Ein kleines „Manderl“mit unglaublicher Energie
Der deutsche Fahnenträger gewinnt wie in Sotschi den Wettbewerb von der Normalschanze. Warum der Bundestrainer ihn für „keinen normalen Menschen“hält und was Oberstdorf mit dem Erfolg zu tun hat
Da war er wieder, der Beschützer-Instinkt. Hermann Weinbuch, der 57-jährige Erfolgstrainer der deutschen Kombinierer, tänzelte etwa eine halbe Stunde nach dem Triumphzug des Eric Frenzel grinsend von Kamera zu Kamera, als er plötzlich seinen Gold-Esel aus Oberwiesenthal wieder erblickte und sich darüber wunderte, dass der ganz allein durch die Interviewzone stapfte. Normalerweise wird ein erfolgreicher Athlet in diesen Minuten vom Pressesprecher des Verbandes begleitet, der ihm die Ski abnimmt, ihn mit zusätzlichen Jacken vor der Kälte schützt und auf die Tube drückt, wenn Journalisten gar zu ausführlich Fragen stellen. Weinbuch rief also über ein paar Meter Entfernung: „Eric, kommst du allein zurecht?“Was für eine Frage.
An diesem Tag konnte und musste dem 29-jährigen Erfolgssportler aus Thüringen niemand helfen. Frenzel half sich selbst. Zunächst an der Schanze, an der er deutlich besser als zuletzt zurechtkam und nur 36 Sekunden Rückstand auf den überraschenden Halbzeit-Führenden Franz-Josef Rehrl aus Österreich verbuchte. Dann in der Loipe, in der er auf den ersten 400 Metern schon auf die vor ihm gestarteten Lukas Klapfer (Österreich) und Akito Watabe (Japan) heranstürmte. „Die Ausgangslage war nahezu perfekt für mich“, sagte Frenzel später. „Ich musste nicht vorneweg laufen und wusste, die Gruppe vor mir kann ich noch einholen.“Schon beim Start der vier Runden à 2,5 Kilometer habe er gewusst, dass Gold möglich ist. Auch seine Rolle als Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier habe ihm den zusätzlichen Kick gegeben: „Ich habe gewusst, ich kann da viel Positives für meine Wettkämpfe rausziehen.“
Frenzel machte in der Loipe Druck und war zur Hälfte des Ren- nens schon an der Spitze. Trainer Weinbuch bedachte den fünfmaligen Gesamtweltcup-Gewinner hinterher mit Superlativen: „Unglaublich, was dieses kleine Manderl für eine Energie hat.“Frenzel sei im Kopf brutal stark, könne wie kaum ein anderer seine Kräfte bündeln und bleibe trotzdem locker, wenn viele andere verkrampfen. Den Lobeshymnen setzte Weinbuch noch eine Krone auf: „Er ist kein normaler Mensch.“
Für Frenzel, der im Weltcup in dieser Saison nie so richtig in Fahrt kam und die Olympia-Generalprobe in seinem Wohnzimmer Seefeld als enttäuschter Sechster abschloss, lief in Pyeongchang vieles wieder wie gewohnt. „Rückblickend haben wir an unseren Sorgen einen Tick zu lang geknabbert. Ich habe den Glauben aber nie verloren.“Die Zeit bis Olympia sei ihm zwar ein bisschen davongelaufen, doch das Trainingslager in Oberstdorf eine Woche vor der Abreise habe die Wende zum Positiven gebracht: „Wir hatten da ein paar Tage Ruhe. Das hat Wunder bewirkt.“Auch Weinbuch bestätigte, dass Frenzel vor allem beim Techniktraining im Allgäu den entscheidenden Schritt nach vorn gemacht hat. Und – wie vor der WM in Lahti – sei auch die mentale Arbeit nicht zu kurz gekommen: „Reden, reden, reden – und a Gaudi haben.“
Eine Riesengaudi herrschte gestern auch in Pyeongchang, als Frenzel mit seinem obligatorischen Telemark-Schritt die Ziellinie überfuhr, Freudenschreie in den koreanischen Abendhimmel brüllte und zunächst noch ungläubig den Kopf schüttelte. Nur Johannes Rydzek, der Vierfach-Weltmeister aus Oberstdorf, der hinter Akito Watabe, Lukas Klapfer und Jarl Magnus Riiber als Fünfter ins Ziel kam, konnte sich zunächst nicht so recht mitfreuen und beschränkte seine Gratulation auf ein Schulterklopfen ohne Augenkontakt zu Frenzel.
Der 26-jährige Oberstdorfer hatte als Elfter nach dem Springen fast eineinhalb Minuten Rückstand und biss sich bis zur dritten Runde – meist allein gegen den Wind laufend – auf acht Sekunden an Frenzel heran. Als dieser am Anstieg das Tempo aber noch einmal verschärfte, musste Rydzek die Gruppe ziehen lassen. „Irgendwann zermürbt einen das.“Trotzdem sei er mega happy und stolz auf seine Leistung. „Die Spiele sind noch nicht vorbei“, gab er sich kämpferisch. Und mit einigen Minuten Abstand lobte er auch seinen härtesten Konkurrenten: „Es war auch für Eric keine leichte Saison. Er hat sich da rausgekämpft und wiederholt jetzt seinen Olympiasieg. Er ist ein ganz, ganz Großer.