Wie aufgeräumt sollte der Schreibtisch sein?
Immer mehr Experten empfehlen Unternehmen, dass sie ihre Mitarbeiter zur Disziplin anhalten müssen. Doch sind leere Arbeitsflächen am Abend wirklich sinnvoll? Das kann die Kreativität gehörig hemmen
Ein Papierstapel für wichtige Dokumente, daneben ein Ordner mit Unterlagen, die bis nächste Woche Zeit haben. Hinzu kommen drei Urlaubsfotos und Schokoriegel gegen das Nachmittagstief. So sehen Schreibtische häufig aus – doch viele Unternehmen wollen das ändern. Sie setzen auf eine Clean Desk Policy. Die besagt: Jeden Abend werden alle Dokumente wegsortiert, bis der Schreibtisch leer ist. Persönliche Gegenstände sind unerwünscht.
„Ein klarer Vorteil dieses Vorgehens: Es wird definitiv weniger Zeit mit Suchen verschwendet“, sagt Christine Hoffmann, Coach für Büroorganisation. „Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeiter bis zu eine Stunde pro Woche etwas suchen – das ist verschenkte Arbeitszeit und langfristig ein großer Kostenfaktor.“
Ein weiterer Vorteil der Ordnung nach Vorschrift: Fällt jemand spontan aus, können Kollegen übernehmen. Und das nicht nur, weil sie einen sauberen Schreibtisch vorfinden. „Wenn alle Mitarbeiter in den gleichen Strukturen arbeiten und ein vorgegebenes Ablagesystem verfolgen, ist eine Vertretung auch ohne Übergabe möglich“, sagt Hoffmann. Vor allem in Büros ohne feste Arbeitsplätze und mit ständig wechselnden Teams gehört deshalb nicht nur der leere Schreibtisch zur Clean Desk Policy – sondern auch der Rollcontainer, mit dem sich persönliche Dokumente schnell zu einem neuen Platz bringen lassen.
Teilweise steht die Clean Desk Policy sogar im Arbeitsvertrag, strenge Überprüfungen inklusive: „Es kommt tatsächlich vor, dass eine Kommission gebildet wird, die von Schreibtisch zu Schreibtisch geht und Vorher-nachher-Fotos macht“, sagt Hoffmann.
Das klingt hart. Tatsächlich können Arbeitnehmer aber auch davon profitieren, wenn sie von „Volltischlern“zu „Leertischlern“werden, wie Marc Schmidt es formuliert. „Das Chaos, das ich am Abend nicht beseitigt habe, begrüßt mich am nächsten Morgen“, sagt der Berater und Buchautor. „Und das gefällt den wenigsten Menschen.“
Für ihn sind unordentliche Schreibtische vor allem eine Frage der Selbstorganisation. „Chaos entsteht, wenn ich nicht weiß, was ich mit einem Papier machen kann oder an wen ich mich damit wenden soll.“Man legt die Dokumente zunächst zur Seite, es entsteht ein erster Stapel, kurz darauf ein zweiter. „Auch wenn viele Mitarbeiter es behaupten: Das ist keine Organisation des Arbeitsplatzes“, sagt Schmidt. „Das ist nur die Verzweiflung, dass ich die Papiere irgendwo hinlegen muss.“
Wer einen geordneten und leeren Schreibtisch anstrebt, sollte zunächst gründlich ausmisten. Dann folgt die Entwicklung eines Systems. In Unternehmen sollte es dabei einheitlich zugehen, damit Dokumente zu Firmenwagen wirklich unter „F“landen – und nicht unter „K“wie „Kfz“oder „A“wie „Auto“. Damit das auf Dauer funktioniert, müssen Führungskräfte ihre Teams von dem Sinn des neuen Systems überzeugen – und klarmachen, dass am Ende alle von der gesparten Zeit profitieren. Sind Mitarbeiter nur halbherzig dabei, besteht die Gefahr, dass sich das Problem verlagert: „Wenn man die Clean Desk Policy nur verordnet und Mitarbeiter nicht überzeugt, dann ist der Schreibtisch zwar oft leer“, sagt Schmidt. „Aber das Zettelchaos versteckt sich in einer Schublade.“
Die klare Struktur mit leerer Schreibtischplatte hat aber nicht nur Vorteile: Experimente aus der Kreativitätsforschung zeigen, dass viele Reize bei der Arbeit das Gehirn stimulieren und so zu ungewöhnlichen Lösungsansätzen führen. Clean-Desk-Kritiker behaupten deshalb, dass eine unordentliche Arbeitsfläche kreativer macht.
Doch der Experte Siegfried Preiser, Professor und Rektor der Psychologischen Hochschule Berlin, schränkt das ein: „Man kann sich auch ohne einen vermüllten Schreibtisch eine anregungsreiche und stimulierende Arbeitsumgebung schaffen.“