Sparen Krankenkassen bei den Alten?
Der Wettbewerb um junge, gesunde Versicherte wird offenbar auf Kosten von Rentnern und chronisch Kranken geführt. Die Politik denkt bereits über Sanktionen nach
Die gesetzlichen Krankenkassen benachteiligen offenbar systematisch chronisch kranke und ältere Mitglieder. Nach einem Bericht des Bundesversicherungsamtes versuchen viele Kassen, mit Wechselprämien von bis zu 900 Euro, Bonusprogrammen oder Angeboten zur Prävention junge Versicherte anzulocken, während sie die Anträge älterer Mitglieder auf Reha-Maßnahmen oder die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel wie Hörgeräte oder Windeln für Inkontinenzpatienten häufig verweigern. So würden inzwischen fast 20 Prozent der beantragten Reha-Maßnahmen für Rentner abgelehnt.
„Die Vorwürfe des Bundesversicherungsamtes sind auf Grundlage meiner Erkenntnisse berechtigt“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach unserer Zeitung. „Wir haben einen zunehmenden Wettbewerb der Kassen um junge Gesunde.“Gegenüber jungen eigenen oder wechselwilligen jungen Mitgliedern anderer Kassen ver- die Versicherungen, besonders großzügig zu sein. „Daher müssen wir als Gesetzgeber dafür sorgen, dass auch die Menschen, die chronisch krank sind, sich für die Kassen lohnen.“Den Kassen sei es nicht zuzumuten, dass sie mit chronisch Kranken Verluste machen.
Lauterbach plädiert dafür, den sogenannten Risikostrukturausgleich so zu ändern, dass bei der Verteilung der Beitragseinnahmen schwere und chronische Krankheiten stärker berücksichtigt werden. Außerdem müsste bei der Genehmigung von Bonusprogrammen stärker darauf geachtet werden, dass sie auch Älteren und sozial Schwachen nutzten.
Noch deutlicher wird der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, der Neu-Ulmer Abgeordnete Georg Nüßlein: „Die Fantasie und die Renitenz einiger Kassen, sich im Wettbewerb unfair und unverschämt Vorteile zu verschaffen, sind leider grenzenlos und verstoßen gegen das Solidarprinzip.“Daher, so Nüßlein, müsse der Gesuchten setzgeber auch über schärfere persönliche Sanktionen gegen die Vorstände der Kassen nachdenken. So sinnvoll der Wettbewerb im Prinzip sei, so sehr habe die Politik seit 25 Jahren auch mit den Auswüchsen dieses Wettbewerbs zu kämpfen.
Irmgard Stiegler, die neue Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, wies die Vorwürfe auf Anfrage unserer Zeitung zurück. „Die Gesundheitsversorgung älterer und hilfebedürftiger Menschen ist mir ein großes Anliegen“, betonte sie. „Wir verstehen uns als Kümmerer vor Ort.“Die AOK Bayern verstehe sich als solidarische Krankenversicherung, die gerade auch für die älteren Menschen da sei. „Dies betrifft nicht nur die Erreichbarkeit, sondern auch Versorgungsprogramme für chronisch kranke Patienten.“So unterstützten die Pflegeberater der AOK nicht nur Pflegebedürftige, sondern auch deren Angehörige. Außerdem biete die Kasse Gesundheitskurse speziell für Senioren an.
Agieren die Kassen zunehmend unsolidarisch? Lesen Sie dazu auch den und einen Hintergrundbericht in der
Die gesetzlichen Krankenkassen