Der Kampf der Tante Emma Läden
Die Dorfläden in der Region kämpfen um ihre Existenz. Neue Konzepte sollen die Lösung bringen. Während die einen Händler möglichst mobil sein wollen, locken die anderen mit Aktionen
Küchenrollen und Kaffeedosen. Jeden Donnerstag ist Hutter im Landkreis Neu-Ulm unterwegs. Dann führt ihn seine Tour nach Rennertshofen, Christertshofen, Ritzisried, Nordholz, Dietershofen und Gannertshofen. Seit März fährt er die Strecke schon ab. Mit seinem fahrenden Dorfladen will Hutter die Orte versorgen, in denen es keine Geschäfte mehr gibt. „Viele alte Menschen können ja nicht mehr Auto fahren.“
In Rennertshofen angekommen stellt er seinen Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Vereinsheim ab. Geduldig rollt er das Kabel für die Kühlanlage aus und schließt es am Gebäude an, wischt mit einem Tuch über die angelaufenen Scheiben des Kühlfachs und lehnt sich schließlich an sein Mobil. Jetzt heißt es: Warten. Hutter steckt sich noch eine Zigarette in den Mund. Es regnet. Auf den Straßen des 160-Seelen-Dorfes sind kaum Menschen unterwegs. Nur eine junge Frau fährt mit ihrem Auto den Hügel hinauf und schaut in Richtung Parkplatz. „Viele kommen hier nicht“, sagt Hutter. „Bei meinen Touren in Baden-Württemberg ist das besser.“Anfangs hätten in Rennertshofen noch knapp zehn Kunden regelmäßig eingekauft, am heutigen Tag sind es null. „Ich habe Flyer verteilt und am Schwarzen Brett einen Zet- aufgehängt. Trotzdem bleiben die Kunden aus.“Erklären kann er sich das nicht. „Wahrscheinlich liegt das an den großen Discountern.“
Tatsächlich haben viele Betreiber von Tante-Emma-Läden in der Region zu kämpfen. Erst Ende April musste ein Geschäft in Unterroth aus Personalmangel schließen. Übernommen hat den Betrieb daraufhin ein Großunternehmer aus Ulm. Offizielle Zahlen, wie viele Dorfläden es im Landkreis noch gibt, liegen nicht vor. Weder das Landratsamt in Neu-Ulm noch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten oder das Amt für ländliche Entwicklung in Krumbach haben Informationen. Lediglich eines ist zu erfahren: Um dem Dorfladensterben entgegenzuwirken, gibt es Förderungen im Rahmen der Dorferneuerung. Im Landkreis steht derzeit aber keine an, heißt es vonseiten der Behörde.
In Jedesheim gibt es in der Ortsmitte einen kleinen Dorfladen. Dort versteht man sich als wichtigen Teil des gemeinschaftlichen Lebens. „Sonst wäre gar keine Bewegung mehr im Ort, nur noch die Schulkinder morgens und am Sonntag die Leute, die in die Kirche gehen“, sagt Verkaufsleiterin Helga Hörmann. Sie sitzt an der einzigen Kasse und zieht die Waren über den Scanner. Hörmann kennt fast jeden der täglich knapp 160 Kunden beim Namen. „Ich komme ja schließlich von hier, da kennt man die meisten.“Das Jedesheimer Geschäft ist genossenschaftlich organisiert. Das heißt: Einige Bewohner haben zusammengelegt und den Laden vor 17 Jahren eingerichtet. Vom erwirtschafteten Gewinn bekommen die Gesellschafter dann einen Anteil. Nach ein paar Jahren sollte die investierte Summe wieder drin sein. „Bis heute ist das aber noch nicht passiert“, sagt Hörtel mann. Sie kämen zwar über die Runden, viel übrig bleibe aber nicht. „Es gibt eben doch sehr viele, die lieber im Supermarkt einkaufen.“
Dieses Problem gibt es jedoch nicht nur in Jedesheim. Auch andere Dorfläden haben mit der Konkurrenz der Discounter zu kämpfen. Dana Neuhäusler, die in Tiefenbach ein kleines Geschäft mit dem Namen „Um’s Eck“betreibt, sagt: „Wir können mit ihren Preisen einfach nicht mithalten.“Viele Menschen würden lieber die vier Kilometer nach Illertissen fahren, um dort in einem der vielen Supermärkte einzukaufen. Manuela Sauter, eine der Geschäftsführerinnen des Kellmünzer Dorfladens, erzählt von ähnlichen Sorgen: „Die großen Supermärkte zahlen bei ihren Angeboten drauf, locken damit aber Kunden in den Laden. Wir können uns so eine Strategie nicht leisten.“Sauter sagt: „Es ist
Existenzkampf. Dieses Wort benutzt auch Harald Hutter. Versicherungen, Steuer, Auflagen und dann noch die Kosten für den Wagen und das Benzin – da komme einiges zusammen. Mit so wenigen Kunden sei das schwer zu bewältigen. Mittlerweile steht er in seinem Wagen vor einem Gasthaus im Bucher Ortsteil Christertshofen. Vom Bauernhof nebenan watschelt eine Entenfamilie über das Kies direkt vor dem Mobil. Die sechs Tiere sind in diesem Moment die einzigen, die im Dorf unterwegs sind. Hutter steht hinter der Kasse und rückt einige Packungen Kekse zurecht. „Ich komm über die Runden. Auch, wenn das immer schwerer wird.“
Um die paar Kunden, die noch kommen, zu halten, stellen sich die Dorfladenbetreiber flexibel auf. Hutter ist mit seinem mobilen Geschäft ein Beispiel dafür. Auch sonst tut er alles, um sich seine Kunden zu bewahren: „Man kann mich immer anrufen, dann bringe ich auch Sachen mit, die ich eigentlich nicht im Sortiment habe.“Dazu zählen zum Beispiel Äpfel und Gurken oder auch Küchenutensilien wie Töpfe.
