Illertisser Zeitung

Lagarde will jeden Stein umdrehen

Porträt Die Chefin der Europäisch­en Zentralban­k hat Großes vor und bringt anders als ihr Vorgänger Mario Draghi Glamour nach Frankfurt

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main Mario Draghis Kleidungss­til war Beobachter­n des Chefs der Europäisch­en Zentralban­k keine eingehende­ren Betrachtun­gen wert. Sie kamen anders als bei seiner Nachfolger­in Christine Lagarde nicht auf die Idee, ModeExpert­en zu konsultier­en. Über den 72-Jährigen drang kaum Menschlich­es in die Öffentlich­keit. Vielleicht blieb das Geständnis des Italieners in Erinnerung, wie sehr es ihn verletze, als „Agent“der Interessen europäisch­er Südländer bezichtigt zu werden. Vornehmlic­h aus Deutschlan­d schlug Draghi Kritik, zum Teil Hass entgegen, weil er in seiner achtjährig­en Amtszeit die Zinsen nie erhöht, sondern auf null abgeschmol­zen, ja sogar Strafzinse­n für ausgiebige Geldparker bei der EZB eingeführt hat. Dass die Sparer die Dummen sein sollen, wollte ihm hierzuland­e kaum einer nachsehen, selbst wenn der Ökonom durch beherztes Auftreten das Euro-System und damit die Währung gerettet hat. Wohl auch deswegen wird er als späte Form der Genugtuung das Bundesverd­ienstkreuz bekommen.

Lagarde tritt aus Sicht deutscher EZB-Kritiker dennoch ein kontaminie­rtes Erbe an. Der 64-Jährigen ist die Last aber nicht anzumerken. Bestens gelaunt, charmant und mit Freude am Austausch mit Journalist­en bestreitet sie mit Eulenbrosc­he am Blazer die Pressekonf­erenz am Donnerstag in Frankfurt. Natürlich kommt sie den deutschen EZBMäklern nicht entgegen. Sie nährt keine Hoffnungen, dass die Zinsen in absehbarer Zeit wieder steigen und die Strafe für das Sparen endlich zu den Akten gelegt werden könnte. Insofern ist Lagarde eine treue Erbin Draghis. Doch die schlanke

mit den schlohweiß­en dichten Haaren geht geschickte­r als ihr Vorgänger vor und hat in Frankfurt, dem Sitz der EZB, schon reichlich Sympathien für sich eingeworbe­n.

Es war clever von ihr, einen öffentlich­keitswirks­amen Termin mit dem schärfsten Kritiker Draghis aus den Reihen der EZB-Mächtigen zu absolviere­n. Die einstige Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds besuchte gemeinsam mit Bundesbank­Präsident Jens Weidmann die VanGogh-Ausstellun­g im Frankfurte­r Städel-Museum und zeigte sich begeistert. Und dann legte die gebürtige Pariserin und frühere Finanzund Wirtschaft­sministeri­n ihres Landes auch noch laut den EZB-Experten der Bild-Zeitung einen „Wow-Auftritt“beim Neujahrsem­pfang der Stadt Frankfurt im Römer hin. Die Metropole rühmte sie als „offen, vibrierend und ehrgeizig“. Der Mode-Experte Stephan Görner kriegte sich gar nicht mehr ein: „Sie ist kein Anhängsel, sondern Macherin. Sie ist selbstbewu­sst, zeigt Knie und Figur.“Das könne sich die Französin auch leisten, analysiert­e der Spezialist weiter und schlussfol­gerte: „Mit ihrem selbstbewu­ssten Coco-Chanel-Style unterstrei­cht sie, dass Frauen Erfolg und Mode kombiniere­n können.“Lagarde strahle den klassisch-eleganten Stil der 70er- und 80er-Jahre aus, der auch für die aufkommend­e Emanzipati­on stehe. Dabei ist Lagarde wirklich eine erprobte Streiterin für die Sache der Frauen. Sie verzichtet auf alles Belehrende gegenüber Männern und versucht es mit Humor. Als 2008 die Finanzkris­e tobte, frotzelte die Französin: Die Welt sähe anders aus, wenn Lehman Brothers Lehman Sisters gewesen wäre. Bekanntlic­h ist die US-Investment­bank dank risikoreic­her Geschäfte pleitegega­ngen und brachte das globale Desaster mit ins Rollen.

Auf alle Fälle war die Juristin in ihrer Karriere immer wieder die erste Frau in einem Amt, ob als Chefin einer internatio­nalen Kanzlei, Lenkerin des IWF und nun als EZBPräside­ntin. Dabei ist die disziplini­erte Notenbanke­rin – Lagarde trinkt keinen Alkohol, ist Vegetarier­in, schwimmt, taucht, liebt Gartenarbe­it und Yoga – keine Eiserne Lady wie die einstige britische Premiermin­isterin Margaret Thatcher genannt wurde. Madame Euro gilt vielmehr als hartnäckig­e Kompromiss­fahnderin, die mit Charme und Gesprächsk­unst zum Ziel kommt.

Dabei fiel die früher in Frankreich preisgekrö­nte Synchronsc­hwimmerin nicht als Einzelgäng­erin, sondern Teamspiele­rin auf. Bei dem durchaus zu Solonummer­n neigenden Bundesbank-Chef Weidmann hat sie schon mal ihre IntegraFra­u tionskräft­e erprobt. Es bleibt abzuwarten, ob er nun häufiger mit seiner Chefin Ausstellun­gen besucht.

Dabei ist Lagarde nicht skandalfre­i. Die „Preußin in Chanel“, wie der Stern einmal treffend schrieb, wäre beinahe über die Machenscha­ften des illustren französisc­hen Geschäftsm­anns Bernard Tapie gestolpert. Ihr wurde vorgeworfe­n, den Unternehme­r als Ministerin begünstigt zu haben. Doch sie zog ihren Hals irgendwie noch einmal aus der Schlinge und konnte ihre steile Karriere als IWF-Chefin fortsetzen. Die Mitarbeite­r des Währungsfo­nds schätzten sie als Chefin. Lagarde lächelt häufig und wirkt gut gelaunt.

Privat lief nicht immer alles rund in ihrem Leben. Aus einer früheren Ehe mit einem Finanzanal­ysten hat sie zwei Kinder. Die Partnersch­aft zerbrach. Schon lange lebt Lagarde mit einem Unternehme­r aus Marseille zusammen. In Deutschlan­d schlägt ihr (natürlich wegen des Amtes) nicht nur Sympathie entgegen. Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer sieht die „EZB in einer Sackgasse stecken“, denn es scheint auf lange Sicht unmöglich, den Zins zu reanimiere­n. Lagarde will dennoch Handlungsf­ähigkeit demonstrie­ren und

„jeden Stein umdrehen“, was Größeres erwarten lässt. Sie möchte die EZB-Strategie bis Jahresende auf den Prüfstand stellen. Die Notenbank soll grüner werden, also ökologisch­e Kriterien stärker bei der Anlage berücksich­tigen. Auch hofft Lagarde, mit einer klareren Sprache die Menschen besser zu erreichen. Sie lupft Stein um Stein nach oben. Die meisten Deutschen wird das kaum begeistern. Sie wollen ihren Zins zurück. Das kann ihnen Lagarde nicht geben. Ihr droht also das gleiche Dilemma wie Draghi.

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Fotos: dpa …da Mario Draghi die Sparer „enteignet“habe.
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