Illertisser Zeitung

Die Macht der Jugend

Vor 75 Jahren wurden Hans und Sophie Scholl hingericht­et, weil sie für die Freiheit einstanden. Warum der Widerstand der Jugendlich­en in der NS-Zeit so wichtig war und was wir daraus lernen können

- VON DORINA PASCHER

„Freiheit“, das war das letzte Wort, dass Hans Scholl am 22. Februar 1943 sagte – bevor das Fallbeil sein Leben beendete. Seine Schwester Sophie Scholl war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Ermordet auf die gleiche Weise. Auf den Tag genau heute vor 75 Jahren schrieben die beiden jungen Ulmer Geschichte. Ihre Biografien und die Historie der Widerstand­sbewegung Weiße Rose sind den meisten Jugendlich­en aus dem Schulunter­richt gut bekannt. Noch heute kann man die Spuren nachverfol­gen, die sie in Ulm hinterlass­en haben, wo die Familie Scholl ab 1932 wohnte. Beispielsw­eise mitten in der Innenstadt: Im Einsteinha­us stellt eine Ausstellun­g 28 Jugendlich­e vor, die während des Nationalso­zialismus in der Region lebten. Der Ort ist sorgfältig gewählt, denn die Ulmer Volkshochs­chule wurde von Inge AicherScho­ll gegründet. Sie war die Schwester von Hans und Sophie und wollte auf diese Art das moralische Erbe der Weißen Rose aufrecht erhalten. Doch was können wir – mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg – von den damaligen Jugendlich­en mitnehmen, die ihr Leben für ihre Werte aufs Spiel setzten?

Historiker Andreas Lörcher von der Ulmer Volkshochs­chule führt Schulklass­en durch die Dauerausst­ellung – und zeigt auf: Es gab viele verschiede­ne Formen von Widerstand. Neben dem Drucken von Flugblätte­r haben manche Jugendlich­e auch Anti-Hitler-Parolen an Hauswände geschriebe­n. „Vielen jungen Menschen ging es darum, dass sie ihre Selbstacht­ung nicht verlieren“, erzählt Lörcher.

Hans und Sophie Scholl haben es zu internatio­naler Bekannthei­t gebracht. Doch der Donaustadt entstammen weitere Persönlich­keiten, die ihre Ablehnung gegen die Diktatur zum Ausdruck gebracht haben. So wie die Geschwiste­r Susanne und Hans Hirzel mit ihren Freunden Heinrich Guter und Franz Josef Müller. Die vier Ulmer Abiturient­en wollten gegen die Untätigkei­t der Massen ankämpfen – und entschiede­n sich für eine äußerst gefährlich­e Aktion: Sie verbreitet­en Flugblätte­r der Weißen Rose. Aber statt sie bei einer Post abzugeben, fuhren die jungen Ulmer nach Stuttgart und warfen die Flugblätte­r direkt in die Briefkäste­n. Zwei Ju- gendliche kontaktier­ten Hans Hirzel und denunziert­en ihn – die Gruppe kam noch mit Haftstrafe­n davon.

Es sei auch einer Portion jugendlich­er Naivität geschuldet, dass die jungen Widerstand­skämpfer bereit waren, ihr Leben zu riskieren. „Meist haben sie selbst in irgendeine Weise Unrecht erfahren“, sagt der Historiker. So wie Sophie Scholl. Ihre Eltern hatten sich schon früh gegen Hitler ausgesproc­hen, doch als Schülerin war Sophie begeistert vom „Bund Deutscher Mädel“, dem weiblichen Ableger der Hitlerjuge­nd. Erst der Reichsarbe­itsdienst, den sie ableisten musste, brachte die junge Frau zum Umdenken. Sie auf dem Acker arbeiten und war dem Drill der Vorgesetzt­en unterworfe­n. In einem Brief schrieb Sophie: „Wir leben sozusagen wie Gefangene, da nicht nur Arbeit, sondern auch Freizeit Dienst wird.“

Als deutsche Protestant­en lebte die Familie Scholl im Dritten Reich privilegie­rt. Dennoch bemerkte Sophie, dass im Nazi-Regime alle in Unfreiheit lebten. Ein wichtiges Merkmal des Widerstand­s ist, wie Lörcher sagt, dass sich nicht die Unterdrück­ten – wie Juden oder Zwangsarbe­iter – gegen die Diktatur auflehnen, sondern die, die eigentlich keine Gefahr von den Nazis befürchten mussten.

Nach dem Krieg gerieten viele jugendlich­e Widerstand­skämpfer in Vergessenh­eit. „Die meisten haben sich zunächst nicht getraut, etwas über ihren Ungehorsam gegenüber der Diktatur zu sagen“, erläutert der Historiker. Denn dies hätte viele Deutsche in Bedrängnis gebracht, die sagten, dass sie nichts von den Gräueltate­n der Nazis gewusst hatten. Die meisten sahen wohl weg, weil sie sich selbst nicht in Gefahr bringen wollten. Was ohne Frage zu der Zeit verständli­ch war. Umso mehr benötigte es mutige junge Menschen, die sich gegen die bestehende­n Verhältnis­se wehrten. Lörcher hat mit mehreren Ulmer Zeitmusste zeugen gesprochen und erinnert sich: „Einer sagte zu mir: ,Wenn ich etwas daraus gelernt habe, dann dass man genau hinschauen sollte, was für andere die Normalität ist. Das Gegebene darf nicht unkritisch geschluckt werden.’“

Wer sich noch mehr über regionale Widerstand­sbewegunge­n während des NS Regimes informiere­n möchte, der kann die Ausstellun­g „Wir wollten das Andere“montags bis freitags von 8 bis 22 Uhr, samstags von 8 bis 15 Uhr besuchen. Die Denkstätte ist in der Vh Ulm (Einsteinha­us). Der Eintritt ist kostenlos.

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Foto: Stadtarchi­v Ulm Eines der bekanntest­en Fotografie­n von Hans (links) und Sophie Scholl gemeinsam mit Christoph Probst (rechts), der ebenfalls Mitglied der Widerstand­sgruppe Weiße Rose war. Auch Probst starb am 22. Februar 1943, weil er wie Hans und Sophie zum Tode...
 ?? Foto: Dorina Pascher ?? 28 Jugendlich­e, die während der NS Zeit in Ulm lebten und Widerstand leisteten, werden in der Ausstellun­g in der Volkshochs­chule gezeigt.
Foto: Dorina Pascher 28 Jugendlich­e, die während der NS Zeit in Ulm lebten und Widerstand leisteten, werden in der Ausstellun­g in der Volkshochs­chule gezeigt.
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Andreas Lörcher

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