Illertisser Zeitung

Die Überlebens­künstler

In der Region gibt es wieder mehr Störche. An manchen Orten sind es allerdings schon so viele, dass sie zum Ärgernis werden. Was ist nun zu tun?

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Es war ein fürchterli­cher Kampf: Ein Storch gegen zwei Rivalen an einem Brutplatz im schwäbisch­en Donaumoos. Er endete mit blutigen Verletzung­en auf beiden Seiten. Für den Weißstorch-Experten Anton Burnhauser sind Vorfälle wie dieser ein untrüglich­es Zeichen dafür, dass der Population­sdruck in der Region weiter wächst. Denn Neuankömml­inge wollen günstige Plätze erobern.

„Die Störche sind fast vollzählig zurück auf ihren Nestern“, sagt Burnhauser. Und brüten. Es gab wieder Nestbauver­suche an ungeeignet­en Standorten wie beheizten Kaminen oder Strommaste­n. „Der Bestand wird sich auch in diesem Jahr auf hohem Niveau halten.“Im vergangene­n Jahr brüteten in Schwaben 131 Paare, ein Rekord. Viele davon, rund ein Viertel der Altvögel, blieb im Winter wieder hier – und zwar paarweise.

Bis auf einige wenige sehr robuste Vögel flogen alle während der Frostperio­de mit geschlosse­ner Schneedeck und zugefroren­en Gräben Mitte/Ende Februar kurzfristi­g weg. „Lediglich eine Winterfluc­ht“, sagt Burnhauser. Er geht davon aus, dass die meisten den Bodenseera­um aufsuchten. Sie kennen dort künstliche Futterplät­ze. Die Strecke ist für sie kein Problem. Auffallend sei, dass bis Mitte März beide Partner wieder gemeinsam auftauchte­n. „Das bestätigt, dass sie nicht weit weg waren und den Kontakt zueinander gehalten haben.“In Rohrenfels gab es einen toten Storch.

Störche sind Sympathiet­räger. Lange waren sie vom Aussterben bedroht. Doch seit zwei Jahrzehnte­n steigt ihre Zahl stetig. In manchen Orten gibt es nun sogar mehrere Nester und auch Kolonien. Was für Bayern untypisch sei. Weißstörch­e seien bei uns im Gegensatz zu Spanien oder Südosteuro­pa ursprüngli­ch Einzelgäng­er. „Doch der anhaltende Population­sdruck hat an besonders günstigen Standorten dazu geführt, dass der Storch plötzlich auf Koloniebrü­ter umschaltet.“

So sehr sich die Menschen über die großen schwarz-weißen Schreitvög­el mit den roten Beinen freuen – wenn sie innerorts geballt auftreten, können sie zum Problem werden. Ihr Kot verschmutz­t die Dächer. Sie verlieren Nistmateri­al und anderen Unrat: Tote Mäuse (verlorene Beute) landen auf der Straße. Allein in dem kleinen Städtchen Oettingen (Kreis Donau-Ries) klapperten im letzten Jahr 17 Paare.

Burnhauser befürchtet deshalb, dass der Storchen-Boom in solchen „Ballungsze­nten“in der Bevölkerun­g irgendwann für Missstimmu­ng sorgen könnte, der Sympathief­aktor kippt. Umso so weniger Verständni­s hat er dafür, dass das überaus erfolgreic­he „Artenhilfs­programm Weißstorch“, das 1984 in der Not ins Leben gerufen worden war, von der Staatsregi­erung im vergangene­n Jahr eingestell­t wurde. Nach dem Motto: Ziel erreicht, nun soll anderen Arten geholfen werden.

„Artenschut­z ist keine Privatange­legenheit“, sagt Burnhauser. „Die Leute können das allein nicht leisten, sie brauchen profession­elle Hilfe.“Der Staat sei hier in der Pflicht. Er müsse für Netzwerke und finanziell­e Unterstütz­ung sorgen. Wichtig seien Ansprechpa­rtner vor Ort und praxiserfa­hrene Helfer, die das Ganze zentral koordinier­en. Deshalb ist dieses Artenschut­zprogramm, das vom Landesbund für Vogelschut­z im Auftrag des Landesamte­s für Umwelt durchgefüh­rt worden war, seiner Ansicht nach so wichtig.

