Illertisser Zeitung

„Charlotte Ritter wird wieder sehr leiden“

Interview Liv Lisa Fries ist durch die Erfolgsser­ie „Babylon Berlin“weltbekann­t geworden. Welche Auswirkung­en das auf ihr Leben hat. Und wie sehr ihr die Dreharbeit­en zur dritten Staffel des 20er-Jahre-Epos zu schaffen machten

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Frau Fries, die Serie „Babylon Berlin“nach den Romanen von Volker Kutscher geht weiter. Die dritte Staffel startet an diesem Freitag auf Sky und läuft im Herbst im Ersten. Was hat sich für Sie seit der Ausstrahlu­ng der ersten beiden Staffeln geändert? Liv Lisa Fries: Es hat sich so einiges verändert, ich bekomme jetzt ganz andere Anfragen, auch aus England oder Amerika. Mit steigendem Bekannthei­tsgrad steigt im Kapitalism­us eben der sogenannte Marktwert eines Schauspiel­ers und man kommt plötzlich für andere Sachen infrage. Zum Beispiel habe ich unter der Regie von Oscar-Preisträge­r Stefan Ruzowitzky eine Kinoproduk­tion gedreht. Und ich werde auch hin und wieder auf der Straße erkannt, selbst wenn ich eine Mütze aufhabe.

Sie ermitteln als Kollegin von Kommissar Gereon Rath im Berlin der 1920er Jahre. Schlüpfen Sie gerne in die Haut von Charlotte Ritter?

Fries: Ja, sehr. Das ist toll. Mir gefallen ihre positive Art und ihre Stehauf-Qualität. Auch wenn es nicht immer nur die pure Wonne ist, sie zu spielen.

Warum nicht?

Fries: Weil die Figur auch mit Schmerz verbunden ist, es ist nicht alles nur schön in Charlottes Leben. Sie kommt aus ärmlichen Verhältnis­sen und ist schon in den ersten beiden Staffeln durch existenzie­lle Momente gegangen. Sie ist unter anderem nach einem Autounfall beinahe ertrunken. Beim allererste­n Lesen des Drehbuchs dachte ich mir bei der Unterwasse­rszene: „Huch, das haben die mir ja gar nicht erzählt, dass sie in der Szene stirbt.“Dann habe ich aus Neugier weitergele­sen und war froh, dass sie überlebt. Auch in den neuen Folgen wird Charlotte Ritter wieder sehr leiden.

Eine schauspiel­erische Herausford­erung für Sie?

Fries: In der dritten Staffel gibt es Szenen, die mit Verlusten für Charlotte verbunden sind, das kostet mich viel Kraft. Immer wenn es um Leben und Tod geht, muss ich sehr viel Energie in das Spiel hineingebe­n, das ist sehr anstrengen­d. Ich musste auch sehr viel schreien, wie der Zuschauer sehen wird. Das ging mir total auf die Stimme.

Was war noch besonders anstrengen­d? Fries: Die Tanzszenen! Ich musste ja vor den ersten Staffeln überhaupt erst mal Charleston lernen – diesmal ging es darum, neue Choreograf­ien einzustudi­eren.

Wie geht es mit Charlottes Kampf um Anerkennun­g in einer Männerwelt weiter?

Fries: Das mit der Emanzipati­on ist ein zentraler Punkt, generell kämpft sie für Anerkennun­g und Wahrheit. Es kann ja nicht wahr sein, dass Männer mehr wert sein sollen als Frauen – damals wie heute. Das passt nicht in ihr humanistis­ches Weltbild. In den neuen Folgen ist sie allerdings Kommissars-Assistenti­n, sie ist also Teil des Systems und kann nicht mehr wie früher einen Spruch bringen, wenn ihr jemand blöd kommt. Diesmal muss sie mehr runterschl­ucken.

Die dritte Staffel von „Babylon Berlin“spielt 1929, die Buchreihe soll letztendli­ch einen Zeitraum bis 1938 umfassen. Wie gut kennen Sie die Romane von Volker Kutscher eigentlich? Fries: Ich habe bisher keinen einzigen gelesen, denn das würde mich nur irritieren. Bevor wir angefangen haben, die erste Staffel zu drehen, habe ich den ersten Roman aufgeschla­gen. Dann habe ich eine Stelle gelesen, da hieß es sinngemäß: Charlotte Ritter mit ihren langen Beinen... Da habe ich das Buch sofort zugeschlag­en, denn diese banale Äußerlichk­eit hat mir klargemach­t: Diese Figur hat gar nichts mit mir zu tun. Ich muss meine Charlotte Ritter finden, und die bei uns ist ganz anders als die in den Romanen.

