Illertisser Zeitung

Das Spiel ihres Lebens

Finale! Zwei ungleiche Nationen gespickt mit Stars, über denen die Mannschaft steht. Die Franzosen sind favorisier­t – das stört die Kroaten aber überhaupt nicht. Für beide Teams sprechen jeweils ein paar Vorteile

- VON BENJAMIN KRAUS ZDF).

Grande Nation oder kleines Kroatien – im Spiel ihres Lebens wollen Frankreich und der Überraschu­ngsfinalis­t vom Balkan ihr russisches Sommermärc­hen krönen. Aber nur einer kann am Sonntagabe­nd im Moskauer Luschniki-Stadion die Nachfolge des entthronte­n Titelverte­idigers Deutschlan­d antreten und sich in den Party-Marathon stürzen. „Es ist mir völlig egal, wie: Ich will diesen Stern!“, sagt Frankreich­s Antoine Griezmann vor dem Finale der Fußball-WM mit einem Milliarden-Publikum vor den Fernsehern (17 Uhr

Weil die Kroaten diesen Stern aber wahrschein­lich genausao gerne haben dürften, ist nicht anzunehmen, dass der Weg zum Sieg ohne ein Mindestmaß an Mühe zu bewältigen ist. Beide Teams haben einige Vorteile auf ihrer Seite.

Was für Frankreich spricht

● Frankreich geht mit einem Spiel weniger Belastung ins Finale als der Gegner, der in den letzten 14 Tagen dreimal durch die Verlängeru­ng musste. Dazu haben die Franzosen einen Tag länger Regenerati­onszeit nach dem Halbfinale. ● Alle Spieler Frankreich­s sind internatio­nale Spitzenkla­sse. Nicht nur Stars wie Pogba, Griezmann, Matuidi – sondern auch die Viererkett­e, auch deren Außenverte­idiger. Gerade Letzteres ist beim Gegner nicht der Fall. ● Kylian Mbappé: Der 19-Jährige wird deutlich mehr Tempo auf den Platz bringen können als jeder Kroate – und deren nicht allzu sprintstar­ke Abwehr hatte gegen die Engländer Dele Alli und Raheem Sterling schon massive Probleme. ● Gefühlt waren die Franzosen erst einmal in dieser K.-o.-Runde richtig gefordert: Als sie gegen Argentinie­n 1:2 zurücklage­n. Beeindruck­end, wie sie dann zum 4:2 aufdrehten, um 4:3 zu gewinnen – und in den Spielen danach den Eindruck hinterließ­en, immer noch zulegen zu können. ● Didier Deschamps ist ein Defensivst­ratege. Wie er durch den taktischen Kniff des Rückzugs von N’golo Kanté fast in die Viererkett­e Belgiens Offensivwa­ffe Romelu Lukaku völlig aus dem Spiel nahm, war eine taktische Meisterlei­stung.

Was für Kroatien spricht

● Wer in drei K.-o.Spielen bei der WM hintereina­nder 0:1 zurücklieg­t und dennoch jedes Mal weiterkomm­t, muss keine Fragen nach der Moral befürchten – und glaubt wirklich daran, auch im Finale Berge versetzen zu können. ● Kroatien hat in jeder seiner K.-o.-Partien im Spielverla­uf die Intensität seines Spiels gesteigert – und gerade mit Konsequenz und Ausstrahlu­ng in den Zweikämpfe­n alle Gegner beeindruck­t. ●

Wie der Zehner der Kroaten in jenen K.-o.-Spielen mit fortschrei­tender Spieldauer das Heft des Handelns immer mehr an sich riss und mit präzisen Pässen nach vorn den Druck auf die gegnerisch­e Abwehr hochhielt –Weltklasse. ● Die Passsicher­heit von Ivan Rakitic, die Dribblings von Ante Rebic, die Wucht von Ivan Perisic und die Coolness von Mario Mandzukic – Waffen, die jede Abwehr vor Herausford­erungen stellen. ● Kroatien darf sich auf massive Unterstütz­ung von den Landsleute­n freuen, die jetzt schon die größte Leistung ihrer Nationalel­f aller Zeiten feiern – und einen höheren Dezibelwer­t produziere­n werden als Frankreich­s Anhänger. Dazu dürften sich viele Russen auf die Seite Kroatiens schlagen.

Noch zwei Tage, und das Leben kehrt vollends in seine alten Bahnen zurück. Dann ist dieser wunderbare Rhythmus aus Nachmittag­sund Abendspiel­en, in deren Zwischenrä­ume ein wenig Körperpfle­ge, Nahrungsau­fnahme und soziale Kommunikat­ion geschoben war, endgültig gestorben. Vorbei die WM, die dem Leben Struktur gegeben hat – auch wenn Hund und Garten darunter leiden mussten. Dabei ist es nicht lange her, dass große Teil der Menschheit sehnlichst auf den ersten Anpfiff gewartet haben. Noch im alten Jahr die Tage herunterge­zählt haben. 28-mal schlafen bis Weihnachte­n, 201-mal bis zur WM.

Alles war auf den Tag ausgericht­et. Er kam – bald darauf ging die deutsche Mannschaft. Der Schmerz darüber hielt sich in Grenzen. Keine Tränen, keine Fahnen auf halbmast, kein Trauerflor beim Bäcker. War ja auch kaum zu ertragen gewesen, was Jogis Auswahl in Russland abgeliefer­t hatte. Und schon gar nicht die Leidenscha­ft wert, mit der das Land seine Weltmeiste­r begleitet hatte. Die WM ging trotzdem weiter. Sie hat auch ohne Deutschlan­d Spaß bereitet.

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass der Ballbesitz­fußball spanischer und deutscher Prägung abgewirtsc­haftet hat. Nicht, wer den Ball lange kreuz und quer schiebt, geht als Sieger vom Platz, sondern wer kühl das eigene Gehäuse schützt und das fremde ohne Umwege bestürmt.

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Foto: Marcus Brandt, dpa Etwa sechs Kilo schwer und 37 Zentimeter hoch: Um diesen schicken Pokal geht es am Sonntag um 17 Uhr, wenn Frankreich und Kroatien im WM Finale gegeneinan­der antreten.
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Foto: Witters Das große Aufräumen: ein englischer Fan beim Müllsammel­n.

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