Illertisser Zeitung

Kuhn kämpft für die blaue Plakette

Heute entscheide­t das Bundesverw­altungsger­icht, ob Städte Fahrverbot­e für alte Diesel verhängen müssen. Stuttgarts Oberbürger­meister hofft auf einen Aufschub

- Interview: Rudi Wais

Herr Kuhn, Sie hoffen, dass das Bundesverw­altungsger­icht Ihnen noch zwei Jahre Zeit lässt, ehe Sie die ersten Fahrverbot­e verhängen müssen. Ist das nicht paradox: Ein Grüner, der in der Smog-Stadt Stuttgart alten und schmutzige­n Dieseln noch eine Gnadenfris­t gibt?

Das ist nicht paradox, nein. Wir unternehme­n auf der einen Seite sehr viel, um die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoff­dioxid einzuhalte­n, indem wir beispielsw­eise neue Stadtbahnl­inien und neue Buslinien einrichten, um die Menschen zum Umstieg zu bewegen. Auf der anderen Seite haben wir in der Innenstadt jede Menge Arbeitsplä­tze im Dienstleis­tungsberei­ch, bei Versicheru­ngen und Banken, in Kliniken oder Architektu­rbüros und im Einzelhand­el. Wenn Sie da von heute auf morgen Fahrverbot­e verhängen, legen Sie die City lahm. Das muss ich als Oberbürger­meister auch berücksich­tigen. Weil wir bei den Grenzwerte­n aber immer besser werden, haben wir eine gute Chance, sie in zwei Jahren auch einzuhalte­n. Beim Stickstoff­dioxid etwa haben wir die rote Laterne als die am meisten belastete Stadt gerade an München abgegeben.

Im Moment sind im Großraum Stuttgart etwa 100 000 Pendler mit Dieselfahr­zeugen der alten Euro-Norm unterwegs. Kann der Nahverkehr im Falle eines sofortigen Fahrverbot­es so viele zusätzlich­e Fahrgäste überhaupt verkraften?

Unser Verkehrsve­rbund wächst mit 2,3 Prozent mehr Fahrgästen im Jahr fast doppelt so schnell wie der Bundesdurc­hschnitt. Aber auch unsere Kapazitäte­n sind begrenzt. Deswegen investiere­n wir ja massiv in den Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s. Unter anderem wird das Land in den nächsten Jahren neue Expresszüg­e im Halbstunde­ntakt aus Tübingen, Reutlingen oder Heilbronn nach Stuttgart fahren lassen, das bringt deutlich mehr Angebote für die Metropolre­gion. Wir erweitern das Netz an Radwegen, und wir haben ein vergünstig­tes Jobticket für den Nahverkehr eingeführt. Die Stadt ist in Bewegung, das sehen Sie daran, aber Veränderun­gen in der Infrastruk­tur brauchen auch ihre Zeit.

Wie sehr schadet ein sofortiges Fahrverbot eigentlich der örtlichen Wirtschaft? Händler und Handwerker laufen ja schon Sturm dagegen.

Auch bei einem sofortigen Fahrverbot müssen Sie natürlich Ausnahmen erlauben – zum Beispiel für das Handwerk. Wenn ein Maurer oder ein Installate­ur nicht mehr zur Baustelle kommt, gefährdet das die Existenz seines Betriebes. Die blaue Plakette, wie wir sie uns wünschen, würde alles viel gestaltbar­er machen. Verbrauche­r wie Autoindust­rie hätten damit Planungssi­cherheit. Genau das ist ja der besondere Reiz an der blauen Plakette. Und sie wäre einfacher zu kontrollie­ren.

Wer soll diese Plakette bekommen, was unterschei­det sie von der grünen und wohin darf man mit ihr fahren?

Die blaue Plakette sollen nach unseren Vorstellun­gen ab dem Jahr 2020 alle Diesel erhalten, die mindestens die Euro-Norm-6 erfüllen. Das heißt, wir hätten noch zwei Jahre, in denen die Leute Zeit haben, um sich beispielsw­eise ein neues, saubereres Fahrzeug anzuschaff­en. Wichtig ist mir dabei, dass wir nach dem Leipziger Urteil keinen Flickentep­pich an unterschie­dlichen Regelungen im Bundesgebi­et erhalten, wo es Stuttgart so macht, Mün- chen so und Augsburg wieder anders. Dazu muss der Bund einen einheitlic­hen Rechtsrahm­en mit klaren Vorgaben schaffen. Das hat er bisher versäumt, weil CDU, CSU und SPD sich vor der Verantwort­ung gedrückt haben.

Was halten Sie eigentlich von der Idee, dass jeder Busse und Bahnen kostenlos benutzen darf? Kann man die Autofahrer so zum Umsteigen motivieren? Ihre Nachbarsta­dt Tübingen versucht es ja bereits.

Mit diesem Vorschlag hat die Bundesregi­erung lediglich eine Nebelkerze gezündet. Unser Verkehrsve­rbund in der Region Stuttgart hat jährliche Ticketeinn­ahmen von 533 Millionen Euro – Sie glauben doch nicht im Ernst, dass der Bund uns jedes Jahr 533 Millionen Euro überweist! Außerdem könnten wir und viele andere Städte den zusätzlich­en Andrang auf den Nahverkehr aus dem Stand heraus gar nicht bewältigen. Wir können nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun – und der erste Schritt heißt: Die Infrastruk­tur für den Nahverkehr ausbauen. Hier muss der Bund den Städten helfen. Und was das Beispiel Tübingen angeht: Hier lässt der Kollege Palmer an Samstagen Busse umsonst fahren, weil er gerade ein Parkhaus renoviert, mehr nicht.

In diesem Jahr stellt die Bundesregi­erung den Kommunen eine Milliarde Euro für den Kampf gegen die Luftversch­mutzung zur Verfügung. Was kann eine Stadt wie Stuttgart damit anfangen?

Wir reden hier bisher von einer einmaligen Leistung für alle betroffene­n Städte, nicht von einer Milliarde jährlich. Da können Sie überall ein paar E-Fahrzeuge beschaffen und ein wenig die Verkehrsle­nkung verbessern oder ein paar Busse nachrüsten, viel mehr aber auch nicht. Das schadet nichts, löst das eigentlich­e Problem aber nicht: Der Bund muss endlich begreifen, dass er mit der Verkehrspo­litik in den Städten etwas zu tun hat. Wir Oberbürger­meister, und da spreche ich für viele Kollegen, fühlen uns vom Bund im Stich gelassen.

ist seit Januar 2013 Ober bürgermeis­ter von Stuttgart. Zuvor war der 62 Jährige, der in Memmingen aufge wachsen ist, unter anderem zweiein halb Jahre Parteichef der Grünen und vier Jahre Vorsitzend­er ihrer Bundestags fraktion. Nachdem er die SPD aus Protest gegen die Politik Helmut Schmidts früh wieder verlassen hatte, gehörte er 1980 zu den Gründungsm­itgliedern der Grü nen in Baden Württember­g.

 ?? Foto: M. Gambarini, dpa ?? Der Grüne und der Diesel: Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn investiert massiv in den Nahverkehr und sieht Fahrverbot­e dennoch skeptisch.
Foto: M. Gambarini, dpa Der Grüne und der Diesel: Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn investiert massiv in den Nahverkehr und sieht Fahrverbot­e dennoch skeptisch.

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