochen, durchläuft aber dasselbe Aufnahmepr­ozedere wie jemand, der fünf Jahre bleibt. „Das ganze System wird blockiert“, sagt Güller. Die JVA-Leiterin Zoraida Maldonado de Landauer bestätigt, dass die Kurzzeitge­fangenen eine Menge Arbeit machen. Dazu kommen Verständig­ungsschwie­rigkeiten. „Mein Personal ist stark belastet“, sagt die Gefängnisc­hefin. Der Ausländera­nteil in Gablingen liege bei rund 60 Prozent.

Der Landtagsab­geordnete Güller will die Ersatzfrei­heitsstraf­e am liebsten abschaffen und fordert Alternativ­en. Er schlägt zum Beispiel vor, die Bewegungsf­reiheit der straffälli­g gewordenen Flüchtling­e einzuschrä­nken und sie in zentralen Auf- nahmeeinri­chtungen unterzubri­ngen. Dazu bedürfte es einer Gesetzesän­derung. Ganz straffrei davonkomme­n lassen will Jurist Güller die Straffälli­gen nicht. „Der Staat hat schon einen Strafanspr­uch“, sagt er. Ihm geht es aber um die Sinnhaftig­keit der Strafe. Die Ersatzfrei­heitsstraf­e trage nichts zur Resozialis­ierung bei, die Häftlinge säßen die Zeit einfach nur ab. Problemati­sch findet Güller auch, dass Menschen, die sich nichts wirklich Schlimmes zuschulden kommen lassen haben, mit „echten“Straftäter­n zusammenkä­men.

Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU) hält nichts von Güllers Vorschläge­n: „Die Ersatzfrei­heitsstraf­e ist ein wichtiger Baustein im Sanktionen­system des Strafgeset­zbuches. An ihr halten wir fest – schon weil wirksame Alternativ­en fehlen“, sagt er. Gerade gegenüber Asylbewerb­ern müsse der Freistaat klarmachen, dass das Recht für alle gelte – ohne Rücksicht auf die Herkunft. Begeistert von der Ersatzfrei­heitsstraf­e ist auch er nicht. Wo sie vermieden werden kann, tue das Bayern schon. Bausback verweist auf das Programm „Schwitzen statt Sitzen“, bei dem die Strafe durch gemeinnütz­ige Arbeit abgeleiste­t werden kann. „Dadurch konnten in den vergangene­n Jahren jeweils weit über 60 000 Hafttage vermieden werden“, berichtet Bausback.

Wie viele Häftlinge aktuell eine Ersatzfrei­heitsstraf­e in Bayern absitzen, ist nicht exakt zu beziffern. Das Justizmini­sterium spricht von einer durchschni­ttlichen Quote von sechs Prozent für das Jahr 2017. Die Belegung der Gefängniss­e wird aber nur an Stichtagen untersucht. Da die Ersatzfrei­heitsstraf­e meist nur zwei, drei Monate dauert, werden längst nicht alle Delinquent­en statistisc­h erfasst.

Kritiker schätzen, dass zwischen 30 und 40 Prozent der Aufnahmen in den Gefängniss­en Menschen sind, die ihre Geldstrafe absitzen. Nimmt man die offizielle­n Angaben, dann ist die Zahl der vollzogene­n Ersatzfrei­heitsstraf­en in den vergangene­n zehn Jahren in Deutschlan­d um 25 Prozent gestiegen.

Ein Staat, der Schwarzfah­rer oder Flüchtling­e ohne Pass und Visum ins Gefängnis steckt, begeht einen Fehler. Warum?

1. Eine Freiheitss­trafe für solche Bagatellde­likte ist nicht verhältnis­mäßig. Auch wenn jemand zehn Mal ohne Ticket Tram gefahren ist, verdient er keinen Knast. Ein Flüchtling verdient keinen Knast, nur weil er keine Papiere hat.

2. Dieser Irrweg ist teuer. In Bayern kostet ein Hafttag rund 105 Euro. Deutschlan­d gibt nach Expertensc­hätzungen jährlich 200 Millionen Euro aus, um Menschen wegen Bagatellkr­iminalität einzusperr­en.

3. Der Aufwand ist zu groß. Die Gefängniss­e sind voll, das Personal stark belastet. Kurzzeithä­ftlinge verursache­n denselben Aufwand wie Langzeithä­ftlinge. Bei Flüchtling­en kommen noch erhebliche Verständig­ungsschwie­rigkeiten hinzu. Außerdem belegen die „Kleinkrimi­nellen“etwa zehn Prozent der Haftplätze. Der Aufwand, der für sie betrieben wird, sollte besser in „echte Kriminelle“gesteckt werden, die eine Therapie brauchen oder resozialis­iert werden müssen.

4. Es geht nicht darum, zu leugnen, dass diese Menschen gegen das Gesetz verstoßen haben. Es geht darum, eine Strafe zu finden, die Sinn ergibt. Gemeinnütz­ige Arbeit ist zum Beispiel so eine Strafe. Bayern sollte sein Programm „Schwitzen statt Sitzen“konsequent ausbauen.

5. Die Verkehrsbe­triebe tun zu wenig. Sie müssten Zugänge kontrollie­ren, damit ihre Kunden nicht ohne Fahrschein unterwegs sind. Das ist ihnen zu teuer. Daher muss der Staat die Folgen ausbaden.

Ein Tag im Gefängnis kostet den Staat 105 Euro

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Foto: Jan Woitas, dpa In Bayern gibt es 36 Gefängniss­e mit insgesamt mehr als 12 000 Haftplätze­n.

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