Ganz großes Theater im kleinen Dorf
Silberdistel Vor 750 Jahren wurde Oberliezheim erstmals urkundlich erwähnt. Dieses Jubiläum haben die rund 200 Einwohner zum Anlass genommen und Einzigartiges auf die Bühne gebracht
Oberliezheim Wer es nicht kennt, der fährt vermutlich vorbei. Dabei hat dieses kleine rund 200-SeelenDorf im Landkreis Dillingen durchaus seine Reize. Es ist ein beliebter Start für Wanderrundwege und bietet mit seiner Lage auf rund 530 Metern Meereshöhe einen fantastischen Rundblick über das komplette Donauund Kesseltal. Bei gutem Wetter lassen sich die bayerischen Alpen erkennen. Und obwohl der Handyempfang in Oberliezheim ein echtes Problem ist und für die Frühstückssemmeln ein Auto gebraucht wird – es ist beliebt. Die Frauen und Männer leben gerne dort oben und wissen ihre Ruhe zu schätzen.
Doch mit der Ruhe war es in den vergangenen Monaten vorbei. Mit der Einsamkeit auch. Denn wenn die Oberliezheimer was anpacken, „dann au gscheit“, sagt Leonhard Veh und lacht. Der 60-Jährige sitzt mit einigen Frauen und Männern am Tisch im örtlichen Feuerwehrhaus und versucht das, was vor mehr als einem Jahr nur eine verrückte Idee war, zusammenzufassen. „Wir hätten nie damit gerechnet, dass es so gut ankommt. Im Gegenteil: Wir hatten bis zuletzt Zweifel, ob überhaupt jemand nach Oberliezheim kommt und uns zuschaut“, sagt er. Die Zweifel waren unbegründet.
Mehr als 1500 Menschen sind an zwei Wochenenden im Spätherbst in den beschaulichen Ort gekommen, um sich ein Theaterstück anzuschauen. Denn das Stück, das auf die Bühne gebracht wurde, war und ist bis heute einzigartig. Fast alle Oberliezheimer Einwohner standen gemeinsam auf der Bühne und haben ihre eigene Geschichte nachgespielt. Das jüngste Ensemble-Mitglied war sieben Monate, das älteste 96 Jahre alt. Insgesamt 146 Frauen, Männer und Kinder haben mitgewirkt. Grund dafür war das Festjahr anlässlich des 750-jährigen Bestehens des Bissinger Gemeindeteils. „So was gab es noch nie und ich bin wirklich stolz, dass es alles geklappt hat“, sagt der 60-jährige Veh. Der Oberliezheimer war nicht nur selbst als Theaterspieler aktiv, er hat das Stück geschrieben und als Regisseur gewirkt. „Aber es ging nur in der Gemeinschaft“, betont er. Denn nicht nur, dass das Dorf überzeugt werden musste. Es brauchte viel mehr. „Wir hatten ja nichts. Keine Bühne, keine Kostüme oder Technik“, so Veh weiter. Aber alle hätten mit angepackt. Das ganze Dorf.
Es war eine große Gemeinschaftsleistung – vor und hinter der Bühne. Ein Grund, warum die Silberdistel in diesem Monat an die Oberliezheimer geht. Seit vielen Jahren verleihen wir als Zeitung diese Auszeichnung und wollen damit ehrenamtliches Engagement sowie besondere Leistungen, die dem Gemeinwohl zugutekommen, unterstützen.
„Wir sind davon total überwältigt. Wir haben mit diesem Zuspruch selbst am wenigsten gerechnet“, sagt Veh. Denn alle sieben Aufführungen waren restlos ausverkauft, vermutlich hätte das Dorf noch weitere Termine ansetzen können. Auch weil die Oberliezheimer mit ihrem Stück „Der heilige Leonhard erzählt“für Furore gesorgt haben. An markanten Daten und Ereignissen haben die Dorfbewohner ihre eigene Geschichte nachgespielt: Da sprudelte eine Quelle, es schlugen die Funken, als die Elektroleitung verlegt wurde, und einen Skilift nahmen die Schauspieler ebenfalls in Betrieb. Auch ein echter Schlepper durfte nicht fehlen. Zwei Hunde, ein Kalb, sechs Schafe und ein Pferd wurden in das Stück integriert – alle Tiere stammen natürlich aus Oberliezheim.
Doch nicht nur der enorme Zuspruch von allen Seiten macht dieses Theaterstück noch lange unvergessen. „Das Wichtigste ist unser Zusammenhalt im Dorf. Das hat uns allen Oberliezheimern einen richtigen Schub gegeben, wir sind noch enger zusammengeschweißt“, erzählt Gerd Broersen – Oberliezheimer, Theaterspieler und für die Finanzen zuständig. Ob alt oder jung, ob Frau oder Mann – für das Theaterstück sind alle eingestanden. Und diese Euphorie in der Gemeinschaft, so Broersen, hält an.
Ihren großen Erfolg teilen die Oberliezheimer. Ziel sei es immer gewesen, mit einer schwarzen Null rauszukommen und im besten Fall noch etwas Gutes tun. So haben die Laienspieler für das Leserhilfswerk unserer Zeitung, die Kartei der Not, gesammelt und den Betrag schließlich auf 750 Euro aufgerundet – passend zur Feier des 750-jährigen Bestehens des Ortes.
Spätestens seit den ausverkauften Aufführungen ist Oberliezheim nicht mehr nur ein kleiner Ort auf einem Hügel im Landkreis Dillingen. „Es ist ein Dorf, in dem Menschen mit Herz leben – und ein wenig verrückt sind“, sagt Veh und lacht. Ein Ort, an dem es sich lohnt, anzuhalten.
Das ist die Silberdistel