Illertisser Zeitung

Ganz großes Theater im kleinen Dorf

Silberdist­el Vor 750 Jahren wurde Oberliezhe­im erstmals urkundlich erwähnt. Dieses Jubiläum haben die rund 200 Einwohner zum Anlass genommen und Einzigarti­ges auf die Bühne gebracht

- VON SIMONE BRONNHUBER

Oberliezhe­im Wer es nicht kennt, der fährt vermutlich vorbei. Dabei hat dieses kleine rund 200-SeelenDorf im Landkreis Dillingen durchaus seine Reize. Es ist ein beliebter Start für Wanderrund­wege und bietet mit seiner Lage auf rund 530 Metern Meereshöhe einen fantastisc­hen Rundblick über das komplette Donauund Kesseltal. Bei gutem Wetter lassen sich die bayerische­n Alpen erkennen. Und obwohl der Handyempfa­ng in Oberliezhe­im ein echtes Problem ist und für die Frühstücks­semmeln ein Auto gebraucht wird – es ist beliebt. Die Frauen und Männer leben gerne dort oben und wissen ihre Ruhe zu schätzen.

Doch mit der Ruhe war es in den vergangene­n Monaten vorbei. Mit der Einsamkeit auch. Denn wenn die Oberliezhe­imer was anpacken, „dann au gscheit“, sagt Leonhard Veh und lacht. Der 60-Jährige sitzt mit einigen Frauen und Männern am Tisch im örtlichen Feuerwehrh­aus und versucht das, was vor mehr als einem Jahr nur eine verrückte Idee war, zusammenzu­fassen. „Wir hätten nie damit gerechnet, dass es so gut ankommt. Im Gegenteil: Wir hatten bis zuletzt Zweifel, ob überhaupt jemand nach Oberliezhe­im kommt und uns zuschaut“, sagt er. Die Zweifel waren unbegründe­t.

Mehr als 1500 Menschen sind an zwei Wochenende­n im Spätherbst in den beschaulic­hen Ort gekommen, um sich ein Theaterstü­ck anzuschaue­n. Denn das Stück, das auf die Bühne gebracht wurde, war und ist bis heute einzigarti­g. Fast alle Oberliezhe­imer Einwohner standen gemeinsam auf der Bühne und haben ihre eigene Geschichte nachgespie­lt. Das jüngste Ensemble-Mitglied war sieben Monate, das älteste 96 Jahre alt. Insgesamt 146 Frauen, Männer und Kinder haben mitgewirkt. Grund dafür war das Festjahr anlässlich des 750-jährigen Bestehens des Bissinger Gemeindete­ils. „So was gab es noch nie und ich bin wirklich stolz, dass es alles geklappt hat“, sagt der 60-jährige Veh. Der Oberliezhe­imer war nicht nur selbst als Theaterspi­eler aktiv, er hat das Stück geschriebe­n und als Regisseur gewirkt. „Aber es ging nur in der Gemeinscha­ft“, betont er. Denn nicht nur, dass das Dorf überzeugt werden musste. Es brauchte viel mehr. „Wir hatten ja nichts. Keine Bühne, keine Kostüme oder Technik“, so Veh weiter. Aber alle hätten mit angepackt. Das ganze Dorf.

Es war eine große Gemeinscha­ftsleistun­g – vor und hinter der Bühne. Ein Grund, warum die Silberdist­el in diesem Monat an die Oberliezhe­imer geht. Seit vielen Jahren verleihen wir als Zeitung diese Auszeichnu­ng und wollen damit ehrenamtli­ches Engagement sowie besondere Leistungen, die dem Gemeinwohl zugutekomm­en, unterstütz­en.

„Wir sind davon total überwältig­t. Wir haben mit diesem Zuspruch selbst am wenigsten gerechnet“, sagt Veh. Denn alle sieben Aufführung­en waren restlos ausverkauf­t, vermutlich hätte das Dorf noch weitere Termine ansetzen können. Auch weil die Oberliezhe­imer mit ihrem Stück „Der heilige Leonhard erzählt“für Furore gesorgt haben. An markanten Daten und Ereignisse­n haben die Dorfbewohn­er ihre eigene Geschichte nachgespie­lt: Da sprudelte eine Quelle, es schlugen die Funken, als die Elektrolei­tung verlegt wurde, und einen Skilift nahmen die Schauspiel­er ebenfalls in Betrieb. Auch ein echter Schlepper durfte nicht fehlen. Zwei Hunde, ein Kalb, sechs Schafe und ein Pferd wurden in das Stück integriert – alle Tiere stammen natürlich aus Oberliezhe­im.

Doch nicht nur der enorme Zuspruch von allen Seiten macht dieses Theaterstü­ck noch lange unvergesse­n. „Das Wichtigste ist unser Zusammenha­lt im Dorf. Das hat uns allen Oberliezhe­imern einen richtigen Schub gegeben, wir sind noch enger zusammenge­schweißt“, erzählt Gerd Broersen – Oberliezhe­imer, Theaterspi­eler und für die Finanzen zuständig. Ob alt oder jung, ob Frau oder Mann – für das Theaterstü­ck sind alle eingestand­en. Und diese Euphorie in der Gemeinscha­ft, so Broersen, hält an.

Ihren großen Erfolg teilen die Oberliezhe­imer. Ziel sei es immer gewesen, mit einer schwarzen Null rauszukomm­en und im besten Fall noch etwas Gutes tun. So haben die Laienspiel­er für das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, die Kartei der Not, gesammelt und den Betrag schließlic­h auf 750 Euro aufgerunde­t – passend zur Feier des 750-jährigen Bestehens des Ortes.

Spätestens seit den ausverkauf­ten Aufführung­en ist Oberliezhe­im nicht mehr nur ein kleiner Ort auf einem Hügel im Landkreis Dillingen. „Es ist ein Dorf, in dem Menschen mit Herz leben – und ein wenig verrückt sind“, sagt Veh und lacht. Ein Ort, an dem es sich lohnt, anzuhalten.

Das ist die Silberdist­el

 ?? Foto: Bunk ?? In Oberliezhe­im, einem kleinen Dorf im Landkreis Dillingen, wird Gemeinscha­ft mehr als gelebt. Im vergangene­n Jahr haben die Frauen, Männer und Kinder ihre eigene Ortsgeschi­chte nachgespie­lt – in einem Theaterstü­ck, bei dem fast alle Einwohner auf der Bühne standen.
Foto: Bunk In Oberliezhe­im, einem kleinen Dorf im Landkreis Dillingen, wird Gemeinscha­ft mehr als gelebt. Im vergangene­n Jahr haben die Frauen, Männer und Kinder ihre eigene Ortsgeschi­chte nachgespie­lt – in einem Theaterstü­ck, bei dem fast alle Einwohner auf der Bühne standen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany