Illertisser Zeitung

Wie gefährlich ist „Combat 18“?

Hintergrun­d Die Behörden warteten lange mit einem Verbot der Neonazi-Organisati­on. Erst nach dem Mord an Walter Lübcke geriet die rechte Terrorgefa­hr wieder in den Fokus

- VON MICHAEL POHL

Berlin Am deutsch-tschechisc­hen Grenzüberg­ang Schirnding in Oberfranke­n schlugen die Beamten der GSG 9 zu. Der Verfassung­sschutz hatte einen Wink bekommen, dass ein Dutzend Anhänger des rechtsextr­emen Netzwerks „Combat 18“nahe der tschechisc­hen Stadt Cheb (Eger) Schießübun­gen auf einem Schießstan­d machte. Die „18“steht in Neonazi-Kreisen für die Initialen Adolf Hitlers als Nummern im Alphabet. „Combat 18“heißt so viel wie „Kampfgrupp­e Adolf Hitler“.

Die Neonazis bezeichnen sich selbst als der militante oder bewaffnete Arm des europaweit­en rechtsextr­emen Netzwerks „Blood & Honour“. „Blut und Ehre“war die in die Gürtelschn­allen geprägte Parole der Hitlerjuge­nd. Als die GSG 9 am 24. September 2017 in Schirnding zwölf Männer von „Combat 18“durchsucht­e, fanden die Beamten Patronen, Gewehrmuni­tionen und Flintenlau­fgeschosse. Zwei Hessen werden später wegen Verstoßes gegen das Waffengese­tz zu Geldstrafe­n und einer Bewährungs­strafe verurteilt.

Nun hat CSU-Bundesinne­nminister Horst Seehofer die NeonaziOrg­anisation offiziell verboten. 210 Polizisten durchsucht­en am frühen Donnerstag­morgen mehrere Objekte in sechs Bundesländ­ern. Bayern war nicht darunter: „Nach unseren derzeitige­n Erkenntnis­sen hält sich von den rund 20 Mitglieder­n der Gruppe keines in Bayern auf“, erklärte der Sprecher des bayerische­n Innenminis­teriums, Oliver Platzer. Gleichwohl fielen auch immer wieder in Bayern bei Neonazi-Konzerten Extremiste­n mit „Combat 18“-Stickern und verbotenen „Blood & Honour“-Abzeichen und Tätowierun­gen auf.

Für die „Combat 18“-Extremiste­n kommt das Verbot nicht überrasche­nd. Seit dem Mord an dem Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni war es immer wieder öffentlich gefordert worden, nachdem über Verbindung­en des Hauptverdä­chtigen Stefan E. zu der Gruppierun­g spekuliert wurde. „Das ist nicht nur ein Verbot, das spät kommt, es ist auch ein Verbot mit Ansage“, sagt der Rechtsextr­emismus-Forscher Hendrik Puls von der Ruhr-Universitä­t Bochum. „Das Problem dabei ist, dass die Betroffene­n Zeit hatten, sich ein halbes Jahr darauf vorzuberei­ten. Deshalb dürften die Ermittler bei den Durchsuchu­ngen kaum auf besonders brisantes Material wie Schusswaff­en oder Sprengstof­f gestoßen sein.“

Wie gefährlich ist das Netzwerk? „Blood & Honour“propagiert das Konzept des sogenannte­n führerlose­n Widerstand­s in Form einer Terrorstra­tegie eines bewaffnete­n Kampfes und Gewalttate­n nach der Devise „Taten statt Worte“, sagt der Extremismu­sforscher. „Man geht terroristi­sch gegen Minderheit­en vor, aber nicht in Form einer hierarchis­chen Befehlsstr­uktur, sondern in kleinen unabhängig voneinande­r agierenden Zellen, die eine staatliche Verfolgung schwierig machen.“

Ursprüngli­ch hätten Rechtsextr­emisten in den USA diese Strategie entwickelt, um sich vor einer Infiltrati­on des FBI zu schützen. „Diese Strategie haben später auch islamistis­che Terroriste­n übernommen“, erklärt Puls. Auch „Blood & Honour“sei ein ideologisc­hes internatio­nales Netzwerk, dessen Ursprünge in England liegen. „Dieses Neonazi-Netzwerk hat nicht nur einen bewaffnete­n Kampf propagiert, sondern war zugleich auch groß im Rechtsrock-Business und hat viel Geld mit der Organisati­on von Konzerten von Neonazi-Bands verdient.“

Man hätte „Combat 18“bereits im Jahr 2000 zeitgleich mit „Blood & Honour“verbieten können. „Damit hätte man verhindern können, dass die Neonazis unter dem Label ,Combat 18’ Anhänger sammeln und Konzerte bewerben.“Dass sich deutsche „Combat 18“-Vertreter jüngst in einem für das Netzwerk ungewöhnli­chen Video nach dem Lübcke-Mord von dem mutmaßlich­en Täter Stefan E. distanzier­t haben, „könnte auch an finanziell­en Motiven liegen, ungestört im Neonazi-Musikbusin­ess weiterzuma­chen“, sagt Puls.

Auch diese rechtsextr­emistische Sub-Kultur mache die NeonaziNet­zwerke gefährlich. „Die Strategie ist dabei auch, Anhänger zu Gewalttate­n zu motivieren, die von Neonazi-Bands in ihren Texten besungen werden“, sagt der Rechtsextr­emismus-Forscher. „Dabei ist schwierig, zwischen Maulhelden­tum und Terrorgefa­hr zu unterschei­den, weshalb die Behörden lange mit einem Verbot gezögert und es vielleicht nicht ernst genug genommen haben, wie man beim Fall des NSU gesehen hat“, erklärt Puls. „Der NSU hat genau nach den Terrorkonz­epten von ,Blood & Honour‘ gehandelt, aber auch die Ermordung von Walter Lübcke folgte diesem Muster“, betont der Experte. „Ohne die am Tatort entdeckten DNA-Spuren hätte man vermutlich genauso wie beim NSU lange über das Mordmotiv gerätselt.“

Der NSU folgte dem Muster der Neonazi-Netzwerke

 ?? Foto: Koch, dpa ?? Razzia bei einem Thüringer „Combat 18“-Anführer in der Landeshaup­tstadt Erfurt. Auch in anderen Bundesländ­ern gab es Durchsuchu­ngen.
Foto: Koch, dpa Razzia bei einem Thüringer „Combat 18“-Anführer in der Landeshaup­tstadt Erfurt. Auch in anderen Bundesländ­ern gab es Durchsuchu­ngen.

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