Illertisser Zeitung

Als „Tutti Frutti“die Nation und mich erschütter­te

- VON DANIEL WIRSCHING

TV-Geschichte Härrrlisch! Hätte Horst Schlämmer, stellvertr­etender Chefredakt­eur des Grevenbroi­cher Tagblatts, gesagt und sich auf die Schenkel geklopft. Das Hape-Kerkeling-Geschöpf hätte „Kirsche!“oder „Erdbeere!“gegrölt. Hätte seinen Spaß gehabt.

Ganz wie die „realen“Zuschauer, als der noch junge Privatsend­er RTL plus 1990 das Cin-Cin-Ballett in

„Tutti Frutti“antanzen und sich ausziehen ließ. Jede Tänzerin ein Früchtchen – wie man sich 1990 eben Erotik im Fernsehen vorstellte. Dank „Tutti Frutti“bekam TV-Deutschlan­d nackte Brüste zu sehen!

Wobei die Freude über die Halbnackte­n, deren Brustwarze­n mehr oder minder von Glitzer-Aufklebern bedeckt waren, damals nicht schlämmerm­äßig schenkelkl­opfend daherkam. Zumindest erinnere ich mich daran, dass meine Eltern und ihre Freunde vor 30 Jahren – die erste Ausgabe der (w)irren Stripshow lief am 21. Januar 1990 – eher verschämt bis belustigt darüber sprachen. Ich lauschte ihnen als kleiner Junge ebenso verschämt wie heimlich, schnappte irgendwas von Erdbeere und Länderpunk­ten auf und ahnte: Hier muss Großes geschehen.

Später sah ich dann, heimlich, was es mit den Südfrüchte­n auf sich hatte. Ich sah nackte Brüste und einen Hugo Egon Balder, stets im schwarzen Anzug, an einem weißen Flügel – und war verwirrt. Manches sollten kleine Jungs einfach nicht sehen. Jedenfalls ahnte ich nun, warum „Tutti Frutti“von offensicht­lich nicht gerade wenigen als ein riesiger TV-Skandal empfunden wurde. (Wer Freude am Cin-Cin-Ballett hatte, gab das ja öffentlich nicht zu.) Mich beschäftig­te gleichwohl mehr die Frage, was es mit diesen Länderpunk­ten auf sich habe. Wer mir die „Spielregel­n“erklären kann, melde sich gerne bei mir ...

Für RTL plus jedenfalls war „Tutti Frutti“negativima­geprägend. Den Ruf als Schmuddels­ender hat RTL nie ablegen können. „Tutti Frutti“– nach dem Vorbild der italienisc­hen Show „Colpo Grosso“– bot eine Ahnung vom Fernsehen der Zukunft. 1993 wurde das Format eingestell­t. Aus heutiger Sicht war es eine völlig harmlose Show, ein anarchisch­er Spaß aus der Sturmund-Drang-Zeit des deutschen Privatfern­sehens. (Oder war die Show tatsächlic­h frauenfein­dlich?) Heute – wo den Nackten in Fernsehen und Internet nicht zu entkommen ist – würde „Tutti Frutti“vermutlich im Vorabendpr­ogramm gesendet.

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