Wenn das Gotteshaus zur Bar wird
Mit dem „Gastraum“eröffnet in der ehemaligen evangelischen Kirche in Illertissen ein Lokal. Die Macher bieten Restaurant, Café und Hotel in einem – und dabei viel fürs Auge
Ob Naturbursche, Fitnessfreak oder Diplomat: Sie alle dürften sich in der ehemaligen evangelischen Kirche in der Bahnhofstraße in Illertissen pudelwohl fühlen. Unter dem Dach des entwidmeten Gebäudes ist ein Gastronomiebetrieb entstanden, der eine skurrile Mischung aus Stilen und Themen bietet. Dafür verantwortlich sind die Unternehmer Oliver Rieger und Philipp Mörwald, die das Gebäude zum „Gastraum“umgestaltet haben – einem Hotel mit Bar, Café und Restaurant. Ein Geschäft ist es außerdem, die ausgefallenen Einrichtungsgegenstände können gekauft werden. Die offizielle Eröffnung steht noch bevor, doch hinter den Kulissen hat das Lokal seinen Betrieb bereits aufgenommen. Mit ihrem sechsköpfigen Team samt Koch treten die Macher des „Gastraums“an, um den Besuchern außergewöhnliche Erlebnisse zu bieten. Was das Ambiente betrifft, erfüllen sie diesen Anspruch jedenfalls: Die Liebe zum Detail ist in jedem Winkel zu sehen. Wer das ehemalige Kirchenschiff betritt, weiß gar nicht genau, wo er zuerst hinschauen soll.
Da ist die ausladende Bar, die mit Ziegeln im viktorianischen Stil verziert ist. Auf die ist Rieger per Zufall über ein Inserat im Internet gestoßen, wie er sagt. Noch exotischer wirkt die Theke durch ihre tierische Besatzung: Oben drauf hat sich ein grimmiger Gorilla niedergelassen – die Statue scheint durstige Gäste argwöhnisch zu beäugen. Ob sie wohl die Bierflasche streitig machen wollen, welche der Affe mit der linken fest umklammert hält?
Hinter einer Combo aus Ledersofas mitsamt einem zum Tisch umfunktionierten Kaminofen finden sich in dem Saal unter anderem ein Tischkicker und – durch ein Gitter separiert – eine kleine Bibliothek. Oben auf der ehemaligen Empore gibt es einige Tische und Stühle: Von dort sollen Gäste bei einem Glas Wein oder Bier abends den Blick schweifen lassen können. So stellt es sich Rieger vor, der sich mit seinem Gastraum einen Herzenswunsch erfüllt hat: „Wir wollen keinen Durchschnitt bieten, das Auge isst und trinkt ja mit“, sagt der 50-jährige Betriebswirt, der hauptberuflich Konsumgüter entwickelt. Dazu gehören die Ottifanten-Puppen des bekannten Komikers Otto Waalkes. Aber auch Möbel hat Rieger schon entworfen. Und er hält nach eigenen Angaben das Patent für einen Spaghettiteller mit Kurbel, mit der Kinder die Nudeln leicht aufrollen können. „Ein Gag“, so Rieger. Dieses Faible fürs Nichtalltägliche zeigt sich auch im „Gastraum“.
In dem Betrieb stecken viel Zeit, Geld und Mühe. Das ist auch in den Themenzimmern zu spüren, in denen Gäste übernachten können. Da ist das „Kanzleramt“, in dem das Konterfei von Ludwig Erhard über dem Bett prangt. Die Nachttischlampe scheint aus der Zeit des Wirtschaftswunders zu stammen, sie steht auf einem zum Tisch umgebauten Weltaltlas. Ein anderer Raum versprüht Jägerromantik: Alte Fotografien zeigen stolze Waidmänner, die Fliesen sind Grün und eine Rolle Toilettenpapier steckt auf einer alten Flinte. Sportliche fühlen sich vielleicht in dem Zimmer wohl, in dem ein Stockbett aus einer Sprossenwand gestaltet wurde. Von der Wand stiert einem Arnold Schwarzenegger entgegen.
Wer ein besonderes Erlebnis bei einer Übernachtung in Illertissen sucht, könnte im Gastraum goldrichtig sein. Auch wenn der Gast auf vermeintliche Standards verzichten muss. So haben nicht alle Zimmer ein eigenes Bad. Fernseher gehören nicht zum Konzept.
Die Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde haben mit großem Interesse verfolgt, was mit dem 1896 erbauten Haus passiert. „Sicher keine Sünde“, sagt Rieger und schmunzelt. Davon durften sich die hiesigen Protestanten kürzlich schon einmal überzeugen.
Alle anderen können es ihnen nun gleichtun: Am Mittwoch vor dem Vatertag ist bis Mitternacht geöffnet, am Samstag, 12. Mai, steht ab 14 Uhr ein „Tag der offenen Pforte“an. Im Biergarten wird gegrillt und es gibt Livemusik. Am Sonntag setzt sich das Eröffnungswochenende fort: In der Zeit von 13 bis 18 Uhr bekommen Mütter kleine Überraschungen, kündigt Rieger an. Er und sein Team freuen sich auf den Start: „Wir können es kaum erwarten.“
Das könnte gut ankommen: Ein Themenhotel nebst Nostalgie-Bar fehlt bislang nicht nur in Illertissen – auch in der Region dürfte das Konzept einmalig sein. Für ihren „Gastraum“haben sich die Macher Oliver Rieger und Philipp Mörwald einiges einfallen lassen. Das beginnt mit einer kleinen Provokation: In einem ehemaligen Gotteshaus wird fortan Hochprozentiges ausgeschenkt, in den Ohren so manches gläubigen Christen dürfte das gelinde gesagt ungewohnt klingen. In dem Gastronomie-Konzept steckt aber viel mehr als das. Wer das Lokal betritt, kann die Liebe zum Detail sofort spüren, mit der die Räume gestaltet sind. Da werden die Bar- und Übernachtungsgäste zu Museumsbesuchern. Das könnte Neugierige anlocken – und das muss es auch.
Will der Gastraum langfristig erfolgreich sein, darf er nicht allein auf die ausgehfreudigen Menschen aus der näheren Umgebung setzen. Die trinken abends zwar gerne mal ein Bierchen oder Weinchen auswärts – aber Möglichkeiten dazu haben sie bereits. Das zeigt sich beispielsweise am gut besuchten L’ Angelo. Das ist die Herausforderung eines jeden Neu-Gastronomen: Ein neues Lokal ist kein Selbstläufer. Soll sich Erfolg einstellen, muss ein Wirt nachweisen, was er kann. Er muss den Menschen etwas Außergewöhnliches bieten. Dass das nicht immer funktioniert, zeigt sich am Dauer-Leerstand im sogenannten Harisch-Haus am Marktplatz. Trotz bester Lage gab es in der Gastronomie zuletzt mehrere Pächterwechsel, momentan ist wieder einmal geschlossen.
Einiges deutet darauf hin, dass es in der ehemaligen Kirche besser läuft: Die Passion seiner Macher fürs Nicht-Alltägliche (angefangen bei der Örtlichkeit) verleiht dem „Gastraum“etwas Unverwechselbares – das ist sein Kapital. Man möchte den Gastronomen wünschen, dass sie mit ihren Themenzimmern viele Menschen aus dem weiteren Umland anlocken und ihre Kasse füllen können. Das wäre gut für die hiesigen Nachtschwärmer: Ein quirliges Lokal stünde Illertissen gut zu Gesicht.