Abgang einer goldenen Generation
Spanien betrauert das Aus. Die Mannschaft steht vor einem Umbruch. Ein Großer hat sich schon verabschiedet
Die Zukunft von Trainer Fernando Hierro ungewiss, der Glanz der goldenen Generation längst verblasst und der RusslandTrip eine einzige Enttäuschung. Acht Jahre nach dem WM-Triumph von Südafrika steht Spaniens Nationalteam vor einem tiefen Einschnitt. Schweigend gingen die Spieler um Andrés Iniesta am Montag in Krasnodar zum Flughafen. Kein einziger Fan, nur ein paar Polizisten und drei Kamerateams standen am internationalen Terminal, als der Mannschaftsbus (Aufschrift: „Gemeinsam sind wir unschlagbar“) vorfuhr.
Die Selección hinterlasse „ähnliche Gefühle wie nach Brasilien 2014 und Frankreich 2016“, schrieb die Zeitung nach dem Achtelfinal-Aus im Elfmeterschießen gegen Gastgeber Russland. „Spanien fällt um zehn Jahre zurück“, titelte
Wie schon bei der EM gegen Italien verpassten Iniesta, Sergio Ramos und Co. das Viertelfinale – nach einem denkwürdigen Abend im Luschniki-Stadion von Moskau.
Im Elfmeterschießen war Torhüter Igor Akinfejew der Held, an dem Koke und Iago Aspas scheiterten. „Ein Adiós zum Heulen. Spanien war vom ersten Tag an nicht wiederzuerkennen“, kritisierte das Sportblatt Fast nichts erinnerte in diesen 120 Minuten daran, wie die Spanier im März in Düsseldorf beim 1:1 gegen Deutschland geglänzt hatten.
Mit verweinten Augen verließ Iniesta das Stadion und bestätigte seinen Rücktritt. „Es ist Tatsache, dass das mein letztes Spiel heute war. Eine wundervolle Etappe ist zu Ende gegangen“, sagte der geniale Spielmacher, WM-Final-Torschütze von 2010, Europas Fußballer des Jahres 2012, zweimalige Europameister und viermalige ChampionsLeague-Sieger mit dem FC Barcelona. Beim japanischen Klub Vissel Kobe wird der 34-Jährige nun gemeinsam mit Lukas Podolski seine Karriere ausklingen lassen.
131 Länderspiele hat er absolviert. Zusammen mit Xavi Hernández stand Iniesta über viele Jahre für das erfolgreiche Tiki-Taka-Spiel der Spanier. Der neue Ballverteiler steht längst fest: Rund um Isco soll die neue Mannschaft aufgebaut werden.
Abwehrspieler Gerard Piqué ging wortlos. Zusammen mit Iniesta, Sergio Ramos, Sergio Busquets und David Silva war er einer der fünf hilflosen Weltmeister von Südafrika auf dem Platz. Seinen Abschied hatte er schon vor dem Turnier angedeutet. Kapitän Ramos sprach von einem „brutalen Tiefschlag“, über seine Zukunft im Nationalteam wollte der Innenverteidiger an diesem Abend nicht entscheiden. „Wir müssen nach diesem superharten Rückschlag wieder aufstehen. Wir wissen nicht, ob das für einige heute die letzte WM ist“, sagte Ramos. Seinen Humor hatte der 32-Jährige von Real Madrid auch in einem „der schwersten Augenblicke meines Lebens“ nicht verloren. „Ich werde mich verpflichtet fühlen, in Katar mit weißem Bart aufzulaufen“, sagte er über die WM 2022.
Und Hierro? Bei der Abreise am Flughafen von Krasnodar ging der Trainer demonstrativ ein vielleicht letztes Mal voran, nachdem die Mannschaft noch fast 1000 Kilometer weit ins WM-Quartier geflogen war, um sich dort zu sammeln und am nächsten Tag nach Madrid zu reisen. Der spanische FußballVerband hatte ihn nur für das Turnier verpflichtet. Julen Lopetegui, künftiger Cheftrainer von Real, war nur zwei Tage vor dem ersten WMSpiel entlassen worden. Unter Hierro schwächelte das Team zunehmend. „Wir werden uns diese Woche beim Verband zusammensetzen und dann Entscheidungen treffen“, sagte Verbandsboss Luis Rubiales.
Einer der heißen Kandidaten auf den Posten ist Ex-Nationalspieler Luis Enrique, der 2017 beim FC Barcelona nach drei Jahren und neun Titeln ging.
Manchmal knallt und scheppert es auch heute noch in der Berichterstattung über ein Fußballspiel. Granaten werden abgefeuert, Verteidigungsringe gebildet. Und während Gerd Müller still dem Vergessen anheimfällt, bleibt er für immer unser Bomber der Nation. Fußball, von Freunden des Rhönradsports einst als Fußlümmelei gescholten, stammt aus einem gröberen Umfeld. Er startete seinen Siegeszug auf der Straße.
Beispielgebend ist ein Spielbericht aus den 1950ern, veröffentlicht in einer Lokalzeitung des Ruhrpotts über ein Schalke-Spiel. Genüsslich zitiert der Germanist Siegbert A. Warwitz in einer Sprachstudie daraus: „Szepan fischte dat Ei aus dem Gemassel und gurkte die Flemme gegen den Kistendeckel. Sie gongte zurück gegen Tilkowskis Birne und mit Akrobatenzieher (p)flanzte Kuzorra die (P)flaume in die Maschen. Den Klodt riß dat glatt von de Pinne.“
Seitdem dieses Dokument der Fußballgeschichte gedruckt wurde, hat sich einiges getan. Aus dem Straßensport wurde ein Hochglanzmilliardengeschäft. Mit Gebolze auf der Straße hat das nicht mehr viel zu tun. Heute ersinnen Marketingstrategen Kampagnen, deren Inhalt ähnlich geheimnisvoll daherkommt wie der oben zitierte Spielbericht. „Best never rest“(die Besten ruhen nie) überschrieb ein Autohersteller seine teuer erkaufte Werbung mit der Nationalmannschaft. Die Realität ließ davon nur „rest“übrig. Bundestrainer Joachim Löw warb für einen Bauzulieferer mit dem Slogan „Zu Hause ist, sich grenzenlos wohlzufühlen.“Noch Fragen?
Beruhigend zu sehen, dass sich der Fußball nicht darum schert, was ihm Werbespezialisten aufbürden. Da scheiden tatsächlich Teams aus, deren Sponsoren ganz anders kalkuliert hatten, was die Dauer ihrer öffentlichen Präsenz betrifft. Es gibt keine Großen mehr, schreibt Milan Sako auf unserer ersten Seite. Die Kleinen mucken auf. Und sie feiern ausgelassen.
So ausgelassen, dass es im Falle Russlands einen blitzkriegartigen Rückfall in alte Sprach- und Denkmuster gab. Ein Sprecher des Kremls verkündete nach dem Triumph gegen Spanien im Elfmeterschießen, die anschließenden Feierlichkeiten hätten ihn an die Berichte vom 9. Mai 1945 erinnert. Der titelte „Solch einen Triumph hat Russland seit 1945 nicht erlebt“. Den Sieg gegen Nazi-Deutschland (Krieg) und den Sieg gegen Spanien (Fußball) in einen Topf zu werfen ist sicherlich dem Überschwang der Gefühle geschuldet. Das kann einen glatt von de Pinne gongen. Aber egal: Denn ob Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien. Es lebe die (P)flaume.