„Eines Lebenstraums beraubt“
Im März sprach ein Gericht Vermittler einer umstrittenen Embryonenspende frei. Warum das für hunderte Paare mit unerfülltem Kinderwunsch ein großes Problem ist
Wer Hans-Peter Eiden kontaktiert, hat viel hinter sich. Enttäuschungen, Frustration, quälende Jahre des Scheiterns. Eiden ist dann ein Hoffnungsschimmer. Die Paare, die schon nicht mehr daran geglaubt haben, sehen in ihm so etwas wie das letzte Versprechen auf eigenen Nachwuchs. Eiden ist Gründer und einer der Vorsitzenden des Netzwerks Embryonenspende aus Höchstädt (Kreis Dillingen). Embryonenspende – das ist ein Verfahren, das einem Paar auch dann Nachwuchs ermöglicht, wenn es weder natürlich noch mit einer Samenspende klappt. Die Kinder, die daraus entstehen, nennt man auch „Schneeflockenkinder“. Zum Hintergrund: Ein Paar, das eine Behandlung zur künstlichen Befruchtung hinter sich und damit Erfolg hat, kann sein tiefgefrorenes Genmaterial, das übrig geblieben ist, zur Spende freigeben.
Seit ein paar Monaten müssen Eiden und seine Kollegen des Netzwerkes viele der Hoffnungen, die
Unwissenheit schützte vor Strafe
Paare in sie setzen, enttäuschen. „Wir vertrösten derzeit hunderte Paare“, sagt Eiden. So paradox es klingt: Für diesen Zustand ist ein Freispruch vor Gericht verantwortlich.
Im März dieses Jahres standen drei Vorstandsmitglieder der Organisation vor dem Amtsgericht Dillingen. Der Vorwurf der Augsburger Staatsanwaltschaft: „Missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken“in 33 Fällen. Nach Ansicht des Amtsgerichts ist die Praxis des Netzwerks, sogenannte „imprägnierte Eizellen“– also Zellen, bei denen Eizelle und Spermium noch nicht miteinander verschmolzen sind – zu vermitteln, unzulässig. Doch die Angeklagten hätten das nicht wissen können. Sie versuchten über Jahre erfolglos, von verschiedenen Institutionen, unter anderem Landes- und Bundesregierung, eine Aussage zu erhalten, ob diese Art der Embryonenspende legal ist. So kam es zum Freispruch.
Ein Urteil mit Folgen. Das Netzwerk kann sich nun nicht mehr auf den sogenannten „unvermeidbaren Verbotsirrtum“berufen und muss nach dem Dillinger Richterspruch auf die Spende imprägnierter Eizellen verzichten, bis deren Rechtmäßigkeit eines Tages grundsätzlich wird. Eiden ist überzeugt, dass es dazu kommen wird. Zumal sich, seiner Meinung nach, die Vorzeichen in der Zwischenzeit geändert haben.
Die Bundesärztekammer hat eine neue Richtlinie veröffentlicht. Die besagt – vereinfacht: Imprägnierte Eizellen müssen vor dem Einfrieren auf eine Befruchtung untersucht werden. Eiden sieht damit die Argumentation der Staatsanwaltschaft widerlegt, die die Befruchtung zeitlich erst nach dem Auftauen verortet. Die Spende einer bereits befruchteten Eizelle ist juristisch unbedenklich. Ein Sprecher der Bundesärztekammer will den Zusammenhang der Richtlinie zur Embryonenspende auf Nachfrage nicht bestätigen.
Einig sind sich die Beteiligten aber in einem: Es braucht, vor allem für die Embryonenspende, dringend eine gesetzliche Regelung. Im
mahnt Dr. Frank- Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer: „Die offenen Fragen der Reproduktionsmedizin kann unsere Richtlinie nicht lösen.“
Solange es keine gesetzliche Regelung gibt, heißt es in der Praxis: Wunscheltern eines „Schneeflockenkindes“müssen zum Teil hingehalten werden. Bereits befruchtete Eizellen machen derzeit nur einen Bruchteil des Spendermarktes aus. Die Folge: Die Wartezeit auf eine Spende verlängert sich laut Eiden um mindestens das Doppelte.
Pikantes Detail: In den Statuten des Höchstädter Netzwerkes sind zudem Altersgrenzen für das Empfängerpaar festgelegt. 45 Jahre für die Wunschmutter, 55 Jahre für den Wunschvater. Bei einigen Paaren besteht laut Eiden die Gefahr, dass sie demnächst die Altersgrenze überschreiten und keine Kinder mehr bekommen können – zumindest in Deutschland. „Diese Paare werden unter Umständen ihres Legeklärt benstraums beraubt“, sagt Eiden, der das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als „unethisch“und „zutiefst inhuman“kritisiert. „Dadurch werden ganze Lebensplanungen zerstört.“
Die derzeitige Situation ist laut Eiden für alle belastend. Für Wunscheltern, aber auch für Spenderpaare. Diese können ihre nicht mehr benötigten imprägnierten Zellen momentan nicht spenden. Sie stünden vor der Entscheidung, ob sie diese „Schneeflocken“, aus denen Leben entstehen kann, vernichten. „Viele leiden und bringen das nicht übers Herz“, sagt Eiden. Die Mehrheit zahle lieber dafür, die Zellen weiterhin zu konservieren.
Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung gegen das Dillinger Urteil eingelegt. Monatelang hingen die Beteiligten in der Luft. Jetzt steht immerhin der Termin für die Berufungsverhandlung am Landgericht fest: 13. Dezember.
In Bayern wächst die Zahl der pflegebedürftigen Menschen besonders stark. Das meldet in dieser Woche das Institut der deutschen Wirtschaft. Was seit langem fehlt, sind Pflegekräfte. Jeder weiß das. Gleichzeitig verspricht Ministerpräsident Söder einen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz. Fragt sich nur, wo er überhaupt die Pflegekräfte herbekommen will?
Der Pflegenotstand ist längst zum traurigen Dauerthema degradiert, bei dem immer alle sagen, es müsse sich etwas ändern, in der Praxis aber viel zu wenig passiert. Für ein reiches Land ein Armutszeugnis. Zumal die Angst der Älteren, in einem Heim zu landen, in dem viel zu wenige, völlig überarbeitete Beschäftigte zwar engagiert, aber am Rande ihrer Kräfte arbeiten, groß und berechtigt ist. Vor allem aber ist es beschämend, Menschen, die einen der wertvollsten Dienste in unserer Gesellschaft verrichten, nämlich Schwachen und Kranken einen Lebensabend in Würde zu geben, seit Jahren zu schlechte Arbeitsbedingungen und eine zu geringe Bezahlung zuzumuten.
Der neue Gesundheitsreport der Barmer, in dem die Altenpfleger den zweithöchsten Krankenstand in Bayern haben, ist nur ein neuer Beweis, wie dringend diesen Beschäftigten geholfen werden muss. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat auch vor kurzem eine Analyse der Arbeitsbedingungen vorgelegt und kommt zu alarmierenden Ergebnissen, wonach der Beruf von zu großer Zeitnot und Überlastung geprägt ist. Studien gibt es genug. Die Probleme sind bekannt. Nur eine Lösung, die den Beruf der Pflegekraft attraktiv macht, ist leider nicht in Sicht. Das ist auch für die steigende Zahl der Pflegebedürftigen eine Katastrophe.