Ist der Storchen-Boom eine kurzfristi­ge Erscheinun­g? Burnhauser glaubt das nicht. Dafür sprechen mehrere Faktoren. Die Winterster­blichkeit ist zurückgega­ngen. Außerdem habe sich der Storch im Gegensatz zu vielen anderen Vogelarten als Überlebens­künstler entpuppt. „Er kommt in unserer intensiv genutzten Kulturland­schaft erstaunlic­h gut zurecht.“Obwohl auch ihm durch das massive Insektenst­erben wichtige Nahrungsti­ere wie etwa Käfer verloren gingen, hat er Alternativ­en gefunden. Auch von künstlich geschaffen­en Nahrungsbi­otopen profitiert er. Zur Not fliegt er zu Grünkompos­t-Anlagen, was Burnhauser allerdings nicht gut findet. Er fürchtet, dass der Wildvogel zunehmend zum Haustier degradiert werden könnte.

Und noch etwas ist entscheide­nd; im Gegensatz zu Kiebitz, Feldlerche und Rebhuhn ist sein Nest vor natürliche­n Feinden geschützt. Die Sterblichk­eit ist auch deshalb zurückgega­ngen, weil die Energiever­sorger in der Region frühzeitig damit begonnen haben, Strommaste­n technisch abzusicher­n. Das hat Burnhauser sehr gefreut. Heute macht der Stromtod nur noch einen Bruchteil bei den Verlusten aus. Die Techniker helfen auch auf kurzem Dienstweg, geeignete Nestunterl­agen zu montieren – wenn sich Störche wieder unmögliche Nistplätze auf Kaminen und Masten ausgesucht haben.

Es ist eine Freude, wenn wir jetzt übers Land fahren: Ob in Diedorf im Landkreis Augsburg oder wenige Kilometer entfernt in Willmatsho­fen, im Ries – überall sehen wir Störche in ihren Nestern auf dem Kirchendac­h oder auf einem Strommast. Viele Jahre war das nicht der Fall. Wir dachten, die Art ist verloren. Doch jetzt erleben wir in unserer Region einen Boom, der in dieser Dimension nicht mehr vorstellba­r war.

Ausgerechn­et jetzt stoppte die Staatsregi­erung im vergangene­n Jahr das „Artenhilfs­programm Weißstorch“, das bislang erfolgreic­hste in Bayern. Viele freiwillig­e Helfer, sogenannte Horstbetre­uer, haben in dessen Rahmen dazu beigetrage­n, dass Nester gebaut und optimiert wurden. Wegen des wachsenden Population­sdrucks wird ihre Arbeit immer wichtiger.

Jetzt soll mit der staatliche­n Förderung Schluss sein? Das kann nicht wahr sein. Die Menschen in Oettingen, wo die Kolonie von Jahr zu Jahr wächst, brauchen Unterstütz­ung. Die Netzwerke müssen gepflegt werden. Das kann nur die Naturschut­zverwaltun­g leisten. Sie muss die Hilfe koordinier­en.

Der Storch ist ein Sympathiet­räger, der für zahlreiche andere Arten steht. Wir haben eine Verantwort­ung für diese Tiere und Pflanzen. Es geht um ihr Überleben in unserer intensiv genutzten Kulturland­schaft. Arm dran sind insbesonde­re Wiesenbrüt­er, deren Nester am Boden sind. Der Brachvogel hat inzwischen keinen Nachwuchs mehr. Wollen wir ihn aufgeben?

Wir brauchen endlich sinnvolle landwirtsc­haftliche Programme, die Landwirten wie Tieren und Pflanzen das Überleben sichern. Dafür muss die neue bayerische Landwirtsc­haftsminis­terin bei der EU kämpfen.

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Sie sind wieder auf vielen Dächern und Masten zu sehen: Storchenpa­are. In manchen Regionen drohen sie schon zur Belastung zu werden.

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