Wie ein Ehrenamt Pillen ersetzt
Der Ulmer Gehirnforscher Manfred Spitzer hat Tipps gegen Einsamkeit parat
Sein neues Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“stellte der streitbare Bestseller-Autor und Ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer am Montagabend vor etwa 300 Zuhörern im Neubau der Sparkasse Ulm vor.
Als Benefizveranstaltung ging der Eintritt komplett an den Förderkreis der Psychologischen Beratungsstelle des Diakonieverbandes Ulm. Eine gute Sache also. Gewohnt souverän stieg Spitzer in die Materie ein, machte anhand dreier Schlagwörter den moralischen Verfall unserer Gesellschaft klar: Singularisierung, Urbanisierung, Medialisierung. Über einen zu erwartenden Ausflug in die Medienkritik und medizinische Exkurse bekam er allerdings gut die Kurve zu seinem neuen Thema: Einsamkeit. Auch durch eine ganze Reihe an Powerpoint-Folien belegte Spitzer, der als einer der renommiertesten deutschen Gehirnforscher gilt, ebenso gewohnt, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Einsamkeit und soziale Isolation sind zwei Paar Stiefel, wer einsam ist, muss nicht alleine sein. Ebenso umgekehrt. Einsamkeit ist vielmehr ein tiefer Schmerz, der dem sozialen Wesen Mensch als Ausgestoßener aus der Gruppe (über-)lebensgefährlich werden kann. Sogar wissenschaftlich sitzt die Einsamkeit im selben Hirnareal, wie der Schmerz. Darüber hinaus ist die Einsamkeit statistisch nach übermäßigem Alkoholkonsum und dem starken Rauchen die Todesursache Nummer eins in der westlichen Welt. Die Einsamkeit als Gefühl ist ansteckend, genau wie Lachen, so Spitzer. Und Liebe, Familie, also die soziale Integrität, lindern diesen Schmerz. In einer Gesellschaft, die ja nun tatsächlich die Egomanie hart feiert, in der die Depression zur Volkskrankheit geworden ist, Empathie zunehmend schwindet und Gefühle verfremdet auf Emotionen reduziert sind, da ist diese doch trocken wissenschaftliche Ausführung beinahe spirituell. Man mag glauben Spitzer wird religiös, wenn er belegt, dass schulmedizinische Medikamente eine geringere Wirkung auf den Organismus haben, als Empathie und zwischenmenschliche Hilfe.
Aber der Ulmer wird nicht religiös, er bleibt auf dem Boden der Tatsachen, ein Wissenschaftler durch und durch eben. Zwischenmenschlichkeit und Altruismus, also Selbstlosigkeit, die sind somit definitiv gesundheitsfördernd. Dazu halb scherzend, mehr ernsthaft: „Wenn sie ein Ehrenamt haben, können sie Aspirin auch weglassen.“
Bis zum 20. Lebensjahr trifft die Einsamkeit meist junge Mädchen, zwischen 20 und 50 ist sie eher gleich verteilt und weniger intensiv. Bei den Senioren schlägt sie sich erneut mehr auf die weibliche Seite. Nun abschließend: Was tun? Raus in den Wald, auf die Wiesen, ans Wasser, in die Berge: Natur heilt, macht erwiesenermaßen empathisch.
Der Hirnforscher und Psychologe schließt mit der enormen Wichtigkeit der Gemeinschaft, der Beziehung zueinander. Sprich: Seid nett zueinander, liebt euch, dann bleibt ihr gesund und glücklich. Langer Applaus, anschließende offene Diskussion und leckere Apfelschorle. Die wissenschaftlichen Neuerungen der vergangenen fünf bis zehn Jahre hätten viel erklärt, was man im Herzen schon weiß.