Ein „Tatort“ohne Textbuch
Lena Odenthal und ihr Team mussten gestern improvisieren
Herr Andresen, Sie haben das Drehbuch zum Ludwigshafener „Tatort: Waldlust“geschrieben – eine Episode mit nahezu komplett improvisierten Dialogen. Mancher fragt sich: Wenn es keine Dialoge gibt, wozu braucht man dann einen Drehbuchautor?
Dem „Tatort“liegt ein Drehbuch ohne Dialoge zugrunde, ein sogenanntes Treatment. Es ist 30 bis 40 Seiten lang. Darin schreibe ich jede Szene auf. In welchem Zustand sind die Figuren, was ist das Ziel der Szene? Das Treatment ist eine Vorlage für den Regisseur, in diesem Fall Axel Ranisch, mit dem ich auch beim Ludwigshafener Impro-„Tatort: Babbeldasch“zusammengearbeitet habe. Die Schauspieler bekommen die Vorlage nicht. Der Regisseur entscheidet, was und wie viel er ihnen sagt.
Eine der eindrücklichsten Szenen war die, in denen der Teamcoach der Ermittler einen menschlichen Knochen in seinem Essen findet. Was war dabei vorgegeben, was improvisiert?
Im Drehbuch steht in etwa: Der Coach zieht einen Knochen aus seinem Essen und regt sich schrecklich darüber auf. Dann kommt Lena Odenthal ins Spiel, steht auf, schaut in die Runde und sagt: „Das ist doch alles eine Inszenierung.“Vieles andere liegt in der Freiheit der Darsteller. Trotzdem braucht so eine Episode ganz viel Vorbereitung. Man muss sehr genau wissen, was man tut. Die Schauspieler, die Regie und meine Vorlage: Alles muss ineinandergreifen.
Sind Sie zufrieden mit der Episode?
Ja, ich mag sie sehr. Aber einzelne Szenen sehe ich ambivalent.
Wenn es zwischen dem Polizistenpaar Elli und Brunner emotional wird, wenn die Szene sich unmittelbar aus den Emotionen der Schauspieler speist, dann denke ich: „Das könnte ich nicht besser schreiben.“Bei Fakten muss man dafür sehr aufpassen, dass jedes Detail stimmt. Darum haben wir die Verhörszenen, die immer wieder zwischengeschnitten werden, auch gescripted – hier arbeiten die Schauspieler also mit vorgegebenen Dialogen. Es gibt eine Szene, in der alle zusammenstehen und die Figur der Doro erzählt, dass sie ihre Mutter ausgegraben hat. Darin kommen sehr viele Fakten vor. Mit festen Dialogen käme man da vielleicht besser auf den Punkt.
Den Schauspielern nimmt man den gedruckten Text. Löst das Unsicherheit oder gar Angst bei ihnen aus?
Ich glaube, es ist manchmal sogar umgekehrt. „Waldlust“wurde komplett mit Profi-Schauspielern gedreht, die sich auch gerne mal ausleben und Lust auf Improvisation hatten.
Die Verantwortlichen in der ARD haben kürzlich angekündigt, beim „Tatort“weniger Experimente wagen zu wollen. Was sagen Sie dazu?
SWR
Beim haben wir das intern nicht gemerkt, sondern eine große Freiheit genossen. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft nicht nur Einheits-„Tatorte“haben. Ich plädiere für die Vielfalt. Fernsehen ist ein schwieriges Medium, jüngere Menschen wandern zu Streamingdiensten ab. Deshalb muss man bei Formaten wie dem „Tatort“Grenzen ausreizen und weiterdenken. Und da bin ich gerne dabei.