Die traditionellen Dorfläden versuchen ebenfalls, ihre Kunden an sich zu binden: In Tiefenbach, Kellmünz ein täglicher Existenzkampf.“ und Jedesheim setzt man auf regionale Produkte. Helga Hörmann hat für den Laden in Jedesheim sogar eigene Kreationen entwickelt. Sie nennt es den „Illertisser Korb“. Darin befinden sich nur Produkte aus der Region: Schokopralinen, Eier, Wurst, Honig. „Der kommt recht gut an. Regionales mögen die Leute“, sagt sie. Die Verkäuferin findet: „Produkte aus der Region machen Dorfläden aus.“Doch selbst dieses Markenzeichen ist in Gefahr. Denn Supermarktketten wie Rewe setzen seit einigen Jahren ebenfalls auf Regionalität.
Die Schuld nur den Supermärkten zu geben wäre jedoch falsch, findet Hutter. Er steht wieder vor seinem Wagen, hat sich abermals eine Zigarette angesteckt. „Dass viele Dorfläden kaputt gehen, daran sind auch ein bisschen die Kunden schuld.“Schließlich seien sie es, die lieber im Internet oder im Supermarkt einkaufen und wenn überhaupt nur noch in einen Dorfladen gehen, wenn sie beim Wocheneinkauf im Discounter etwas vergessen haben. Er geht hinter sein Mobil, rollt wieder einmal geduldig das Kabel der Kühlung auf und klappt die Abdeckung nach unten. Heute hatte er keinen Erfolg. „Ich mach’ noch mal Werbung. Wenn’s dann nicht besser wird, such’ ich mir eine andere Route.“
Viele Dorfladenbetreiber haben es schwer, und das seit Jahren. In ganz Bayern machen die kleinen Geschäfte dicht. Für viele, vor allem privat organisierte Händler, rechnet sich das Aufrechterhalten des Geschäfts nicht mehr, weil zu wenige Kunden im Laden einkaufen. Diesem Problem sehen sich auch die Läden in der Region gegenübergestellt. Zwar schreiben nach eigenen Angaben die meisten davon noch schwarze Zahlen. Doch alle sehen sich dem Konkurrenzdruck, der von den großen Discounterketten ausgeht, ausgesetzt. Alle sind – zumindest ab und zu – von Existenzängsten geplagt.
Doch die Schuld bei den Discounterketten zu suchen, wäre falsch. Vielmehr sind die Kunden gefragt. Denn es ist deren bewusste Entscheidung, den Dorfladen um die Ecke zu meiden und dafür viele Kilometer in eine größere Stadt zu fahren, um bei Netto und Co. den Wocheneinkauf zu erledigen. Und das, obwohl die Tante-Emma-Läden, abgesehen von ihrer geografischen Nähe, noch viele weitere Vorteile bieten. Denn im eigenen Dorf kennen die Kunden die Verkäufer und die Verkäufer die Kunden. Das schafft gegenseitiges Vertrauen.
Zudem setzen die Dorfläden auf regionale Produkte: Harald Hutter bezieht Fleisch und Käse für sein Mobil von regionalen Anbietern. Und Helga Hörmann treibt das vielleicht sogar auf die Spitze, wenn sie mit dem „Illertisser Korb“ein Sammelsurium aus Lebensmitteln aus der Vöhlinstadt zusammenstellt. Deshalb sollten sich die Kunden genau überlegen, wo sie einkaufen. Direkt im Dorf, wo sie die örtliche Wirtschaft unterstützen, regional einkaufen und zum Dorfleben beitragen oder in einem beliebigen Supermarkt.
Denn, wenn die Dorfläden sterben, stirbt auch das Leben in der Gemeinde. Und dann sind auf den Straßen wirklich nur noch Schulkinder und Kirchengänger unterwegs.
Schuld am Dorfladensterben hätten auch die Kunden