Was sagt Volker Kutscher zu diesen Änderungen?

Fries: Volker Kutscher meinte, dass die Figur der Charlotte Ritter in der Serie, auch wenn sie nicht ganz so ist wie in seinen Büchern, trotzdem den Nerv seiner Figur getroffen habe. Das finde ich total schön.

„Babylon Berlin“gilt als teuerste deutsche Serie aller Zeiten. Wie schlägt sich der Aufwand bei den Dreharbeit­en nieder?

Fries: Den merkt man schon, vor allem in den großen Szenen mit den vielen Komparsen. Natürlich gibt es auch kleinere, intimere Szenen, wenn man zum Beispiel mit jemandem in der Kneipe sitzt. Aber gerade bei den Straßensze­nen gibt es immer wieder Momente, wo man die riesigen Dimensione­n der Serie spürt. Manchmal kommt man hin und staunt nur noch, wie viele Menschen da sind, alle in Kostüm und Maske, und wie gut man das Leben von damals spürt.

Gibt es viele Fachberate­r am Set, die auf die historisch­e Genauigkei­t der Details achten?

Fries: Eigentlich nicht. Die Details werden im Vorfeld natürlich recherchie­rt, aber letztlich ist es ja Fiktion. Die Serie versucht, die 20er Jahre korrekt abzubilden, aber nicht in wahnwitzig­er Akribie. Deshalb haben wir keinen wissenscha­ftlichen Aufpasser.

Können Sie viel an Originalsc­hauplätzen in Berlin drehen?

Fries: Wir haben auch für die neuen Folgen wieder an Originalse­ts gedreht. Der Keller im Schöneberg­er Rathaus ist wieder das Restaurant Aschinger, das Rote Rathaus das Polizeiprä­sidium. Wir haben aber auch einiges im Studio gedreht. Gerade nach den ersten beiden Staffeln hatte ich mich in Berlin auf Spurensuch­e begeben und habe geschaut, was noch so da ist. Viel ist es aber nicht mehr. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass ich an Kleinigkei­ten die Zeit der 20er Jahre noch spüren kann.

Fasziniert Sie diese Epoche, die Zeit der Weimarer Republik?

Fries: Es gibt Fasziniere­ndes, aber auch nicht so Schönes oder sogar Beängstige­ndes. Was mir sehr gefällt, ist das Analoge, auch die ganze Architektu­r, das Innendesig­n, wie damals die Möbel aussahen, die Mode, die Musik. Das entspricht mir ästhetisch sehr, das finde ich wirklich toll, das ist für mich ein großer Reiz.

Sind Sie denn ein analoger Mensch? Fries: Könnte man schon sagen. Ich habe auch noch ein altes Telefon. Ich habe zwar auch ein Smartphone, um E-Mails zu beantworte­n, aber ich telefonier­e mit dem alten Knochenger­ät. Ich bin schon eher analog als technisch. Ich merke auch immer wieder, dass es mir guttut, wenn ich den technische­n Konsum reduziere.

Interview: Cornelia Wystrichow­ski

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 ?? Foto: © Frédéric Batier, X Filme Creative Pool, ARD Degeto, WDR, Sky, Beta Film ?? Liv Lisa Fries spielt in „Babylon Berlin“die gewitzte Charlotte Ritter – eine starke Frau. Fries wurde 1990 in Berlin geboren, ihre erste große Rolle hatte sie im ARD-Krimi „Schimanski – Tod in der Siedlung“, der 2007 ausgestrah­lt wurde. Für ihre Darstellun­g der Charlotte Ritter erhielt sie 2018 den renommiert­en Grimme-Preis.
Foto: © Frédéric Batier, X Filme Creative Pool, ARD Degeto, WDR, Sky, Beta Film Liv Lisa Fries spielt in „Babylon Berlin“die gewitzte Charlotte Ritter – eine starke Frau. Fries wurde 1990 in Berlin geboren, ihre erste große Rolle hatte sie im ARD-Krimi „Schimanski – Tod in der Siedlung“, der 2007 ausgestrah­lt wurde. Für ihre Darstellun­g der Charlotte Ritter erhielt sie 2018 den renommiert­en Grimme-Preis.

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